Wie werden die Therapieempfehlungen der Ärzte in Kliniken bzw. von Hausarztpraxen pflegefachlich umgesetzt? Dieser Frage ging Prof. Dr. phil. Susanne Grundke aus Saarbrücken gemeinsam mit dem Allgemeinarzt Prof. Dr. med. Andreas Klement aus Halle (Saale) nach. “Leider fanden wir in unserer Untersuchung zahlreiche Sollbruchstellen”, berichtete Grundke.
Diese betreffen die Umsetzung der Arzneimittelapplikation, eine wenig standardisierte Kommunikation und fehlende oder verloren gegangene Informationen für die mitbehandelnden Ärzte. Beispielsweise bereitete es den Pflegefachkräften häufig Schwierigkeiten, das Insulin fachgerecht zu lagern, vorzubereiten (schwenken) und an der richtigen Körperstelle im Sinne eines Rotationsplans zu injizieren.
“Zudem waren die im Rahmen der Studie entdeckten Wissensvorräte zu Diabetes mellitus zum Teil über zehn Jahre alt!”, erklärte die Pflegewissenschaftlerin. Pflegeeinrichtungen sind zwar ebenfalls zu Fortbildungen verpflichtet, doch hier achtet der medizinische Dienst der Krankenkassen oft nur darauf, dass ein Vertreter des Hauses teilnimmt. Wie Grundke berichtete, herrscht daher häufig das Prinzip der stillen Post – eine Pflegefachkraft geht zur Fortbildung und vermittelt dieses Wissen dann (hoffentlich) vollständig und korrekt an die übrigen Mitarbeiter. “Warum müssen sich Pflegekräfte nicht standardisiert und regelmäßig fortbilden?”, fragte Grundke.
Weiterhin wurden zahlreiche Missverständnisse zwischen den behandelnden Berufsgruppen offenkundig. Etwa bei der Durchführung der ärztlichen Verordnungen: “Pflegekräfte dürfen nur diejenigen Verordnungen umsetzen, die in der Pflegedokumentation stehen”, führte Grundke aus. Selbst für kleinste Korrekturen bezüglich der Insulingabe sind sie verpflichtet, einen Bereitschaftsarzt zu holen oder jemanden, der die Verordnung entsprechend ändert.
Therapieziele kommunizieren
“Meine nachdrückliche Bitte ist, informieren Sie die Pflegefachkräfte über Ihre Therapieziele und stellen Sie gemeinsam sicher, dass Ihr Ziel mit dem der Pflege synchronisiert ist”, betonte Grundke. Damit lasse sich zugleich die oft mangelhafte Risiko- und Situationseinschätzung der Pflegefachkräfte verbessern. Diese berichteten anlässlich der bereits erwähnten Studie, dass sie sich häufig unsicher seien, in welcher Situation sie den Arzt benachrichtigen müssen – wann also zum Beispiel der Blutzuckerwert einen kritischen Wert erreicht, über den der Arzt Bescheid wissen muss.
Oft tun sich Pflegefachkräfte auch schwer damit, eine Hypoglykämiewahrnemungsstörung zu erkennen. “Sie würden sehr davon profitieren, wenn sie darüber instruiert würden, welche Beobachtungskriterien wichtig sind, um eine Hypoglykämiewahrnemungsstörung zu detektieren und entsprechend zu berichten”, erklärte Grundke.
Seitens der Patienten ist die Vielfalt der Informationen zur Diabetes-Therapie verwirrend. Im schlechtesten Fall hören sie an verschiedenen Orten unterschiedliche oder gar widersprüchliche Aussagen – etwa im Krankenhaus, der primärärztlichen Versorgung oder der häuslichen bzw. langzeitstationären Pflege. “Darunter leidet die Therapietreue der Patienten”, konstatierte Grundke. Denn in der Folge würden die Patienten häufig ihre Pens zur Seite legen oder eigenmächtig zu einer altvertrauten Therapie greifen. Über die verschiedenen Versorgungsorte hinweg abgestimmte Beratungs- und Schulungsinhalte sind daher dringend erforderlich.
Gemeinsame Leitlinien, gemeinsame Sprache
Laut Grundke ist es wichtig, dass Pflegefachkräfte und Ärzte nicht nur gemeinsam an Leitlinien schreiben, sondern diese auch gemeinsam nutzen können (im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaften, AWMF). Denn für Pflegefachkräfte sind derzeit nicht die Leitlinien sondern Expertenstandards bindend, die vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung (DNQP) in der Pflege herausgegeben werden.
Die aktuelle S2k-Leitlinie “Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter” richtet sich aufgrund des Pflege-Kapitels nun gezielt auch an Pflegefachkräfte und ist somit “richtungsweisend für die Formulierung interdisziplinär gemeinsam abgestimmter Ziele bei der Versorgung geriatrischer Patienten mit Diabetes”, so Grundke. Diese Ziele umfassen beispielsweise die Wundversorgung, die Schmerzerfassung oder die Erfassung der Mobilität und Sturzgefahr. “Die gemeinsame Wundversorgung birgt die Chance, die Wundcharakteristika mit den selben Assessmentinstrumenten einzuschätzen”, verdeutlichte die Pflegewissenschaftlerin. Gleiches gelte für die kognitiven Fähigkeiten, die mit Worten nur zu umständlich zu beschreiben seien.
Um die motorischen und kognitiven Leistungen zu bewerten, könne man zum Beispiel gemeinsam den Funktionalen Selbständigkeitsindex (FIM) nutzen. Damit lasse sich der Zustand des Patienten anhand eines Punktwerts unkompliziert und objektiviert darstellen. Dieses vereinheitlichte Vorgehen würde auch den Wechsel des Patienten in ein anderes Versorgungsfeld vereinfachen bzw. die Dokumentationsarbeit erleichtern. “Eine berufsgruppen-übergreifende ‘gemeinsame Sprache’, miteinander abgesprochene Fallplanung und gemeinsam genutzte Einschätzungsinstrumente könnten die Zusammenarbeit deutlich verbessern und Missverständnisse reduzieren”, resümierte Grundke.
Quelle: Veranstaltung “Diabetes grenzenlos” am 8.2.2019 in München
Literatur: Grundke S, Klement A. Insulintherapie im Alter: Eine qualitative Versorgungsstudie. Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2015, 24 (1): 11-17