In den letzten fünf Jahrzehnten haben sich unsere Umwelt und unser Lebensstil derart rasant verändert wie nie zuvor. Trotz der hervorragenden Fortschritte in der medizinischen Versorgung ist eine deutliche Zunahme chronischer Krankheiten zu verzeichnen, insbesondere die Zahl der neurodegenerativen Krankheiten und Tumorerkrankungen wächst kontinuierlich.
Allen chronischen Krankheiten ist gemeinsam, dass sie aus dem Zusammenspiel von Umweltfaktoren, Lebensstil und individueller Disposition entstehen. Vor allem Umweltfaktoren sind nach internationalen Studien maßgeblich an der Entstehung verschiedener Krankheiten wie Atemwegserkrankungen und koronaren Herzkrankheiten beteiligt. Es treten häufig Beschwerdebilder auf, deren Auslöser in der Exposition gegenüber vielfältig vorkommenden ubiquitären Fremdstoffen vermutet werden.
Individuelle Unterschiede
Die individuelle Suszeptibilität eines Menschen für die Entstehung einer Krankheit ist vor allem genetisch determiniert, denn es ist immer wieder zu beobachten: Bei gleicher Exposition gegenüber ubiquitär vorkommenden Fremdstoffen und vergleichbarem Lebensstil erkranken nicht alle Menschen gleichermaßen.
Die differenzialdiagnostische Einordnung von Patienten mit unklaren chronisch-entzündlichen Krankheiten hinsichtlich ihrer
genetisch bedingten Entgiftungsfähigkeit ist eine sinnvolle Vorgehensweise. Mithilfe einer einfachen Blutentnahme kann eine genetische Untersuchung durchgeführt werden.
Die Rolle der Gene
Im Jahr 2003 wurde die Entschlüsselung des menschlichen Genoms abgeschlossen. Wesentliches Ergebnis des humanen Genomprojekts war vor allem die Erkenntnis, dass Krankheiten nur in wenigen Fällen in einem kausalen Zusammenhang mit einem einzelnen Gen stehen. Vielmehr wurde deutlich, dass die Heterogenität eines Krankheitsbildes durch Sequenzvarianten verschiedener Gene geprägt ist.
Den angeborenen Sequenzvarianten in Enzymen des Fremdstoffmetabolismus kommt bei der Variabilität des individuellen Stoffwechsels und bei der Suszeptibilität gegenüber Krankheiten eine besondere Rolle zu. Sind Sequenzvarianten in Genen lokalisiert, die Einfluss auf den Stoffwechsel, Transport oder die Ausscheidung von Fremdstoffen haben, erhöht eine genetisch bedingte Fehlfunktion die Sensitivität gegenüber zahlreichen ubiquitären Substanzen.
Unterschiede in der Entgiftung
Seit dem Beginn der Entschlüsselung des menschlichen Genoms in den 1990er-Jahren wurden zahlreiche Gene identifiziert, deren Enzyme am Stoffwechsel endogener und exogener Substanzen beteiligt sind.
Die Glutathion-Konjugation ist ein essenzielles Entgiftungsprinzip, das genetisch geprägt ist. Glutathion ist ein essenzielles Tripeptid und besteht aus den Aminosäuren Glycin, Glutaminsäure und Cystein. Es wird vom menschlichen Organismus selber synthetisiert und zählt zu den wichtigsten Antioxidanzien des Körpers. Glutathion schützt Zellen vor oxidativem Stress und geht bei seinem Verbrauch von der reduzierten Form in den oxidierten Zustand über.
Eine besondere Rolle in der Entgiftung kommt den Phase-II-Enzymen der Glutathion-S-Transferasen (GST) bei der Ausscheidung von Fremdstoffen zu: Es handelt sich um den wichtigsten Stoffwechselweg, der zur Ausscheidung beiträgt. Durch die Konjugation eines (Fremd-)Stoffes mit Glutathion mittels Gluthathion-S-Transferasen wird die Wasserlöslichkeit und Ausscheidungsfähigkeit der Substanz erreicht. Zu den wichtigsten im Zytoplasma gelösten Glutathion-S-Transferasen zählen u. a. die Enzyme der Klassen mu (GSTM1), pi (GSTP1) und theta (GSTT1). Allen ist gemeinsam, dass in den Genen Sequenzvarianten vorliegen können, die zu einer Funktionsänderung im Sinn eines Funktions-verlusts führen. Eine genetisch bedingt reduzierte bzw. fehlende Enzymaktivität führt dann zu einer verzögertEn bzw. fehlenden Glutathion-Konjugation der auszuscheidenden Substanz. Die fehlende bzw. reduzierte Konjugation von Fremdstoffen mit Glutathion führt in der Folge zu einer Akkumulation von ausscheidungsbedürftigen Stoffen im menschlichen Körper. Langfristig führt die Anreicherung endogener und exogener Substanzen zu einem physiologischen Ungleichgewicht. Es resultiert eine zellulär erhöhte Toxizität mit den Folgen eines verstärkten oxidativen/nitrosativen Stresses und dem vermehrten Verbrauch antioxidativ wirkender Substanzen wie Vitaminen, Aminosäuren und Spurenelementen.
Reaktionspartner der Glutathion-S-Transferasen sind aufgrund einer geringen Substratspezifität zahlreiche Xenobiotika und deren Metabolite. Zu den Reaktionspartnern zählen u. a. Benzpyren des Tabakrauchs, Organophosphate aus Pestiziden und Insektiziden, Lösemittel, Toxine der Schimmelpilze u. v. a. m.
Das gleichzeitige Fehlen der Gene GSTM1 und GSTT1 tritt in der deutschen Bevölkerung mit einer Häufigkeit von etwa 7 bis 8 Prozent auf. Träger der Deletionen beider Gene können dementsprechend keines der beiden Enzyme exprimieren und haben somit den größten Nachteil in der Konjugation von Fremdstoffen mit Glutathion (Abb. 1). Die fehlende Entgiftungskapazität ist mit einem zellulären oxidativen Stress assoziiert, was aufgrund einer erhöhten Peroxinitritbildung zu einer verstärkten Zytokinexpression und Entzündungsneigung führt. Daraus resultiert ein erhöhtes Risiko für das Entstehen chronisch entzündlicher Krankheiten, beispielsweise aus dem Formenkreis der neurodegenerativen Erkrankungen. Eine zunehmende Zahl wissenschaftlicher Publikationen zeigt, dass die fehlende Glutathion-Konjugation von (Fremd-)Stoffen einen elementaren Pathomechanismus in der Entstehung von chronisch-entzündlichen Krankheiten darstellt.
Genetisch bedingte Entgiftungsstörungen
Nach Ausschluss internistischer, endokrinologischer, kardiologischer, neurologischer, onkologischer, psychiatrischer und anderer Ursachen werden oft umweltassoziierte Auslöser der Symptomatik vermutet. Als Beschwerden werden Symptome genannt, die dem chronischen Erschöpfungssyndrom, der multiplen Chemikaliensensitivität und/oder der Fibromyalgie zugeordnet werden.