Es war der 14. Mai 1796, als der englische Landarzt Edward Jenner sein Experiment wagte. Er hatte beobachtet, dass Melkerinnen, die sich mit Kuhpocken infiziert hatten, nie an den menschlichen Pocken, dem Schrecken der damaligen Zeit, erkrankten. Er hatte lange überlegt und war überzeugt, dass hier der Schlüssel zum Schutz vor den Pocken lag.
Also hatte er einen Bauern gebeten, ihm seinen Sohn, den achtjährigen James Phibbs, für ein Experiment zur Verfügung zu stellen. Er entnahm Material aus einer Kuhpocken-Läsion einer Melkerin und inokulierte den Jungen damit. James entwickelte Fieber und leichte Schmerzen in den Achseln. Neun Tage nach der Inokulation fühlte er sich kalt und war appetitlos, doch am zehnten Tag ging es ihm viel besser.
Im Juli inokulierte Jenner den Buben wieder, diesmal mit Material aus einer frischen Menschenpocken-Läsion. Es kam zu keiner Erkrankung. Der Junge war also geschützt vor den gefürchteten Pocken, folgerte Jenner.
Natürlich war dieses Experiment ethisch fragwürdig, denn Jenner hatte vorher nicht hundertprozentig wissen können, ob sein Versuch wirklich erfolgreich sein würde. Aber er hatte Glück und seine Methode ermöglichte eine sichere, aktive Immunisierung gegen Menschenpocken.
Die Pocken sind eine uralte Krankheit. Es wird vermutet, dass sie bereits um 10.000 v. Chr. bei den ersten Bauern in Nordost-Afrika vorkamen. Ägyptische Mumien aus der Zeit von 1570 bis 1085 v. Chr. zeigen die frühesten bekannten Pocken-ähnlichen Hautläsionen.
Offenbar haben Händler des alten Ägyptens die Pocken weiter verbreitet. Denn zur selben Zeit war die Krankheit auch in Asien bekannt: Um 1122 v.Chr. wurden die Pocken in China beschrieben. Auch in indischen Texten aus dieser Zeit ist die Infektion erwähnt.
Pocken waren die “neue Pest”
Nach Europa kamen die Pocken zwischen dem fünften und dem siebten Jahrhundert. Im Mittelalter gab es immer wieder Epidemien. Die Krankheit verschwand nie. Im 18. Jahrhundert gab es eine neue Epidemie. In Europa starben jährlich 400.000 Menschen an den Pocken. Zwischen 20 und 60 Prozent der Infizierten starben.
Bei Kleinkindern lag die Letalitätsrate noch viel höher: Um 1800 lag sie in London bei fast 80 Prozent und in Berlin sogar bei 98 Prozent. Die Überlebenden waren durch Pockennarben entstellt. Ein Drittel der Überlebenden waren blind. Die Pocken hatten die Pest als die schlimmste Epidemie abgelöst.
Dass diejenigen, die die Pocken überlebt haben, nicht wieder erkranken, war schon lange bekannt. Bereits aus dem fünften Jahrhundert gibt es Berichte, dass sich Überlebende um die frisch Erkrankten kümmern mussten. Auch die Inokulation oder Variolation war zu Jenners Zeit eine alte Therapie.
Die Praxis war unabhängig in verschiedenen Ländern zu Zeiten von Pockenepidemien entwickelt worden, etwa in Indien, China und auch in Afrika: Dabei wurden kleine Mengen Eiter aus einer Pockenpustel durch einen Schnitt auf einen gesunden Menschen übertragen. Das sollte diesen vor den Pocken schützen. Das war jedoch nicht ohne Risiko: Die Letalitätsrate der Variolation lag bei 0,5 bis 2 Prozent.
In Europa wurde die Variolation Anfang des 18. Jahrhunderts bekannt. Katharina die Große und ihr Sohn ließen sich so behandeln – und blieben von den Pocken verschont. Dennoch setzte sich die Variolation nicht richtig durch. Vor allem auf dem Land wurde weiter versucht, Pockenpatienten etwa mit Heilpflanzen oder Kältetherapie zu behandeln.
Erst Jenners Ansatz, Material aus den harmloseren Kuhpocken statt Eiter aus Menschenpocken zu inokulieren, brachte den Erfolg. Begeistert berichtete er 1797 der Royal Society von seiner Entdeckung. Doch es hieß, er habe nicht genug Beweise. Also machte Jenner weiter. Er impfte noch 23 Personen, darunter seinen elf Monate alten Sohn.
Immer mit demselben positiven Ergebnis. Er nannte seine Methode Vaccination nach dem lateinischen Wort für Kuh, “vacca”, und beschrieb sie in einem Buch, das er 1798 selbst publizierte. Jenner fuhr nach London, um dort Freiwillige zu impfen. Niemand nahm das Angebot an. Die Öffentlichkeit und seine Kollegen waren skeptisch. In der Presse machte man sich über den Landarzt aus Gloucestershire lustig. Karikaturen zeigten Menschen, denen nach der Impfung Kuhköpfe wuchsen.
Dennoch setzte sich Jenners Impfung durch. Der Erfolg sprach eben für sich. Ende 1801 waren in Großbritannien bereits 100.000 Menschen geimpft. Ab 1800 wurde die Methode auch in den meisten anderen europäischen Ländern bekannt. Die Ersten waren im Jahr 1799 die Österreicher.
Und die Zahl der Pockeninfektionen begann überall deutlich zu fallen. 1853 machte ein Beschluss des britischen Parlaments die Pockenschutzimpfung verpflichtend. In Deutschland wurde ab 1874 mit dem Reichsimpfgesetz die Pockenschutzimpfung für alle Kinder zwischen einem und zwölf Jahren zur Pflicht.
Doch damit waren die Pocken nicht ausgerottet. Mitte des 20. Jahrhunderts erkrankten weltweit immer noch 10 bis 15 Millionen Menschen, zwei Millionen von ihnen starben. 1966 begann die WHO mit einer zehnjährigen Impf-kampagne, um die Pocken endgültig auszurotten. Mit Erfolg: Der letzte natürliche Fall trat im Oktober 1975 auf.
Am 8. Mai 1980 erklärte die WHO die Welt für Pocken-frei und empfahl, die Pockenimpfung in allen Ländern einzustellen. Nur in einem Labor in den USA und in einem zweiten in Russland lagern noch Pockenviren – bis heute.
Louis Pasteur setzte auf die Impfung
Einer der Begründer der Bakteriologie war der Franzose Louis Pasteur (1822 bis 1895). Er beschäftigte sich nicht nur mit Infektionskrankheiten und ihren Erregern, sein Interesse galt vor allem der Verhütung dieser Krankheiten. Dabei trat er bewusst in Edward Jenners Fußstapfen: Pasteur setzte auf die Impfung.
1880 gelang ihm als erstes, eine Impfung gegen die Hühnercholera herzustellen. Ein Assistent hatte Hühnern versehentlich eine alte, verdorbene Kultur des Virus gespritzt. Dadurch bekamen sie milde Symptome, starben aber nicht. Sie schienen immun geworden zu sein. Das gab den Anstoß zur Vakzine.
Schon ein Jahr später entwickelte Pasteur einen wirksamen Impfstoff gegen Milzbrand, dessen Erreger (Bacillus anthracis) Robert Koch 1876 entdeckt hatte. Wieder vier Jahre danach gelang ihm ein ganz großer Wurf: eine Vakzine gegen Tollwut. Damit konnten Menschen zum ersten Mal vor dieser immer tödlichen Infektion geschützt werden.
Pasteurs Werk ist allerdings umstritten. Erst 1971 konnten Wissenschaftler seine Labornotizen einsehen. Es stellte sich heraus, dass Pasteur seine Ergebnisse oft geschönt oder sogar gefälscht sowie Entdeckungen von anderen als seine eigenen ausgegeben hatte.