Selbst Patienten, denen Sport und Bewegung medizinisch angeraten werden, nutzen diese Gesundheitsressource nicht: 65 Prozent der Krebs- und Diabetespatienten, 79 Prozent der Brustkrebspatientinnen und 58 Prozent der Herzkreislauf-Kranken sind körperlich zu wenig aktiv. Das zeigen Daten des sportwissenschaftlichen Department der Universität Erlangen-Nürnberg. Kann eine “Verordnung” das ändern?
2012 haben Bundesärztekammer (BÄK), Deutscher Olympischer Sportbund und die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin das “Rezept für Bewegung” ent- wickelt. Ein Rezept, so die Hoffnung, könnte die Patienten stärker zum Sporttreiben motivieren als ein mündlicher Rat.
Jeder zweite Patient suche sich ein konkretes Bewegungsangebot in einem Verein aus, wenn er vom Arzt beraten wird und ein “Rezept für Bewegung” erhält, verweist die BÄK auf eine Patientenbefragung aus Hessen.
In 13 Bundesländern können Ärzte bislang per Rezept ein spezifisches Training – zum Beispiel für das Muskel-Skelett-System – verordnen. Patienten finden passende Angebote im Portal www.sportprogesundheit.de des Landessportbundes. Allerdings müssen sie die Kosten oft selbst tragen, einige Krankenkassen zahlen auf Antrag einen Zuschuss.
Laut BÄK kennt ein Viertel der befragten Ärzte aus Bayern und Nordrhein-Westfalen das “Rezept für Bewegung” und von diesen würde mindestens jeder Dritte es auch ausstellen. Nicht dabei sind Sachsen, Sachsen-Anhalt und das Saarland.
30 Minuten pro Tag
Dass Bewegung guttut, wissen Experten und Laien längst. Nach den “Nationalen Bewegungsempfehlungen” des Bundesministeriums für Gesundheit sollen sich gesunde wie chronisch kranke Erwachsene entweder 2,5 Stunden pro Woche mit moderater Intensität oder 1,5 Stunden pro Woche mit hoher Intensität bewegen.
Es reicht also, täglich 30 Minuten eine sanfte Sportart wie Nordic Walking auszuüben oder an einem Tag in der Woche 1,25 Stunden lang intensiv zu trainieren (etwa schnelles Laufen).
Dennoch bewegt sich nur ein Drittel der Deutschen nach Angaben des Robert Koch Instituts ausreichend. In jeder dritten Familie, so die AOK-Familienstudie 2018, spielt körperliche Aktivität in der Freizeit keine Rolle.
“Wir brauchen eine echte politische Verortung der Bewegungsförderung auf Bundesebene, beispielsweise durch ein Bundesamt für Bewegung”, forderte Prof. Klaus Pfeifer, Leiter der sportwissenschaftlichen Abteilung der Universität Erlangen-Nürnberg, auf dem Reha-Kolloquium 2018 von Gesundheitspolitikern.
Bislang ist die Reha der einzige Sektor, in dem Bewegungsförderung und körperliches Training als therapeutische Leistungen anerkannt sind. Rund 60 Prozent aller Leistungen der medizinischen Reha sind der Bewegungstherapie zuzuordnen.
Aufwind könnte das “Rezept für Bewegung” womöglich durch das jüngste Gutachten des Sachverständigenrates für die Entwicklung im Gesundheitswesen bekommen. Schließlich empfiehlt das Gremium, speziell Rückenschmerz-Patienten verpflichtend aufzuklären und zwar “über den (nur begrenzten) Nutzen von Bildgebung sowie die Bedeutung von Bewegung und Physiotherapie”.