PRO: "Jeder Infizierte muss behandelt werden"
Prof. Peter Malfertheiner, Universitätsklinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Magdeburg
In Deutschland sind 48 Prozent der Erwachsenen mit H. pylori infiziert. Der Keim kann von der Mutter aufs Kind übertragen werden. Das Bakterium verursacht immer eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut und gilt als wichtigster Risikofaktor für ein Magenkarzinom. Die chronische Gastritis durch Helicobacter wird als Infektionskrankheit klassifiziert und gemäß Kyoto-Konsensus Report [1] empfiehlt sich die Eradikation des Keimes vor dem Auftreten von präneoplastischen Konditionen. Die Mehrzahl der H. pylori-Träger hat zunächst keine Symptome, die chronische Gastritis kann aber im Laufe der Jahre zu Dyspepsie, Ulkus im Magen und Duodenum sowie Neoplasien (Magenkarzinom, Malt-Lymphom) führen.
Viele Betroffene zeigen die Antrum-betonte Gastritis mit erhöhter Säuresekretion, dyspeptischen Symptomen und Prädisposition für Ulcus duodeni. Etwa 10 Prozent der Infizierten entwickeln eine atrophische Gas-tritis mit verminderter Säuresekretion – sie tragen ein erhöhtes Risiko für das Magenkarzinom. Für die Ausprägung der H. pylori-Gastritis spielen Zeitpunkt und Dauer der Infektion, bakterielle Virulenz, genetische Prädisposition des Wirts aber auch Umweltfaktoren (Rauchen, Ernährung) eine Rolle. In Deutschland erkranken etwa 19.000 Menschen jährlich an einem Magenkarzinom – die Fünf-Jahresüberlebensrate beträgt trotz intensiver Therapie nur 30 Prozent [2].
Von allen Infektionsursachen einer malignen Erkrankung steht Helicobacter an erster Stelle: 90 Prozent der Magenkarzinome gehen auf den Primärfaktor Infektion zurück [3]. Ich bin daher für die totale Entfernung des Keims aus dem menschlichen Magen.
Auch asymptomatische Patienten profitieren
Daten belegen den Zusammenhang zwischen Helicobacter-Eradikation und Krebsinzidenz [4]: So sank bei Infizierten nach der Eradikation das Risiko für ein Magenkarzinom signifikant und auch asymptomatische H. pylori-Träger profitierten von der Maßnahme. Die Expertengremien* sind sich einig: sie raten dazu, allen Infizierten – auch asymptomatischen Patienten mit H. pylori-Gastritis eine Eradikationsbehandlung anzubieten.
Sollen wir alle auf H. pylori testen? Ich sage ja! Ist einer der Tests (Stuhl, 13-C-Harnstoff- Atemtest, Serum) positiv, liegt eine Gastritis vor.
Screening und Risikoevaluation
Das Magenkarzinom tritt eher spät im Leben auf, so bietet sich die Chance für eine serologische Risikoevaluation. Der Bluttest mit Bestimmung der H.pylori-Antikörper und von Pepsinogen ist als Screeningtest geeignet, um atrophische Veränderungen der Magenschleimhaut aufzuspüren, die dann endoskopisch abgeklärt werden müssen. Bei H. pylori-positiven Patienten mit niedrigem Pepsinogen im Blut würde ich gastroskopieren, weil der Flurschaden schon weit fortgeschritten sein könnte. Ist aber das Pepsinogen normal, kann über den Atemtest geprüft werden, ob der Patient noch infiziert ist.
Vierfach-Therapie mit Bismut
Makrolide und Chinolone werden in Deutschland großzügig verschrieben, so dass Antibiotika-Resistenzen möglich sind. Spätestens ab dem zweiten Therapieversagen sollte auf Resistenz getestet werden. Die DGVS empfiehlt bei niedriger Wahrscheinlichkeit für eine primäre Clarithromycin-Resistenz (< 15 Prozent ) in der Erstlinie eine Standard-Dreifachherapie (z.B. mit Amoxi- cillin plus Protonenpumpenhemmer) oder eine Bismut-basierte Vierfach-Therapie. Ich favorisiere die Quadrupeltherapie mit Omeprazol, Bismut, Metronidazol und Tetrazyklin – sie dauert nur 10 Tage (Clarithromycin 14d) und es bilden sich gegen Bismut keine Resistenzen.
Fazit: Die Eradikation von H. pylori sollte niemandem vorenthalten werden.
Dirigent im gastrointestinalen Mikrobiomorchester?
Helicobacter dirigiert das gastrointestinale Mikrobiomorchester, glaubt Prof. Malfertheiner: Personen, die nicht mit Helicobacter besiedelt sind, zeigen eine größere Bakterien-Diversität als Infizierte. Manche Probiotika-Mischungen (mit Lactobacillus acidophilus, Bifidobacterium animalis) verbessern die Eradikationsraten und mindern die gastrointestinalen Nebenwirkungen der Intervention [5].
Die Besiedlung mit Helicobacter ist kein Phänomen der Neuzeit: Selbst der 5.300 Jahre alte Mann aus dem Eis, genannt "Ötzi" – dessen Mikrobiom Prof. Malfertheiner untersuchte – hatte bereits einen hoch virulenten Stamm von H. pylori im Magen und litt unter einer entzündeten Magenschleimhaut [6].
*Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Kyoto Konsensus-Report, Europäischer Konsensus Maastricht V/Florenz
KONTRA: "Der Flurschaden ist zu groß"
Prof. Wolfgang Fischbach, Medizinische Klinik II Gastroenterologie, Onkologie, Klinikum Aschaffenburg
Gegen die H. pylori-Eradikation sprechen neben den Kosten auch der Verzicht auf potenziell positive Effekte des Bakteriums. Zudem könnte ein Massenscreening auf H. pylori mit anschließender Eradikation Resistenzen gegen Antibiotika induzieren und einen Selektionsdruck für andere Pathogene bedeuten. H. pylori hat sich über Jahrtausende im menschlichen Magen eingenistet und ist Teil unseres Mikrobioms, so dass sich eine stabile Symbiose entwickelte. Seine Entfernung könnte sich unvorhersehbar auswirken und z.B. das gesunde Mikrobiom beeinträchtigen.
Es gibt Studien, die das Bakterium mit einem reduzierten Risiko für Asthma im Kindesalter und Allergien in Verbindung bringen. Andere sehen eine Assoziation zwischen dem Rückgang von H.pylori und dem Anstieg von Adenokarzinomen des Ösophagus. Die Evidenz für protektive Mechanismen des Bakteriums ist schwach, z. T. widersprüchlich und nicht immer konklusiv.
In einer amerikanischen Studie [7] mit je etwa 5.000 H. pylori-positiven und -negativen Probanden zeigte das Bakterium keinen Einfluss auf die Gesamtmortalität der über 40-Jährigen. Die Mortalität für Schlaganfall sowie Lungenkarzinom war bei den Keimträgern etwas erniedrigt, die Sterblichkeit aufgrund eines Magenkarzinoms allerdings 40-fach erhöht.
Ein Test auf H. pylori sollte nur erfolgen, wenn ein positiver Keimnachweis auch zu therapeutischen Konsequenzen führt. So würde ich einen 75-jährigen Patienten mit Verdacht auf Magenblutung, der bei der Gastroskopie einen unauffälligen Befund zeigt, eher nicht testen.
Eine starke Soll-Empfehlung gemäß der S2k-Leitlinie 2016 [8] zur H. pylori-Eradikation gibt es bei: Ulkus ventrikuli/duodeni, Malt-Lymphom, Vor ASS/NSAR bei Ulkusanamnese, oberer GI-Blutung unter ASS/NSAR sowie bei idiopathischer thrombozytopenischer Purpura (ITP). Zur Magenkarzinom-Prophylaxe und bei asymptomatischer Gastritis sollte und bei funktioneller Dyspepsie kann eine Eradikation erwogen werden.
Fazit: Über den Nutzen einer Eradikation sollte diffenziert und individualisiert entschieden werden.
Quellen:
[1] Sugano K et al. Gut 2015; 64:1353
[2] De Angelis et al. Lancet Oncol 2014; 15(1):23-34
[3] De Martel et al. Lancet Oncol 2012; 13(6): 607-15
[4] Lee Y-C et al. Gastroenterology 2016; 150:1113-1124
[5] McFarland L V et al. United European Gastroenterol J. 2016; 4(4): 546–561
[6] Maixner F. et al. Science 2016; 351(6269):162-5
[7] Chen Y et al. Gut 2013; 62:1262-9
[8] Fischbach W et al. Z Gastroenterol 2016; 54: 327-363