"Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Liebeslust bei Älteren doch erheblich ist und in den letzten Jahren auch bei Frauen über 70 Jahren zunimmt", berichtete Kortus. Warum sollte sie auch aufhören? Viele ältere Menschen sehnen sich nach Liebe und Zärtlichkeit, Lust, Sexualität und Lebendigkeit, betonte der frühere Chefarzt der Gerontopsychiatrie am Zentrum für Psychiatrie, Winnenden.
Tatsächlich geht der Hang zur Sexualität auch im Alter nicht einfach verloren. So erklärten 66 Prozent der befragten Frauen und 80 Prozent der Männer bis zu einem Alter von Mitte 70, Interesse an Sexualität zu haben. Von den über 75-Jährigen bestätigten dies jede vierte Frau und bis zu 50 Prozent der Männer. Eine andere Untersuchung erfasste den Wunsch nach Geschlechtsverkehr in Fünf-Jahresgruppen. Jeweils rund 90 Prozent der Männer von 60 – 64, 65 -69 und 70 – 74 Jahren bejahten diesen Wunsch. Nur bei den ab 75-Jährigen ging der Anteil auf etwa 60 Prozent zurück. Bei den Frauen betrugen die Anteile ca. 90, 80, 60 und 40 Prozent.
Dennoch ist die Sexualität in vielen Fällen gestört oder wird nicht ausgelebt. Das kann bei Frauen unter anderem psychisch bedingt sein (zum Beispiel nach einer Brustamputation) oder auf einer Atrophie der Vaginalschleimhaut mit verringerter Lubrikation und dadurch bedingten Schmerzen beim Verkehr beruhen. Oder schlicht auf dem ausgedünnten Männerangebot im fortgeschrittenen Alter. Bei Männern beinhalten die möglichen Ursachen unter anderem eine erektile Dysfunktion oder eine Prostataresektion mit ungewollten Nebeneffekten. Einschränkungen können zudem auch aus Zivilisationskrankheiten folgen. Dazu zählen die üblichen Verdächtigen, also Diabetes, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, übermäßige Körperfülle und Koronare Herzkrankheit. Abträglich sind darüber hinaus auch Bewegungsmangel, Nikotin- und Alkoholabusus.
Solche Ursachen und Beschränkungen sind aber oft behandelbar oder lassen sich mit Medikamenten oder Hilfsmitteln mildern. Die Therapie obliegt auch dem Hausarzt und dem Geriater, so der Gerontopsychiater. Wobei sie den Arzt durchaus fordern kann: "Es gibt erstaunlich viele Medikamente, die die Sexualität beeinträchtigen können", stellte er fest. Andererseits ändert sich die Sexualität in Partnerschaften häufig mit dem Alter. Der genitale Anteil verliert an Bedeutung, Zuneigung und Zärtlichkeiten werden wichtiger.‘
Viele Senioren trauen sich jedoch nicht, über sexuelle Probleme zu sprechen. Zumal die Gesellschaft dies bei alten Menschen selten ernst nimmt. Häufige Folgen sind Masturbation und Einsamkeit. Helfen können neben dem Arzt auch Paarberater und Sexualtherapeuten, Literatur und das Internet. "Die Beratung", betonte Kortus, "ist ein wichtiger Teil der Hilfe, auch durch den Arzt." Sie erfordert zwar Sensibilität. Es entlastet aber seiner Erfahrung nach Senioren oft schon sehr, wenn man das Thema sexuelle Wünsche einbringt und sie endlich einmal darüber sprechen können.
"Zu einem erfüllten Leben", folgert er, "gehören Liebe und Sexualität." Sie bleiben für viele Menschen auch im hohen Alter ein bedeutsamer Teil ihres Daseins, wie eine 82 Jahre alte Patientin beschreibt: "Es ist keinesfalls so, dass man müde wird und einen die Lust verlässt. Gott sei Dank!"
Quelle: 29. Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), 28.-30.9.2017, Frankfurt am Main