„Ein spät geborenes Kind, aber lieber spät geboren als gar nicht!“ Mit diesen Worten begann die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach die Aussprache zum Präventionsgesetz im Deutschen Bundestag und machte so auf einen besonderen Umstand dieses Gesetzes aufmerksam: Vier Anläufe brauchte die Politik, um den Präventionsgedanken in Gesetzesform zu gießen. Versuch Nummer eins und zwei scheiterten an diversen politischen Differenzen. Der letzte Versuch verschwand in der Diskontinuität, was schlicht bedeutet, er konnte innerhalb der vorhergehenden Legislaturperiode nicht verabschiedet werden und verfiel somit nach Ablauf dieser Periode automatisch.
Das Gesetzgebungsverfahren musste also in der jetzigen Wahlperiode neu angestoßen werden. Die Große Koalition sprach dem Thema große Bedeutung zu und verankerte den Präventionsgedanken tief im Koalitionsvertrag. Diesmal sollte es klappen. Am 10. Juli 2015 war es dann so weit: Die Bundesländer erteilten dem Präventionsgesetz ihren Segen. Damit ist der Weg für den Bundespräsidenten frei, den vierten Anlauf zu diesem Gesetz zu unterzeichnen, damit es in Kraft treten kann.
Die Ziele, die die Politik mit dem Präventionsgesetz verfolgt, sind deutlich formuliert. Ganz oben auf der Liste steht die klare Ansage, lebensstilbedingten Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Schwächen oder Adipositas zu begegnen. Der Schlüssel dazu ist ein gesunder Lebensstil mit ausreichender Bewegung. Der Gesetzesentwurf will die Gesundheitsförderung, angepasst an das jeweilige Alter, gewährleisten und auf alle Lebensbereiche wie KiTas, Schulen und den Arbeitsplatz ausdehnen. „Wir wissen: Wir müssen dort ansetzen, wo die Menschen sind, wo sie zu Hause sind, wo sie sich aufhalten. Nur dann können wir sie mitnehmen“, erklärt Staatssekretärin Fischbach diesen Grundgedanken.
Dazu gibt es zunächst einmal mehr Geld. Krankenkassen sollen künftig jährlich etwa 490 Millionen Euro in die Prävention investieren. Damit stehen jedem Versicherten etwa sieben Euro pro Jahr an Präventionsleistung zur Verfügung.
Prävention in jedem Alter
Auch die betriebliche Gesundheitsförderung hat die Politik im Blick. Gerade kleine und mittelständische Betriebe können künftig mehr für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun. Die betriebliche Gesundheitsförderung wird dazu enger an den Arbeitsschutz gebunden. Bestimmte Personengruppen können Präventionsangebote leichter in Anspruch nehmen, wie beispielsweise Schichtarbeiter oder pflegende Angehörige. Darüber hinaus werden die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu präventiven Gesundheitsuntersuchungen weiter entwickelt.
Dabei sollen individuelle Belastungen und Risikofaktoren, die zu einer Krankheit führen können, genauer überprüft werden. Im Rahmen dieser Beratung ist auch die Klärung des Impfstatus vorgesehen. Dies ist eine Forderung, die auch der Deutsche Hausärzteverband erhoben hat. Allerdings wurde eine große Chance versäumt, eine sinnvolle Strukturierung dieser wichtigen Aufgabe zu schaffen. Die Impfquote lässt sich nur nachhaltig steigern, wenn die Kompetenzen zur Durchführung von Schutzimpfungen bei Hausärztinnen und Hausärzten sowie bei der Impfung von Kindern zuasätzlich bei Kinderärztinnen und Kinderärzten liegt. Diese Bündelung hätte für klare Verantwortlichkeiten gesorgt, die letztlich den Versicherten zugute kommen.
Weiter im Rahmen des Impfschutzes sieht das Präventionsgesetz vor, dass bei der Aufnahme von Kindern in einer Kita die Eltern eine ärztliche Beratung zum Impfschutz nachweisen müssen. Zudem können bei einem Masernausbruch Kinder, die keinen Impfschutz haben und bei denen keine Immunität nachgewiesen werden kann, zeitweise von der Kita ausgeschlossen werden.
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Im Rahmen der Gesundheitsförderung blickt die Politik auf Althergebrachtes. So schreibt sie in die Begründung des Präventionsgesetzes, dass je früher im Leben mit der Gesundheitsförderung und Prävention begonnen wird, desto eher können Risikofaktoren wie mangelnde Bewegung, unausgewogene Ernährung, Übergewicht, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und chronische Stressbelastungen beeinflusst werden.
Dabei geht der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter, denn so heißt es weiter, dass Familien in ihrer Gesundheitskompetenz zu stärken und ein gesundes aufwachsen der Kinder zu fördern, besonders wichtig sei. Ein hehres Ziel, ob es sich mit diesem Gesetz erreichen lässt, muss abgewartet werden. Die Opposition hat hier so ihre Zweifel. Denn die Kommunen seien der Dreh- und Angelpunkt, weil Menschen dort logischerweise ihren Lebensmittelpunkt haben.
Diese werden aber in dem Gesetzestext ausgespart. Das Gesetz setzt dabei auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und füllt ab 2016 ihre Kasse mit rund 16 Millionen Euro. Das Problem: Die BZgA ist eine Bundesbehörde, die nun über Versichertengelder der gesetzlichen Krankenversicherungen mitfinanziert wird und eben nicht über Steuergelder. Auch die privaten Krankenversicherungen bleiben außen vor, obwohl auch ihre Versicherten von der Arbeit der BZgA profitieren. Insgesamt werden private Krankenversicherungen vom Präventionsgesetz kaum eingebunden. Ihre Leistungen zur Prävention erfolgen auf freiwilliger Basis.
Prävention dient in erster Line der Vermeidung von Erkrankungen. Sie richtet sich an alle Bevölkerungsgruppen, Kinder, Jugendliche, Alte, Risikopatienten, aber auch an Otto-Normal-Verbraucher. Streng genommen ist sie damit eine allgemein gesellschaftliche Aufgabe, die nicht nur aus den Töpfen der Gesundheitsressourcen zu stemmen ist. Genau diesen Aspekt blendet der Entwurf aber völlig aus.
Die Herausforderung bleibt Nichtsdestotrotz ist das Präventionsgesetz in vielen Punkten ein erster Schritt in die richtige Richtung. Leider wurde beim so wichtigen Thema Impfen die Chance verpasst, hier für eine sinnvolle Strukturierung mit klaren Verantwortlichkeiten zu sorgen. Dies wäre der richtige Ansatz gewesen, um die Impfquoten dauerhaft zu steigern. Der Weg ist noch lang und der Gesetzgeber weiterhin gefordert, den Präventionsgedanken an den Mann zu bringen.
Wirft man einen Blick auf die Top-Todesursachen liegen Herz-Kreislauf-Leiden auf den vordersten Plätzen. Damit ist klar, dass erste Adressaten für die Prävention Bewegungsmuffel und Fast-Food-Junkies gemeint sind, die es zu erreichen gilt. Das aber dürfte eine echte Herausforderung bleiben.