„Der Enthusiasmus bei der Krebsfrüherkennung ist verflogen“, bringt es Petra Uschold vom GKV-Spitzenverband auf den Punkt – und die meisten Referenten stimmen ihr zu. Also müsse neu justiert werden. Aber wie? An die Stelle von Appellen zu mehr Früherkennung sollte – auch in den hausärztlichen Praxen – das Bemühen um eine informierte Entscheidung der Patienten treten, so die Antwort der Referenten.
Noch immer täuschen sich viele Frauen etwa über den Nutzen der Brustkrebsfrüherkennung. „Ein bis zwei Frauen profitieren im Laufe von zehn Jahren vom Brustkrebsscreening“, referiert etwa Prof. David Klemperer vom Deutschen Netzwerk evidenzbasierte Medizin. „Aber die Frauen überschätzen den Nutzen des Screenings um das 300-fache.“ Hier brauche es noch viel solide Aufklärung, heißt es. So würden im Patientengespräch zum Beispiel die Risiken und das Schadenpotential der Untersuchungen oft gar nicht thematisiert. Ursache für die schlechte Informationslage sind auch unklare oder falsche Aussagen in Flyern und Broschüren, wie Prof. Ulla Walter von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) feststellt.
So fand Walter Behauptungen, wie „Die Darmspiegelung dauert nur wenige Minuten“ oder „Polypen können gefahrlos abgetragen werden“. Oder die Aufklärungsschriften unterschlagen wichtige Informationen. So suche man bei einem Drittel der Flyer und bei einem Viertel der untersuchten Webseiten vergebens die Informationen über den möglichen Schaden der Untersuchung. Stattdessen warnen und appellieren die Broschüren. „So werden zum Beispiel Angst einflößende Formulierungen genutzt, man spricht etwa von tückischen Krankheiten“, kritisiert Walter. Statt aber die Leser zur Untersuchung zu drängen, sei vor allem ihre informierte Entscheidung anzustreben, so der Tenor. Immerhin habe die informierte Entscheidung auch im nationalen Krebsplan, dem die Bundesregierung seit 2008 folgt, „Vorrang vor der Steigerung der Teilnehmerzahlen“, berichtet Dr. Antonius Helou vom Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Auch die Ärzte selbst bräuchten sorgfältigere Informationen. Denn sie wüssten keinesfalls immer, worum es eigentlich gehe, meint Klemperer. So lagen 51 Prozent der Ärzte falsch, als sie folgender Aussage zustimmten: „Nach der Krebsentdeckung durch ein Screening überleben mehr Patienten als bei einer anderen Art der Diagnose“. Klemperer: „So kommen wir nicht weiter!“ Auch ihre Gesprächskompetenz im Shared-Decision-Making müsse ausgebaut werden, um Patienten eine informierte Entscheidung überhaupt zu ermöglichen. Wenn es also um die Neujustierung der Krankheitsfrüherkennung gehe, dann müssten laut Klemperer die Fachgesellschaften ihre Hausaufgaben machen und auch bei der Fortbildung nachjustieren. „Wenn man die ernüchternden Erfolgszahlen der Screenings sieht, müsste das doch wie ein Donnerhall durch die Fachgesellschaften gehen!“
Quelle: Neujustierung der Krankheitsfrüherkennung, Hauptstadtkongress, Berlin, 12.06.2015