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Hausarzt MedizinOsteoporose – Lebenslang therapieren!

Die Osteoporose ist eine chronische Erkrankung. Daher will dieser Artikel auf einige Faktoren aufmerksam machen, die in der langfristigen Begleitung der Patienten eine Rolle spielen.

Osteoporose steht im Hinblick auf die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen auf einer Höhe mit Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, findet aber keinen vergleichbaren Widerhall, weder bei uns Ärzten noch bei den Betroffenen. Röntgenuntersuchungen im Rahmen wissenschaftlicher Studien haben ergeben, dass ca. zwei Drittel der Wirbelkörperfrakturen bisher nicht entdeckt wurden. Nach epidemiologischen Daten erhält nur eine Minderheit der Osteoporosepatienten eine leitliniengerechte Therapie. Es gibt also noch viel Luft nach oben.

Die Assoziation von Osteoporose mit dem Älterwerden legt ihre Einordnung in die Gesetzmäßigkeiten der Altersmedizin nahe. Dabei ist der altersassoziierte Abbau von Muskeln und Knochen in hohem Masse interindividuell unterschiedlich, und stark abhängig vom Lebensstil, d. h. vor allem von täglichen Bewegungsmustern und der Ernährung. Älter werden ist nach Maßgabe der habituellen Bewegungsmuster mit dem Abbau von Muskeln (Sarkopenie) und Knochen (Osteoporose) und funktionell mit einer Verschlechterung der neuromuskulären Kompetenz korreliert. Wir konnten in einer 10-jährigen Longitudinalstudie nachweisen, dass auch ohne spezifische Medikation der Knochenverlust an den unteren Extremitäten nicht obligat ist, sondern bei einem nicht unerheblichen Teil aktiver Älterer Knochenmasse und -festigkeit zwischen dem 67. und 77. Lebensjahr konstant bleiben können.

Diagnose

Am Anfang stehen wie immer Diagnose und Therapievorschläge. Die differenzialdiagnostische Abklärung verlangt die fachübergreifende Zusammenarbeit, z. B. mit radiologischer, endokrinologischer, rheumatologischer oder gastroenterologischer Einbindung.

In der medizinischen Primärlinie geht es aber zuerst um eine möglichst frühe Diagnostik. Das triviale „früh dran denken” kann segensreich sein. Es gibt wissenschaftlich validierte Fragebögen zur Identifikation der Risikofaktoren (siehe Zusatzmaterial). Das „daran denken” bezieht sich auch auf die Diagnose von Wirbelkörperfrakturen, die häufig eine Erstmanifestation sind, und an die bei allen Rückenschmerzen gedacht werden muss, die in Dauer und Ausprägung vom Üblichen abweichen. Die Indikation zur Nativröntgenaufnahme von Brust- und Lendenwirbelsäule sollte also (groß)zügig gestellt werden.

Ebenso wichtig ist der Zugang zur dualen Pathogenese der osteoporoseassoziierten Frakturen, die sich ja aus der Kombination von verminderter Knochenfestigkeit und erhöhter Sturzfrequenz ergeben. Deshalb gehört die Sturzprävention mit zur Betreuung von Osteoporosepatienten. Die quantifizierende Diagnostik der neuromuskulären Kompetenz und des Sturzrisikos ist nötig, um motorisch-funktionelle Therapien zu planen und zu evaluieren.

Die simple Frage nach der Zahl der Stürze im letzten Jahr ist ein erster Schritt, der zudem eine wissenschaftlich gut belegte Vorhersagekraft hat. Zwei oder mehr Stürze sollten Anlass zur weiteren Abklärung sein. Zum Sturzrisikoassessment hier nur ein rudimentärer Hinweis: Wer den Tandemstand (Abb.1) nicht 10 Sekunden halten kann, hat in den kommenden 10 Jahren ein um den Faktor 10 (!) erhöhtes Risiko, eine Hüftfraktur zu erleiden. Mehrfach täglich in den Tag eingestreute spezifische Balanceübungen verbessern die Haltungskontrolle eindrucksvoll innerhalb weniger Wochen, und sollten in der zweiten Lebenshälfte deshalb als präventive Gewohnheit lebenslang beibehalten werden (Beispielübung aus den „Fünf Esslingern“ siehe Zusatzmaterialien).

Intuitiv ist die klinische Diagnose einer relevanten Gehstörung : Kernpunkt ist die erhöhte zeitliche Variabilität, also eine erhöhte Unregelmäßigkeit der Bewegungsabläufe = verstärkte Schrittvarianz, Verlangsamung, veränderte Rumpfschwankungen und Schrittbreite. Diese Parameter sind zuverlässige, allerdings späte Zeichen der Sturzgefahr. Kein anderer Messwert ist so eng mit nahezu jedem altersbezogenen Negativereignis verknüpft wie die Gehgeschwindigkeit.

Morbidität, Mortalität, Eintritt der bleibenden Pflegebedürftigkeit sind wie Stürze und Frakturen robust, zuverlässig und quantitativ (!) mit der „üblichen“ Gehgeschwindigkeit korreliert (Durchführungsanleitungen und Formulare des neuromuskulären Assessments gerne auf Anfrage unter mrunge@udfm.de).

Therapeutische Schlussfolgerungen

Entsprechend dem von Julius Wolff schon 1870 formulierten Prinzip, das später von Harald Frost und Webster Jee in der Mechanostat-Theorie quantifiziert wurde, sind die physiologischen Verformungen des Knochens durch den Muskelzug das grundlegende osteoanabole Prinzip. Regelmäßige verformende Krafteinleitungen, von den Muskeln generiert und von Faszien und Sehnen auf die Knochen übertragen, sind der Wirkmechanismus im Regelkreis der Muskel-Knochen-Einheit. Deshalb führt Immobilität, auch graduell und partiell, zur Negativbilanz von Knochenmasse und Knochenfestigkeit, wie an jedem Lebewesen mit Paresen bzw. Plegien beobachtet werden kann.

Um eine Vorstellung von der Höhe der eingeleiteten Kräfte zu gewinnen und die osteoanabole Potenz von Bewegungen abschätzen zu können: Hüpfen auf einem Bein generiert ca. die 3g Bodenreaktionskraft und führt damit zu hinreichenden Verformungen. Schwimmen und Walking sind demnach keine hinreichend osteoanabolen Aktivitäten. Die „rohe Kraft am Knochen“ ist der erforderliche Faktor. Hinzu kommt Flexibilität, wesentlich bezogen auf Fasziengesundheit sowie Koordination respektive Balance.

Die Schmerzkontrolle ist ein weiteres therapeutisches Anliegen, mit starkem Bezug zu Faszien, wie neuerdings zu Recht betont wird. Chronische Schmerzen sind „Muskelfresser“ und damit auch knochenvermindernd.

Individuelle Therapie

Mit individualisierten multifaktoriellen Interventionen ist es gelungen, die Sturzhäufigkeit signifikant zu senken. Motorisch-funktionelle Trainingsverfahren, die Muskelkraft, Muskelleistung und Balance zur Seite verbessern (z. B. Tai Chi, Krafttraining, Balancetraining, seitenalternierende vibratorische Muskelstimulation mit dem Galileo-System) sind nachweislich wirksam für den Erhalt von Muskelkraftspitzen, Knochenfestigkeit, Sturz- und Frakturprävention. Das vom Autor entwickelte Bewegungsprogramm „Fünf Esslinger“ berücksichtigt alle hier vorgestellten Faktoren (Informationen zu Schulungen beim Autor).

Neben Bewegung ist die Ernährung der zweite therapeutisch nutzbare Lebensstilfaktor. Hier herrscht die allseits bekannte Meinungsvielfalt. Gesichert ist die Bedeutung der Vitamin-D-Zufuhr. Ohne hinreichende Vitamin-D-Spiegel ist die Kalziumaufnahme unzureichend. Da (vermehrt nördlich des 50. Breitengrades) der UVB-Anteil im Sonnenlicht nicht ausreicht und Vitamin D in nötigen Mengen nur in fettem Seefisch zu finden ist, gilt uneingeschränkt die Empfehlung, 1000 – 2000 I.E. Vitamin D pro Tag zu sich zu nehmen. Kalzium kann bei hinreichender Vitamin-D-Zufuhr ausreichend durch Getränke (Mineralwässer) und Nahrungsmittel zu geführt werden.

Vitamin-D-Analoga (Alfacalcidol, Calcitriol) sind vielleicht in der Lage, auf der einen Seite die Knochenfestigkeit, sowie andererseits neuromuskuläre Funktionen zu verbessern und so Sturz- und Frakturgefahr zu vermindern, auf jeden Fall bei Niereninsuffizienz. Bei diesem pharmakologischen Ansatz sind keine zeitlichen Begrenzungen anzunehmen.

Dilemma der medikamentösen Therapie

Nach den aktuellen Leitlinien des Dachverbandes der deutschsprachigen osteologischen Gesellschaften ([www.dv-osteologie. org](http://www.dv-osteologie. org)) ergibt sich aus der Kombination von Geschlecht, Alter und per DXA gemessenem T-Wert die medikamentöse Behandlungsschwelle. Die medikamentöse Therapie wird in den Leitlinien tabellarisch aufgelistet. Somit ist im ersten Anlauf alles sehr übersichtlich und wohl begründet.

Ein Problem ergibt sich jedoch aus der Diskrepanz, besser der Aporie zwischen dem lebenslangen Verlauf der Osteoporose und der auf fünf, maximal acht Jahre begrenzten Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der antiosteoporotischen Medikamente. Zudem gibt es keine Evidenz für eine Sequenztherapie. Somit ist es der arbiträren Einstellung der einzelnen Behandelnden überlassen, wie medikamentös (!) nach Ablauf der fünf Jahre vorgegangen werden sollte. Hier soll auf dieses Dilemma aufmerksam gemacht werden, aber nicht ohne energisch darauf hinzuweisen, dass die Patienten ein gutes Recht haben, in der begrenzten Zeit der gesicherten Wirksamkeit den unbestreitbaren Vorteil der medikamentösen Behandlung angeboten zu bekommen, mit der Information, dass durch die Medikation das Frakturrisiko in den nächsten Jahren um die Hälfte reduziert werden kann.

In dieser Situation gilt es, konsequent auf nicht pharmakologische Konzepte zu setzen. In einem ersten Schritt können Patienten auf die Internetseiten des Kuratoriums Knochengesundheit (www.osteoporose.org) und des Osteoporose Selbsthilfegruppen Dachverbandes (www.osd-ev.org) verwiesen werden. Damit ist schon der erste, gar nicht banale Ansatz für die „Therapie“ einer lebenslangen Krankheit angesprochen, der konsequente Hinweis auf die eigene Verantwortlichkeit. Gleichzeitig wird klargestellt, dass die Osteoporose eine genuin hausärztliche Aufgabe ist, als typisches Beispiel für eine pathologische Bedingung, die lebensstilabhängig ist, aber wegen komplexer Zusammenhänge langfristiger ärztlicher Anleitung und Unterstützung bedarf.

Adhärenz fördern

Letztlich muss nach aktuellem Wissensstand der Schwerpunkt der lebenslangen Osteoporosetherapie im nicht medikamentösen Bereich gesehen werden. So wird die Förderung der Adhärenz zum Schlüssel des Erfolgs. Wie diese zu erreichen ist, ist nicht nur bei Osteoporose ein Kernanliegen der hausärztlichen Patientenführung. Hier sind zum einen regelmäßige Messungen der Knochenmasse durch DXA-Messungen und ein Sturzrisikoassessment hilfreich, zum anderen die Anbindung an eine Selbsthilfegruppe. Wer lange leben will, hat eben die Aufgabe, für den Erhalt von Muskeln und Knochen zu sorgen, und dafür diejenigen Ratgeber und Unterstützer zu wählen, die dabei hilfreich sind.

Fazit

  • Frühe Diagnose: Screening mit Risikofragebogen , Röntgen BWS/LWS bei längeren, stärkeren Rückenschmerzen, Sturzrisikoassessment, ggf. Knochendichtemessung mit DXA
  • Differenzierung körperlicher Aktivitäten entsprechend des osteoanabolen Potenzials
  • Förderung lebenslanger, täglicher, gezielter Bewegungsübungen
  • Unterstützung der Eigenverantwortlichkeit durch Hinweis auf Selbsthilfegruppen

Literatur beim Verfasser; Interessenkonflikte: Keine

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