Ärzte werden täglich mit neuen Entwicklungen konfrontiert. Nach einer Umfrage des Ärztenachrichtendienstes (änd) bei Niedergelassenen bekommt knapp die Hälfte der Ärzte (46 Prozent) bereits mehr oder minder regelmäßig Smartphone-Daten zu sehen. Und 97 Prozent davon meinen: Das wird zukünftig noch deutlich mehr. In Diskussionen auf der conhIT 2016 wurde daher vor allem eines klar: Es braucht Qualitätsmaßstäbe. Und die richtigen Rahmenbedingungen, damit die sensiblen Daten nicht missbraucht werden.
Einigkeit herrschte darüber, dass das eHealth-Gesetz dem Prozess der Digitalisierung neuen Schwung verliehen hat. Auch über das Ziel – mehr Effizienz und bessere Qualität – war man sich weitgehend einig. Doch damit sind die Gemeinsamkeiten auch am Ende. Während die etablierten Anbieter über eine vorsichtige Öffnung für digitale Angebote diskutieren, formuliert es der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der IT-Unternehmen im Gesundheitswesen, Matthias Meierhofer, drastisch: "Die Süddeutsche Zeitung sagt: Es gibt keine digitale Wirtschaft in einem analogen Staat. Ich sage: Es gibt kein digitales Gesundheitswesen mit einer analogen Selbstverwaltung."
Das eHealth-Gesetz als Rahmen muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Entsprechend ließ sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Gelegenheit nicht nehmen, für mehr Tempo bei der Digitalisierung zu werben: "Wir wollen die Möglichkeiten der Digitalisierung für eine noch bessere medizinische Versorgung in unserem Land nutzen!", sagt er. Und setzt darauf, bis zum Ende der Legislaturperiode die Möglichkeiten der Elektronischen Gesundheitskarte wesentlich intensiver zu nutzen, als das heute der Fall ist. Mittendrin in diesem Prozess: die Hausarztpraxis.
"Wir müssen jetzt entscheiden", so Gröhe wörtlich, "ob wir Schrittmacher im Prozess der Digitalisierung sind oder Getriebene." Ab Juni 2017 soll die Online-Konsultation als telemedizinische Leistung in den Praxen abrechenbar sein. Damit wird die Kontaktaufnahme mit dem Arzt vor allem in der Nachsorge und in der Kontrolle deutlich erleichtert.
Mittendrin: die Hausarztpraxis
"Es geht darum, solche Anwendungen aus ihrem Inseldasein herauszuholen und sie in die Mitte der Versorgung zu bringen", fordert Gröhe. Um ein beliebtes Gegenargument zu entkräften betont er: "Dazu braucht es zwar standardisierte Technik – aber keinesfalls standardisierte Behandlungspfade."
Die Konkurrenz "Dr. Google" sieht er dabei sportlich: "Auch bei uns in der Bundestagssprechstunde ist es so, dass die Bürger sich vorab schon im Internet informiert haben und mit einer Meinung kommen, was die Politik denn für sie tun könnte." Und weiter: "Viele Therapien erfordern heute den Patienten als aktiven Partner – deshalb sollte es selbstverständlich sein, mit ihm auf Augenhöhe zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen."
Die Vernetzung der Leistungserbringer von betagten Patienten ist ein anderer Bereich, in dem die Praxen gefordert sind. Denn der Wunsch vieler betagter Patienten nach einem selbstbestimmten Leben erfordert ein hohes Maß an Kommunikation und Vernetzung zwischen Pflegeheim oder Sozialdienst, Angehörigen und denen, die sich um die medizinischen Belange kümmern – in Praxis und Klinik.
Erster Schritt Medikationsplan
Der Trend Von Big Data zu Smart Data klingt zunächst einmal nicht nach hoher Relevanz für die hausärztliche Praxis. Doch die Philosophie dahinter lautet: Die oft dezentral bei den verschiedenen Leistungserbringern gespeicherten Daten müssen zum Wohl des Patienten zusammengeführt werden. Ein erster Schritt dorthin ist der Medikationsplan, auf den ab Herbst jeder Patient einen Anspruch hat, der regelmäßig drei oder mehr Medikamente einnimmt.
Und hier muss nicht nur die reibungslose Kommunikation zwischen dem betreuenden Hausarzt und den diversen Fachärzten sichergestellt werden, die der Patient besucht. Häufig kommen rezeptfreie Präparate hinzu und so ist es unabdingbar, auch den Apotheker mit einzubinden. Und zwar unabhängig davon, ob dieser an der nächsten Ecke sitzt oder als Versand-apotheker Online-Bestellungen bedient.
Beim komplexen Thema Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) stellen sich sechs Monate vor Einführung des Medikationsplans noch viele Fragen, die auf der conhIT erörtert wurden. Wer ist federführend beim Medikationsplan? Wo stehen die Vernetzungsaktivitäten der betreuenden Ärzte? Wie fließt die pharmazeutische Kompetenz des Apothekers in den zunächst analogen Medikationsplan ein? Der Weg, die Potenziale in der Arzneimitteltherapiesicherheit voll auszuschöpfen, ist fraglos noch lang und steinig. Wahrscheinlich wird erst die elektronische Patientenakte, die ab 2019 verfügbar sein soll, hier eine umfassende Lösung ermöglichen.
Standards für Online-Konsultation
Was gab es sonst noch auf der conhIT? Der Trend zur Mobilität hat schon alle Bereiche unseres Lebens erfasst und mit ihrem Einzug ins Gesundheits-wesen rückt auch der Wunsch nach Online-Konsultationen in den Vordergrund. Erste Pilotprojekte sind hier unterwegs und man darf davon ausgehen, dass die entsprechenden Abrechnungsziffern dafür sorgen werden, dass diese Form der Arzt-Patienten-Kommunikation immer mehr zur Realität wird.
Voraussetzung sind auch hier Standards, die sicherstellen, dass eine Vernetzung über Sektoren-, System- und Ländergrenzen hinaus möglich ist. Noch einmal Minister Gröhe: "Die Zeit, wo Selbstverwaltung untereinander, aufeinander, Selbstverwaltung auf Industrie, Industrie auf Selbstverwaltung vorwurfsvoll geschaut haben, muss vorbei sein. Wir müssen nach vorne schauen und möglichst bald auch Vorgänge wie das elektronische Rezept in Angriff nehmen, denn so können wir die Möglichkeiten zur Entbürokratisierung am besten nutzen."
Klar ist schon heute: Mobile Lösungen werden ihren Weg in die Versor- gung finden, auch wenn sie nicht zwangsläufig den Regeln und den gesetzlichen Vorgaben folgen. Nicht nur Patienten, auch Krankenversicherungen und Pharmaunternehmen binden Apps und andere digitale Innovatio-nen in ihre Geschäftsmodelle ein – die Grenze zwischen Gesundheits-App und Medizinprodukt ist heute schon fließend. Das macht auch vor den Türen der Hausarztpraxis nicht halt.
Gesundheits-Apps – kaum Belege für Nutzen
Ende April 2016 wurde die Studie Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA vorgestellt – eine Art Bestandsaufnahme zu Gesundheits-Apps. Erstellt hat sie das Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik (PLRI), ein Ableger der Medizinischen Hochschule Hannover.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
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Im Angebot sind hauptsächlich Anwendungen für Prävention und Gesundheitsförderung.
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Produkte mit diagnostischem oder therapeutischem Anspruch sind bisher eher selten.
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Umfassende Belege für den Nutzen sind dünn gesät.
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Ethische Richtlinien für die Entwicklung, Empfehlung und Nutzung von Gesundheits-Apps sollten zügig entwickelt werden. Dazu gehören auch Rahmenbedingungen, bei denen Nicht-Nutzern keine Nachteile entstehen.
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Gesundheits-Apps halten die datenschutzrechtlichen Anforderungen häufig nicht ein.
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Vorhandene Orientierungshilfen bieten erste Anhaltspunkte für Medizinprodukte, decken jedoch nicht den gesamten Bereich der Gesundheits-Apps ab. Keiner der bisherigen Ansätze zur Qualitätssicherung konnte sich durchsetzen.
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Für die Aufnahme von Apps in die Regelversorgung sollte überprüft werden, ob Apps mit den heute üblichen klini-schen Studien evaluiert werden können.
Die Studie kann kostenlos heruntergeladen werden unter: www.charismha.de