Für die Behandlung von Tumorerkrankungen mit realistischen Heilungschancen liegen in der Regel klare, standardisierte Behandlungsrichtlinien der wissenschaftlichen Medizin vor, die wenig Raum für Entscheidungsunsicherheiten lassen. Neue Medikamente, Operationstechniken und präzise Bestrahlungsverfahren – sie alle tragen dazu bei, die Krebsbehandlung nicht nur besser, sondern auch schonender zu machen.
Beim Vorliegen eines solchen kurativen Therapiekonzepts wird versucht, den Patienten von seiner Tumorerkrankung zu heilen. Hierbei werden mitunter erhebliche Nebenwirkungen durch die onkologischen Therapien in Kauf genommen, um die Heilungschancen des Patienten zu verbessern. Eine damit verbundene Einschränkung der Lebensqualität, teilweise auch bleibende Therapiefolgen, werden vom Betroffenen häufig ertragen, so lange die definitive Heilung erreichbar scheint.
Integrative Onkologie
Die integrative Onkologie setzt auf ein enges Zusammenwirken von Schulmedizin und Komplementärmedizin. Der Tenor hierbei ist aber nicht “zurück zur Natur”. Es geht auch nicht darum, die Schulmedizin abzulehnen. Die Komplementärmedizin hilft uns, Dinge zu sehen und zu begreifen, die uns sonst vielleicht entgehen würden. Sie hilft uns, die Medizin auf eine neue Weise zu betrachten – wir erkennen mehr Möglichkeiten in der Behandlung krebserkrankter Menschen als uns die wissenschaftliche Medizin vorgibt.
Selbst wenn die Studien statistisch einwandfrei sind, so ignorieren sie vehement die Tatsache, dass jeder Mensch einmalig ist. Dass seine persönlichen Erfahrungen, sein gelebtes Leben, sein genetisches Erbe, sein Denken und Verhalten eben kein Standardmodell des Menschen zulassen.
Viele komplementäre Methoden, die im Rahmen einer onkologischen Behandlung angewendet werden, richten sich aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes häufig nicht an ein spezifisches Symptom. Sie sind im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts regelmäßig als ergänzende Behandlungsmaßnahmen zu verstehen. Es handelt sich demnach um ein Behandlungskonzept, das unterschiedliche Bereiche der Medizin vereint, beispielsweise um die Nebenwirkungen schulmedizinischer Behandlungen zu lindern. So fließen Akupunktur und Entspannungsübungen ebenso in die Behandlung ein wie Psychotherapie, pflanzliche Arzneien, naturheilkundliche Therapien, Bewegungsübungen, Physiotherapie, künstlerische Gestaltung und Heileurythmie.
Vor allem die östliche Medizin, die Körper und Geist von jeher als Einheit betrachtet, arbeitet durchweg mit einem solchen ganzheitlichen Ansatz, in dem das Zusammenspiel unterschiedlicher Therapiekonzepte die Heilung unterstützt. Ziel dieser Heilungsprozesse ist unter anderem, das Immunsystem zu stärken und den Körper zurück in eine gesunde Balance der inneren Kräfte zu führen. Dass hierbei auch die Ernährung eine wesentliche Rolle spielt, ist für die traditionelle Medizin in Asien eine Selbstverständlichkeit. Für die holistische Denkweise der östlichen Medizin steht es ebenso außer Frage, dass nur die Synergieeffekte der unterschiedlichen Therapien den erwünschten Erfolg bringen können.
Aufeinander abgestimmte Maßnahmen
Je nach Stadium und Behandlung einer Krebserkrankung kommen unterschiedliche Verfahren der Komplementärmedizin in Betracht. Im Rahmen der integrativen Medizin werden konventionelle und komplementärmedizinische Behandlungen aufeinander abgestimmt. Hier bieten sich vor allem die Behandlungsmöglichkeiten der klassischen Naturheilkunde wie Phytotherapie, Hydrotherapie, Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und die Mind-Body-Medizin an. Aber auch Hyperthermie, Anthroposophische Medizin und die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), hier vor allem die Akupunktur, können eine sinnvolle Ergänzung zum konventionellen Ansatz sein.
Individuelle Konzepte
Die Komplementärmedizin nimmt die Grundlagen der evidenzbasierten Medizin an [2], berücksichtigt aber auch deren ursprünglichen Sinn, nämlich eine auf die individuelle Situation und Perspektive des einzelnen Patienten orientierte Anwendung der Medizin. In der Definition von Sackett wird nicht nur auf die Verfügbarkeit der aktuellen, “besten” Evidenz Bezug genommen [3, 4]; in seinen Überlegungen ist die klinische Erfahrung des Arztes ausdrücklich mit inbegriffen.
Der Weg dorthin wird dem onkologischen Patienten im Sinn der integrativen Medizin geebnet. Besonders auch die integrative Onkologie zeigt uns diesen neuen Ansatz für den Umgang mit den Kranken und deren Krankheit.
Es gibt keine allgemeingültige Regel für die Dauer der Therapie oder für ein bestimmtes Verfahren, für die richtige Diät oder körperliche Übung. Es gibt keine Regel, die auf alle Menschen mit einer bestimmten Erkrankung zutreffen würde. Jeder Einzelne ist als Individuum zu behandeln. Der Philosoph Francis Bacon (1561–1626) hat es so ausgedrückt: “Das bei Weitem beste Beweismittel ist die Erfahrung.”
(Neben)Wirkungen
Als wäre die Diagnose “Krebs” für den Patienten nicht belastend genug, plagen Erschöpfung, Schmerzen und Übelkeit als Folge von Operationen, Strahlen- und Chemotherapie den Kranken und schränken seine Lebensqualität bisweilen beträchtlich ein.
Sowohl der Arzt als auch die Patienten stehen vor einer Fülle komplementärer Therapieangebote mit unterschiedlicher Datengrundlage. Bei der vorgesehenen Behandlung müssen auch negative Effekte auf die Tumorerkrankung oder eine Minderung der Wirksamkeit onkologischer Standardtherapien durch komplementäre Therapien berücksichtigt werden [1].
Buchtipp:
Matthias Frank
Komplementärmedizin in der Arztpraxis
Akupunktur, Homöopathie und Naturheilverfahren erfolgreich anwenden
Schattauer 2015
ISBN: 978-3794530793
34,99 Euro
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Literatur
- 1 Gerber B, Scholz C, Reimer T et al. Complementary and alternative therapeutic approaches in patients with early breast cancer: a systematic review. Breast Cancer Res Treat 2006; 95: 199–209.
- 2 Hübner J, Prott FJ, Micke O et.al. Komplementäres und Alternatives: Ohne Vorurteile prüfen. Nur eine vollständige Transparenz schafft die Basis für eine unabhängige Beurteilung und Bewertung. Einen Sonderweg soll und darf es für alternative Methoden und Komplementärmedizin nicht geben. Dtsch Arztebl Jg.112, 2015; 14: A622-A624.
- 3 Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray JA et.al. Evidence based medicine: what it is and why it isn’t. BMJ 1996; 312: 71–2.
- 4 Sackett D, Richardson W, Haynes R. Evidence Based Medicine. How to Practice and Teach EBM. London: Livingstone 1997.