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Praxis WissenMediensucht: “Das Netz – Dein Freund!”

Kaum ein Jugendlicher ist noch ohne sein Smartphone anzutreffen. Die mobile Internetnutzung bestimmt den Tag – und sie macht süchtig. Bei der hausärztlichen Beratung dieser Sucht sollte eine kontrollierte Mediennutzung im Vordergrund stehen.

Über 90 Prozent aller Jugendlichen besitzen hierzulande ein Smartphone und nutzen dies bis zu drei Stunden täglich. "Etwa 120 bis 150 mal pro Tag aktivieren sie das Gerät. Das heißt, alle neun bis zwöf Minuten wird eine Tätigkeit unterbrochen, um ins Smartphone zu sehen", verdeutlichte Prof. Christoph Möller, Hannover. Bemerkenswert ist dabei, dass die Zeit am Smartphone nicht etwa andere Medien wie Internet oder Fernsehen verdrängt, sondern additiv dazu kommt. Insgesamt verbringen die Jugendlichen so täglich fünf bis sieben Stunden vor einem Bildschirm.

Gemäß einer ersten repräsentativen Studie (PINTA I) zur Prävalenz der Internetabhängigkeit in Deutschland gelten 2,4 Prozent der 14- bis 24-Jährigen als abhängige und 13,6 Prozent als problematische Internetnutzer. Auffällig ist in dieser Studie, dass unter den 14- bis 16-Jährigen deutlich mehr Mädchen (4,9 Prozent) als Jungen (3,1 Prozent) internetabhängig sind. Die Sucht der Mädchen bezieht sich insbesondere auf soziale Netzwerke im Internet, die der jungen Männer auf Onlinespiele. Häufig werden Komorbiditäten wie Depressionen, soziale Ängste, emotionale Einsamkeit, Angststörungen oder ADHS beobachtet. Gefährdet sind insbesondere junge Menschen mit wenig realen Kontakten, die in ihrer Umgebung kaum Anerkennung und Bestätigung erfahren.

Sinnsuche jenseits des Internets

"Es geht nicht darum, alles zu verbieten, sondern um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Mediengebrauch der Kinder", betonte Möller. Zu den wichtigsten therapeutischen Maßnahmen gehört ein kontrollierter Umgang mit Medien – Abstinenz ist im Gegensatz zu anderen Süchten nicht unbedingt erforderlich. Es sollte eine klare Tagesstruktur vermittelt werden, da bei den Betroffenen in der Regel eine Tag-Nacht-Umkehr stattfindet. "Insbesondere Jungs sind häufig entkörperlicht, interessieren sich nicht für Mädchen und wissen nichts mit ihrem Körper anzufangen", berichtete der Psychiater. Hier ist das Körpererleben zu fördern und das Selbstwertgefühl zu stärken. Ein zen-traler Punkt besteht laut Möller darin, einen Sinn zu vermitteln für den es sich lohnt, sich anzustrengen – jenseits von Internet und Computernutzung. Eltern, die ihren Kindern im Vorschul- und Grundschulalter den Medienkonsum weitestgehend untersagen, machen sich häufig Sorgen, dass ihr Nachwuchs abgehängt wird. Sie können beruhigt werden: "Diese Kinder sind gut integriert, haben mehr reale Kontakte und vor allem mehr freie Zeit zum Spielen – "dies ist ein wesentliches Entwicklungsmoment", so Möller.

Spiele-Abhängigkeit bei Jungs

Die Internet Gaming Disorder ist noch wenig erforscht. Um das Störungsbild genauer zu charakterisieren und mehr über die Betroffenen zu erfahren, führte die Psychologin Dr. Eva-Maria Kraft eine diagnostische Befragung an 20 männlichen Patienten zwischen 14 und 20 Jahren durch. Dabei erfuhr sie, dass "manche der exzessiven Computerspieler 20 bis 30 Stunden ununterbrochen spielen. Ihr Schlaf-Wach-Rhythmus ist komplett aufgehoben." Im Durchschnitt betrug die tägliche Spielzeit 9,7 Stunden. Ab wann die Jugendlichen tatsächlich süchtig sind, sei schwer zu bestimmen. "Doch wie bei einer klassischen Sucht widersprachen sich die Jugendlichen permanent selbst", sagte die Psychologin. Die Spiele wurden oft als einzige Möglichkeit angesehen, die eigene Stimmung aufzuhellen und Probleme zu verdrängen. Im sozialen Umfeld der Jugendlichen fanden sich Auffälligkeiten wie Trennung der Eltern, Mobbing durch Gleichaltrige oder problematische Ausbildungs- oder Schulsituationen. Von den 20 Probanden zeigten fünf eine Major Depression, acht eine Angststörung (vier davon soziale Phobie). Bei sieben bestand der Verdacht auf Persönlichkeitsstörungen. Auch litten die Jugendlichen z. B. unter Diabetes, Colitis ulcerosa, Allergien, Skoliose, Psoriasis, Essanfällen oder Magensäureüberproduktion.

Cybermobbing unter Schülern

Prof. Herbert Scheithauer aus Berlin erarbeitete gemeinsam mit Jugendlichen eine Definition von Cybermobbing (CB). Demnach handelt es sich dabei um das Schikanieren eines Opfers mittels elektronischer oder digitaler Medien. Das Opfer kann sich nicht wehren, da der Täter anonym ist oder beweisendes Bildmaterial vorliegt. Das aggressive Verhalten findet einmalig über öffentliche oder wiederholt über private Kommunikationskanäle statt. Öffentliche Vorfälle oder CB unter Freunden gelten als besonders schwerwiegend.

In Deutschland sind etwa 17 Prozent der Schüler als Täter und/oder Opfer an CB beteiligt. Die Folgen sind negative Emotionen, psychosomatische Symptome, Depression, Angststörung, Schulphobie, Substanzkonsum, aggressives Verhalten sowie suizidale Gedanken und Suizidversuche. "Viele Täter wollen gar nicht bewusst jemanden schädigen, sondern zeigen einen Mangel an Empathie", erklärte Scheithauer. Während es beim klassischen Mobbing an Schulen bewährte Vorgehensweisen gibt, fehlten bislang entsprechende Strategien bei CB. Scheithauer stellte das erste, evaluierte Programm Medienhelden zur Prävention von Cybermobbing für 7.-10. Klassen vor (www.medienhelden.info).

Mit Hilfe von z. B. Rollenspielen (soziale Lerntheorie), positiver Verstärkung (kognitiv-behaviorale Methoden) und Peer-to-Peer Tutoring (aktivierende Methoden) sollen unter anderem die Einstellung zum Cybermobbing geändert, Empathie gefördert und subjektive und soziale Normen verbessert werden.

In Untersuchungen zeigten sich neun Monate nach der Intervention immer noch positive Auswirkungen. "Wir sehen deutliche Verbesserungen beim CB-Verhalten, dem Selbstwertgefühl und bei der subjektiven Gesundheitswahrnehmung", resümierte der Psychologe.

Quelle: 17. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin vom 30. Juni – 02. Juli 2016 in München

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