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Hausarzt MedizinFacetten myofaszialer Schmerzsyndrome

Fall 1: Schmerzen nach Operation

Eine 17-jährige Gymnasiastin, Einzelkind, stellt sich ein halbes Jahr nach der Operation­ ihrer Trichterbrust in unserer Schmerzambulanz vor, begleitet von ihrer Mutter. Sie klagt über stechend-drückende Schmerzen im Bereich des Rippenbogens, kribbelnd-elektrisierende im Bereich zweier seitlicher Thorakotomienarben und über einen zervikothorakalen Druckschmerz bei deutlich erhöhtem Muskeltonus. Die ­Schmerzstärke gibt sie auf der numerischen Rating­skala (NRS) im Durchschnitt mit 6,5 an, mit einem Maximum von 10 am frühen Morgen.

Die perioperative Schmerztherapie war mit einem thorakalen Epiduralkatheter für drei Tage erfolgt, seitdem besteht die ­analgetische Therapie lediglich aus 60mg Etoricoxib p.o. morgens. Die begleitend verordnete Physiotherapie musste die ­junge Patientin schmerzbedingt abbrechen, sie beklagt außer­dem deutliche Schlaf- und Konzentrationsstörungen.

Ursachensuche

Um die beteiligten Schmerzmechanismen zu verstehen, hilft es, sich die intraoperativ gesetzten Traumata zu vergegenwärtigen:­ Über zwei seitliche Minithorakotomien­ wurde ein Metallbügel eingebracht. Um diesen platzieren und aufspannen zu können, mussten zwei Rippen sequestriert werden. Thorakotomien und auch Rippenfrakturen führen erfahrungsgemäß häufig zu chronischen Schmerzuständen im Sinn von „mixed pain“ (nozizeptiv = stechend-drückend und neuropathisch = kribbelnd-elektrisierend).

Durch ein nach erfolgreicher Operation in seiner Statik völlig verändertes Bewegungssystem erklären sich die muskel­tonusassoziierten Schmerzen. Im Erstgespräch wird deutlich, dass diese­ Schmerzsymptomatik die ganze Familie­ sehr belastet, da man sich diese bei doch optisch und funktionell hervorragenden Operations­ergebnis nicht erklären ­könne bzw. sie nicht ausreichend erläutert worden sei.

Therapie

Erster Schritt der Behandlung ist die ausführliche Aufklärung über die Schmerzmechanismen und die Erklärung, dass es sich hier um einen bereits chronifizierten postoperativen Schmerz handelt (Tab. 1), den es konsequent zu therapieren gelte – und zwar bis nach der in etwa ein Jahr vorgesehenen Metallentfernung. Ängsten vor psychischer Abhängigkeit bei sinnvollem Einsatz zentral wirksamer, antichronifizierender und antineuropathischer Analgetika wird im Therapiegespräch sorgsam begegnet.

Das Behandlungskonzept ist in Tab. 2 zusammengestellt. Retardiertes Flupirtin als eine Substanz, die sehr effektiv einen erhöhten Muskeltonus normalisiert, wurde bestimmungsgemäß nur für 14 Tage verordnet, Etoricoxib gemäß der Chronobiologie der beklagten Schmerzen mit einem Maximum am Morgen bereits zur Nacht verabreicht, um auch morgens ein Wirkungsmaximum zu ­erzielen.

Als Therapieziele werden neben einer spürbaren Schmerzreduktion eine bessere Alltagstauglichkeit inklusive Vermeidung von Fehlzeiten in der Schule, Wiederaufnahme von Physiotherapie und – von der Patientin sehr gewünscht – ihres Ballett-Trainings besprochen.

Im Behandlungsverlauf (Tab. 2) war bemerkenswert, wie intensiv die 17-Jährige von der begleitenden Akupunktur im Sinn sowohl einer muskelentspannenden als auch einer zentral entspannenden Wirkung profitierte.

Diese Kasuistik steht exemplarisch für eine Entwicklung, als deren Folge zukünftig vermehrt Patienten mit komplexeren akuten, noch postoperativen Schmerzen in allgemeinärztlichen Praxen vorstellig werden dürften: In unseren Kliniken werden große Eingriffe bei gleichzeitigem Streben nach immer kürzerer Verweildauer durchgeführt.

Fall 2: Rückenschmerzsyndrom

Eine 23-Jährige stellt sich in unserer Ambulanz mit Intervallschmerzen im Schulter-­Nacken-Bereich vor. Diese bestünden seit vier Wochen, seien von stechend-reißendem Charakter und gingen einher mit einem Gefühl andauernder Verspannung. Die durchschnittliche Schmerzstärke gibt die Patien­tin auf der NRS mit 7 an.

Zusätzlich leide sie unter bifrontalen Dauerkopfschmerzen, die sie manchmal auch hoch parietal verspüre und als drückend-dumpf empfinde. Sie schlafe schlecht und fühle sich morgens nicht erholt.

Wichtig sind bei dieser Patientin darüber hinaus psychosoziale Aspekte, die offenbar wesentlich zum Fortbestehen ihrer Schmerzen beitragen: Nach dem Fachabitur befindet sie sich im 3. Lehrjahr als Tischlerin, habe seinerzeit keine alternative Lehrstelle gefunden, ihr Kontakt zum Chef und den Kollegen sei schwierig, sie werde als Einzige mit Abitur im Betrieb kritisch gesehen, fühle sich permanent unter Druck gesetzt. Sie lebt in fester Partnerschaft, sonstige soziale Kontakte hätten schmerzbedingt in letzter Zeit gelitten. Regelmäßig Sport treibe sie nicht, Entspannungsverfahren habe sie bisher nicht erlernt. Wenn sie allein sei, grübele sie viel über ihre gesamte Lebenssituation, denke auch immer wieder darüber nach, doch noch ein technisches Folgestudium aufzunehmen.

Therapie

Die medikamentöse Behandlung erfolgte mit retardiertem Flupirtin 400mg zur Nacht für zwei Wochen, Amitriptylin 10mg zur Nacht und Flupirtin 100mg bei Bedarf.

Zumindest gleichrangig sind bei dieser Patientin nicht pharmakologische Therapie­ansätze: Individualisiertes längerfristiges körperliches Training, bei dem aktive Elemente überwiegen, das Erlernen und regelmäßige Praktizieren eines Entspannungsverfahrens wie der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson oder des autogenen Trainings.

Unerlässlich ist eine möglichst frühzeitig einsetzende psychologische Begleitung, die vorhandene eigene Ressourcen stärkt und die Angst vor Veränderungen nimmt. Schon in der Wartezeit auf eine begleitende spezielle psychotherapeutische Behandlung sollten die allgemeinärztlichen und/oder schmerztherapeutischen verbalen Interaktionen mit der Patientin in diese Richtung weisen. Grundlegende kommunikative Aspekte sind in Tab. 3 zusammengefasst.

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“ – diese­ traditionelle Lebensweisheit bewahrheitet sich einmal mehr bei diesem Fall. Wie so manches Rückenschmerzsyndrom wäre auch dieser nicht effektiv und nachhaltig zu behandeln, würde man die psychosozialen Aspekte der Schmerzgenese außer Acht lassen.

Fall 3: Starke Rückenschmerzen

Ein 65-jähriger Mann wird vom Hausarzt mit stärksten Rückenschmerzen eingewiesen (NRS 7 in Ruhe, 10 bei jeder Bewegung). Er leide seit drei Tagen unter ­diesen im Kreuz stechenden und bis in beide ­Gesäßhälften ausstrahlenden brennend-­elektrisierenden Schmerzen. Zwei Wochen zuvor habe er nur leichte Kreuzschmerzen verspürt. Fango und Massage hätten seinerzeit gut geholfen, würden nun die Beschwerden aber deutlich verschlimmern. 2400mg Ibuprofen am Tag bleiben nahezu wirkungslos, er könne kaum schlafen.

Der Mann kriecht mehr als er geht, in stark gebeugter Haltung. Im Bereich des thorakolumbalen Übergangs zeigt sich ein sehr starker Druckschmerz, eine intensive Untersuchung des gesamten Bewegungssystems ist bei der stationären Aufnahme schmerzbedingt nicht möglich. Im Labor sind BSG und CRP deutlich erhöht, so dass wegen der akuten Beschwerden von einer entzündlichen Komponente ausgegangen werden muss, welche die Schmerzen wesentlich unterhält. Dieser Verdacht bestätigt sich im rasch durchgeführten MRT: Spondylodiszitis im Bereich Th 12/L1 mit sequestriertem Bandscheibenvorfall.

Hier handelt es sich um einen spezifischen Rückenschmerz mit einem vertebral-radikulären Schmerzsyndrom, bei dem sich verschiedene Schmerzkomponenten mischen („mixed pain“): nozizeptiv-entzündliche, neuropathische und myofasziale.

Wir leiten eine symptomatische Schmerztherapie ein und verlegen den Patienten zur dringend indizierten operativen Versorgung in die Orthopädie unserer Universitätsklinik.

Fazit

Myofasziale Schmerzen haben viele Facetten, sind in der Akutphase ernst zu nehmen, sorgfältig zu diagnostizieren und zu therapieren. Sie können gut fassbare, spezifische Ursachen haben, sind aber viel häufiger Bestandteile unspezifischer Schmerzen des ­Bewegungssystems. Bei denen muss neben einer konsequenten und frühzeitig beginnenden medikamentösen Therapie auch die häufig mitursächliche psychosoziale Problematik durch motivationsfördernde Kommunikation und/oder psychotherapeutische Behandlung mit angegangen werden.

Literatur beim Verfasser

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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