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Wirtschaft + PraxisViel Unsicherheit bei Palliativleistungen

Seit vier Jahren können Hausärzte ihre Palliativbetreuung über den EBM abrechnen, aber nur höchstens die Hälfte tut dies auch. Der Grund: Viele sind unsicher – zum Beispiel bei welchen Diagnosen ein palliativer Zustand für die Abrechnung gegeben ist.

Seit dem vierten Quartal 2013 können Hausärzte die aufwändige Betreuung von Palliativpatienten über den EBM abrechnen (in Nordrhein und Westfalen-Lippe gab es bereits früher Verträge zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung). Im Umgang mit den damals neu geschaffenen Leistungen der Nummern 03370 bis 03373 EBM gibt es aber nach wie vor regelmäßig Fragen. In manchen KV-Bereichen gibt es Angaben nicht nur zur Häufigkeit der Ziffern, sondern auch zur Zahl der Ärzte, die Leistungen aus dem palliativmedizinischen Kapitel abrechnen: Hier zeigt sich, dass im Durchschnitt lediglich ein ­Drittel bis die Hälfte aller Hausärzte die Ziffern ansetzen.

Auf das neue Kapitel 37.3 der besonders qualifizierten und koordinierten palliativmedizinischen Versorgung, das zum 1. Oktober 2017 in Kraft getreten ist, soll hier nur am Rande eingegangen werden. Viele dieser Leistungen darf man nur bei Nachweis einer gesonderten Qualifikation nach Genehmigung der KV abrechnen, was der Deutsche Hausärzteverband bereits kritisiert hat (s. Der Hausarzt 14 und 15). Zudem stehen die palliativmedizinischen Leistungen jetzt auch vielen Fachärzten offen, was auf hausärztlicher Seite zum Teil heftigen Unmut ausgelöst hat.

Medizinische Definition der ­Patientenzielgruppe

Die hausärztliche palliativmedizinische Versorgung besteht aus vier Gebührenordnungspositionen (GOP) (s. Tab. 1). Eine palliativmedizinische Situation liegt bei schwerstkranken und sterbenden Patienten vor, die an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit ­fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch nach fachlicher Einschätzung des behandelnden Arztes die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist. Eine Erkrankung ist

  • nicht heilbar, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der Medizin Behandlungsmaßnahmen nicht zur Beseitigung dieser Erkrankung führen können.

  • fortschreitend, wenn ihrem Verlauf trotz medizinischer Maßnahmen nach dem allgemein anerkannten Stand der Medizin nicht nachhaltig entgegengewirkt werden kann.

  • weit fortgeschritten, wenn die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität sowie die psychosoziale Betreuung des Betroffenen im Vordergrund der Versorgung stehen.

Der Patient muss zudem ambulant, in der Regel in seiner Umgebung, versorgt werden können. Der Begriff der Häuslichkeit schließt allerdings auch Pflegeheime oder Hospize ein. Zusätzlich ist die Verordnung der spezialisierten ambulanten palliativmedizinischen Versorgung (SAPV) im Moment noch nicht indiziert. Bei einer Teileinschreibung in die SAPV können Hausärzte die 03370 bis 03373 ansetzen, bei einer Vollbetreuung nicht mehr.

Was gilt als palliativer Zustand?

Unsere Analysen zeigen, dass viele Hausärzte die GOP nur sehr zögerlich ansetzen. Fragen auf Fortbildungen belegen, dass es Unsicherheiten bei der Definition des palliativen Zustands gibt. Hier ist die medizinische Einschätzung des Arztes allein entscheidend: eine Lebenserwartung des Patienten von wenigen Wochen oder Monaten. Die Erstuntersuchung nach 03370 bezieht sich darauf, dass man die Leistung einmal im Krankheitsfall (= zwölf Monate) abrechnen kann. Daraus kann man schlussfolgern, dass eine Lebenserwartung von weniger als einem Jahr vorliegen sollte.

Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn der Hausarzt nach vier Quartalen erneut die GOP 03370 dokumentiert oder ­andere palliativmedizinische GOP ansetzt? ­Keine, weil die Prognose klinisch bereits sehr schwer einzuschätzen ist und demnach keinesfalls von Prüfgremien nach Aktenlage beurteilt werden kann. Hier würden sicher nur Extremsituationen wie die Abrechnung palliativmedizinischer Leistungen über mehrere Jahre bei einer erheblichen Patientenzahl auffallen und hinterfragt werden.

Auffallend ist, dass circa zwei Drittel aller Patienten mit palliativmedizinischen Leistungen eine onkologische Diagnose aufweist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei vielen Patienten im finalen Stadium ohne Tumorerkrankung keine palliativmedizinischen Leistungen abgerechnet werden. Da der EBM hier keine weiteren ­indikationsspezifischen Einschränkungen definiert, sollten Hausärzte prüfen, ob bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Multiorganerkrankungen (wie COPD, Nieren- und Herzinsuffizienz, Demenz) nicht eine palliative Behandlungssituation vorliegt, die den Ansatz der entsprechenden GOP rechtfertigt.

Aus den dokumentierten Behandlungsdiagnosen lässt sich in der Regel die palliative, präfinale Behandlungssituation nicht erkennen. Die Diagnoseklassifikation nach ICD-10 erfasst in erster Linie Zustände, ist also eher statisch. Deshalb empfiehlt es sich, diese Patienten mit der Diagnose Z51.5 – palliative Behandlungssituation – zu kennzeichnen. Da hier zudem auch häufig eine besonders aufwändige und meistens teure Versorgung notwendig ist, können die Patienten im Prüfungsfall auch schnell identifiziert werden.

Geriatrie- oder Palliativ-GOP?

Eine weitere Frage beschäftigt die Hausärzte: Wann soll man bei Patienten mit fortgeschrittenen Krankheitsstadien die geria­trischen, wann die palliativmedizinischen Ziffern ansetzen?

Hier hat sich folgendes Vorgehen in der Praxis bewährt: Solange der Patient noch in die Praxis kommen kann, ist es ­sinnvoller, die geriatrischen Leistungen (zwei Arzt-­Patienten-Kontakte notwendig) zu verwenden. Kommt der Patient noch ein drittes Mal, kann man auch die 03371 abrechnen. Bei primärer Betreuung in der Häuslichkeit sind dann nur noch die 03372 und 03373 ­ansetzbar.

Wichtig: Die 03371 kann man dann nicht abrechnen, da sie die Versorgung in der ­Praxis voraussetzt.

Die neuen palliativmedizinischen Leistungen

Seit Oktober 2017 können Hausärzte Patienten im Rahmen der besonders qualifizierten und koordinierten palliativmedizinischen Versorgung behandeln. Für Hausärzte ohne Zusatzqualifikation sind die neuen GOP auf den ersten Blick nicht interessant.

Es gibt allerdings drei GOP, die keine Zusatzqualifikation oder Genehmigung erfor­dern. Die GOP 37320, die Teilnahme des Hausarztes an einer patientenorientierten Fallkonferenz, wird mit 6,74 Euro vergütet, maximal fünfmal im Krankheitsfall, auch bei telefonischer Konferenz.

Die GOP 37305 und 37306 entsprechen von der Leistungslegende exakt der 03372 und 03373. Die neuen GOP werden allerdings extrabudgetär vergütet. Es gibt zwar eine Empfehlung des Bewertungsausschusses, auch die hausärztlichen GOP nach 03370 bis 03373 extrabudgetär zu vergüten. Viele KVen quotieren oder „deckeln“ diese Leistungen jedoch. Sollte die Empfehlung zur extrabudgetären Vergütung nicht umgesetzt werden, empfiehlt es sich, die neuen Zuschlagsleistungen abzurechnen.

Fazit

  • Wann es sich um einen palliativen Zustand handelt, hängt allein von der Einschätzung des Arztes ab. In der Regel liegt die Lebenserwartung unter einem Jahr.

  • Für die Abrechnung der Palliativziffern kommt nicht nur die Diagnose Krebs infrage. Hausärzte sollten prüfen, ob die ­Abrechnungsvoraussetzungen zum Beispiel auch auf ihre Patienten mit fortgeschrittenen Multiorganerkrankungen zutreffen.

  • Palliativpatienten sollten zusätzlich mit Z51.5 kodiert werden, weil die palliative ­Situation nicht aus den Kodes der Erkrankungen des Patienten hervorgeht. Bei einer Prüfung können die Palliativfälle so schneller gefunden werden.

Dr. Georg Lübben, Vorstand der AAC Praxisberatung AG, www.aac-ag.de, www.praxisnavi.com

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