Geschätzt 1.280 bis 1.700 symptomatische Thrombosen sowie 700 bis 900 stationär behandelte Lungenembolien könnten deutschen Mädchen und Frauen pro Jahr erspart bleiben, wenn sie ihre Antibabypille wechseln. Das haben die Allgemeinmediziner Dr. med. Horst Prautzsch und Prof. Stefanie Joos vom Uniklinikum Tübingen berechnet [1]. Dem liegen Versorgungsdaten der AOK Baden-Württemberg, der Techniker Krankenkasse und Erfahrungen aus Frankreich zugrunde, wo die Umsätze sich halbiert haben, seit die Kassen ab 2013 Verhütungsmittel mit hohem Thromboserisiko nicht mehr zahlen.
Damit auch deutsche Frauen nicht nur “auf dem Papier”, sondern in der Realität besser vor Thrombosen geschützt werden, haben Prautzsch und Joos für Hausarztpraxen zwei Instrumente erarbeitet:
- Kommt eine Patientin für ein Folgerezept in die Praxis, können MFA mit der Entscheidungshilfe (Abb. 1, S. 58) schnell beurteilen, ob es sich um ein risikoarmes oder risikoreiches Mittel handelt. Denn sie listet auf einer A4-Seite die Präparate in zwei Gruppen auf – grün für risikoarm, rot für höheres Risiko. Im Anschluss bereitet die MFA entweder das Rezept vor oder händigt der Patientin das Infoschreiben aus und informiert ggf. den Hausarzt.
- Die Information für Patientinnen (S. 59) erklärt laienverständlich, was Thrombosen und Lungenembolien sind. Anhand von Grafiken und absoluten Zahlen verdeutlicht sie, wie die Wahl des Verhütungsmittels das Thromboserisiko beeinflusst. Zudem listet sie risikoarme Präparate auf. Im Feld für den Praxisstempel können Hausärzte die Patienteninfo personalisieren.
Trend zu Pille mit unbekanntem Risiko
Bereits seit 2011 zeichnet sich ein teilweise positiver Wandel in der Verordnung von Kontrazeptiva ab, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Juli diesen Jahres berichtet hat. Trotzdem wird die Empfehlung des BfArM, dass besonders junge Frauen und Erstanwenderinnen Verhütungsmittel mit dem geringsten Thromboserisiko erhalten sollen [2], noch nicht konsequent umgesetzt.
Zum Hintergrund: 2013 hatte der europäische Risikobewertungsausschuss im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) erneut das Thromboserisiko verschiedener Kombi-Pillen untersucht [3]. Er kam zu dem Ergebnis, dass bei allen Präparaten der Nutzen (Schutz vor ungewollter Schwangerschaft) den Schaden (Thromboserisiko) überwiegt. Das Thromboserisiko sei insgesamt gering, es gebe aber kleine Unterschiede aufgrund der Zusammensetzung der Präparate. Da die Risikoangaben in den Fachinformationen damals von den Ergebnissen des PRAC abwichen, wurden in 2014 die Fachinformationen nachgebessert, ein Rote-Hand-Brief verschickt und Schulungen für Ärzte und Patientinnen entwickelt.
Wie diese Maßnahmen das Verordnungsverhalten der Ärzte verändert haben, hat daraufhin die BfArM-Studie mit GKV-Daten der Zehn- bis 20-Jährigen untersucht. Das Resultat ist zugleich positiv, ernüchternd und alarmierend:
- Erfreulich ist, dass sich der Anteil der Kombi-Pillen mit dem höchsten Risiko (Klasse 3, vgl. Tab. 1) von 2011 bis 2016 halbiert hat (von 26 auf 11,6 Prozent). Diese Umstellung sei jedoch nicht auf die ergriffenen Maßnahmen zurückzuführen, schreibt das BfArM, der Trend habe bereits vorher eingesetzt.
- Ernüchternd ist, dass weiterhin nur ein Drittel der Mädchen Verhütungsmittel mit dem geringsten Risiko (Klasse 1) anwendet. Ihr Anteil nimmt von 2011 bis 2016 nur leicht zu (von 31,9 auf 34,3 Prozent).
- Alarmierend ist, dass Gynäkologen und Hausärzte immer mehr neue Kombi-Pillen mit unbekanntem Risiko (Klasse X) verschreiben. Ihr Anteil wuchs von 39,5 auf 51,8 Prozent aller Verordnungen. Unter den Neuverschreibungen machte die Klasse X in 2016 knapp die Hälfte aus (46,4 Prozent). Dies ist bedenklich, da gerade junge Mädchen mit Kombi-Pillen (53 Prozent laut BfArM) verhüten und häufig Erstanwenderinnen sind.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam 2015 der “Pillenreport” [4] der Techniker Krankenkasse: Besonders Elf- bis 14-Jährige erhielten Pillen mit einem höheren oder unklarem Risiko. Die neueren Präparate würden also vor allem bei der Erstverordnung gewählt. Hinzu komme, dass zwei Drittel der Frauen, die die Pille wechselten, von einem Präparat mit niedrigem auf eines mit hohem oder unklarem Thromboserisiko umsteigen.
Auch Hausärzte stellen häufig Pillen-Rezepte aus. Kommt es zu einer Thrombose, kann also letztlich auch der Hausarzt in Schwierigkeiten geraten, wenn er seine Patientinnen nicht über die unterschiedlichen Risiken aufgeklärt hat.
Literatur:
- Prautzsch H, Joos S. Reduktion von Lungenembolien und Thrombosen bei hormoneller Kontrazeption? Z Allg Med, 2017; 93 (9). DOI: 10.3238/zfa.2017.0342-0348
- Becker S. Entwicklung der Verordnungen kombinierter hormonaler Kontrazeptiva mit noch unbestimmtem Thromboserisiko. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2/2017, S. 3-12
- PRAC confirms that benefits of all combined hormonal contraceptives (CHCs) continue to outweigh risks. hausarzt.link/UUqfQ abgerufen am 12.12.17
- Glaeske G, Thürmann P. Pillenreport. Ein Statusbericht zu oralen Kontrazeptiva. Techniker Krankenkasse, 2015. hausarzt.link/7yKmm abgerufen am 7.12.17