100.000 Betroffene in DeutschlandWas wissen Sie über weibliche Genitalverstümmelung?

Weibliche Genitalverstümmelung findet mittlerweile weltweit statt. Auch Hausärztinnen und Hausärzte können mit Betroffenen und Gefährdeten in Kontakt kommen: Schätzungen der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes zufolge lebten 2022 etwa 100.000 Betroffene in Deutschland, bis zu circa 17.000 weitere Mädchen oder Frauen waren gefährdet.

Auch Hausärztinnen und Hausärzte können in ihrem Berufsalltag mit FGM-Betroffenen und -Gefährdeten in Kontakt kommen.

Wie viel wissen Sie über weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM)? Und lohnt es sich für Hausärztinnen und Hausärzte überhaupt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen? “Auf jeden Fall”, sagt Marlies Arndt, Terre-des-Femmes-Mitarbeiterin und Referentin im Projekt “Join our Chain” zur Prävention von FGM und Früh- und Zwangsverheiratung.

“Zwar sind für Beratung und Behandlung hauptsächlich Gynäkologinnen und Gynäkologen zuständig – aber auch Hausärztinnen und Hausärzte können in ihrem Berufsalltag mit Betroffenen und Gefährdeten in Kontakt kommen.”

Weibliche Genitalverstümmelung ist ein weltweites Problem: Traditionellerweise wird FGM in mehreren afrikanischen Ländern sowie in einigen Regionen des Nahen Ostens, Asiens und Südamerikas ausgeübt – besonders häufig etwa in Somalia, Guinea, Mali und Ägypten. Durch Migration kommt FGM jedoch weltweit und auch in Deutschland vor.

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes erstellt regelmäßig eine Dunkelziffer-Schätzung der Betroffenen und Gefährdeten in Deutschland, die auf Angaben des Statistischen Bundesamts zu Frauen und Mädchen mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft sowie den von UNICEF, dem Population Reference Bureau und Amnesty International verbreiteten Betroffenenquoten aus den bereits erforschten Prävalenzländern basiert.

Demnach lebten im Jahr 2022 etwa 100.000 Betroffene in Deutschland, bis zu circa 17.000 weitere Mädchen oder Frauen waren gefährdet.

An FGM denken

Wann sollten Sie bei einer Patientin an FGM denken? “Es ist nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Mädchen gefährdet ist, nur weil ein oder beide Elternteile aus einem bestimmten Land stammen”, betont Arndt. Neben dem Herkunftsland spiele auch die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle: “So gibt es etwa auch im Irak Beschneidungen, aber nur innerhalb bestimmter ethnischer Gruppen.”

Entscheidend sei, die Einstellung der Eltern zu erfragen: Ist FGM ein Thema, wie ist ihre Haltung dazu? Sind bereits Familienmitglieder betroffen?

Das Alter, in dem FGM stattfindet, hängt ebenfalls von der ethnischen Gruppe ab: Manche Mädchen werden schon im Säuglingsalter beschnitten, andere erst vor der Eheschließung. Hier spielt auch die finanzielle Lage der Familie eine Rolle, schließlich muss sie die Beschneiderin bezahlen. “Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass FGM meist innerhalb der ersten 15 Lebensjahre praktiziert wird”, erklärt Arndt.

Sie empfiehlt Hausärztinnen und Hausärzten, vor allem bei den U-Untersuchungen an FGM zu denken: “Hier bestehen oft Schamgefühle beim medizinischen Fachpersonal; vielen fällt es schwer, das Thema anzusprechen. Es ist aber wichtig, es nicht auszuklammern – denn FGM findet statt.”

Hausärztinnen und Hausärzte sollten sich nach einer geplanten Reise ins Herkunftsland erkundigen: Viele Familien lassen ihre Töchter dort beschneiden. Zudem rät Arndt, nach typischen Symptomen wie Menstruationsproblemen, Bauchschmerzen oder wiederkehrenden Harnwegsinfektionen zu fragen.

“Dabei ist zu beachten, dass Patientinnen manchmal über Beschwerden berichten, ohne FGM direkt zu erwähnen. FGM hat viele lokale Bedeutungen, in unterschiedlichen Ländern gibt es verschiedene Bezeichnungen dafür.”

Was tun bei Gefährdung?

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Deutschland seit 2013 ein eigenständiger Straftatbestand. Seit 2015 kann auch eine im Ausland vollzogene Beschneidung nach deutschem Strafrecht geahndet werden, wenn die Betroffenen ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder die Täterinnen über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Jede Beteiligung bzw. Unterstützung ist strafbar.

“Da es sich bei FGM um Kindeswohlgefährdung handelt, entfällt die Schweigepflicht”, sagt Arndt. “Hausärztinnen und Hausärzte sollten sich bei gefährdeten Minderjährigen unbedingt an das Jugendamt wenden.” Bei Volljährigen empfiehlt sie, in dringenden Fällen die Polizei zu informieren.

Eine Einwilligung von Mädchen und Frauen zur Durchführung von FGM ist laut Strafgesetzbuch ausgeschlossen – FGM ist also in jedem Fall strafbar, auch wenn das Mädchen oder die Frau der Genitalverstümmelung zustimmt oder sie sogar fordert.

Bei einer bevorstehenden Reise ins Herkunftsland weist Arndt auf die Möglichkeit hin, Gefährdeten einen Schutzbrief mitzugeben. Der Schutzbrief des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (s. Link-Tipps) ist in verschiedenen Sprachen erhältlich und macht deutlich, dass FGM in Deutschland eine Straftat ist und die Eltern dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Die richtigen Worte finden

Je nach Art ihrer Genitalverstümmelung (s. Tab. 1 unten) können Betroffene unterschiedlich stark an gesundheitlichen Folgeproblemen leiden; zudem sind sie oft traumatisiert.

Wenn Sie annehmen, dass FGM ein für die Gesundheit der Frau relevantes Thema sein könnte, sollten Sie sie daher darauf ansprechen, um sie bei Bedarf an eine angemessene medizinische und psychologische Betreuung vermitteln zu können. Mittlerweile gibt es in Deutschland spezialisierte Behandlungszentren, etwa das Desert Flower Center in Berlin oder das Freiburger Zentrum für Frauen mit Genitalbeschneidung.

“Die Thematisierung weiblicher Genitalverstümmelung im Gespräch fällt leichter, wenn der Patientin schon vorher vermittelt wird, dass FGM in der Praxis nicht tabuisiert wird”, rät Arndt. Dies lasse sich zum Beispiel durch das Auslegen von Flyern erreichen (erhältlich etwa auf der Webseite von Terre des Femmes: www.hausarzt.link/muiq7).

Wichtig ist ein kultursensibler Umgang. Arndt empfiehlt unter anderem, sich ausreichend Zeit zu nehmen und auf eine angemessene Wortwahl zu achten (s. Kasten unten). Abbildungen oder Modelle der weiblichen Geschlechtsorgane könnten hilfreich sein und das Gespräch unterstützen. Bei traumatischen Erlebnissen sollten Sie nicht zu detailliert nachfragen, um eine Re-Traumatisierung zu vermeiden.

Herausfordernd seien im Praxisalltag oft sprachliche Barrieren: “Es gibt leider immer noch zu wenig Dolmetscher und Dolmetscherinnen”, sagt Arndt. Dazu kämen zeitliche Barrieren: Der für die Versorgung der Betroffenen erforderliche Zeitaufwand werde zurzeit nicht entsprechend vergütet.

Fazit

Am wichtigsten ist es laut Arndt, gut über FGM informiert zu sein – dadurch lassen sich ungünstige Verhaltensweisen wie schockierte Reaktionen, Stigmatisierung und Pauschalisierung vermeiden.

Und sie betont: “Es ist vollkommen ok, sich bei diesem Thema unsicher zu fühlen. Im Zweifel sollten sich Ärztinnen und Ärzte immer an eine Beratungsstelle wenden, die sich auf FGM spezialisiert hat. Eventuell können diese Beratungsstellen auch Kulturvermittelnde oder Dolmetscher bzw. Dolmetscherinnen vermitteln.”

Quellen:

1. Interview mit Marlies Arndt

2. Terre des Femmes. Intervention bei weiblicher Genitalverstümmelung und Früh-/ Zwangsverheiratung. Eine interdisziplinäre Handlungsempfehlung zur professionellen Arbeit mit gefährdeten oder betroffenen Mädchen und Frauen in Berlin.

3. frauenrechte.de, zuletzt abgerufen Juni 2024

4. Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. Sprechen über FGM/C. Empfehlungen für die Beratung zum Thema weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung (Female Genital Mutilation/Cutting).

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