Das sagt die Hausärztin
von Prof. Erika Baum, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sportmedizin
Bei dieser Konstellation ist aufgrund des Frakturereignisses eine behandlungsbedürftige Osteoporose wahrscheinlich; eine Knochendichtemessung ist daher für das weitere Vorgehen nicht unbedingt nötig. Die Basisdiagnostik sollte allerdings um fehlende empfohlene Laborwerte ergänzt werden (siehe Kasten unten).
Neben einer guten Einstellung des Blutdrucks (einschließlich Vermeidung von Orthostase) und des Blutzuckers (cave Hypoglykämien) als Sturzprophylaxe ist die Weiterführung von Physiotherapie und ggf. die Verordnung von Hilfsmitteln (Gehstock oder Rollator) zur Sicherung der Mobilität wichtig.
Zur osteoporosespezifischen Therapie, die jetzt dringend einzuleiten ist, gibt es mehrere Optionen: Romosozumab, das effektivste Medikament, ist wegen manifester kardiovaskulärer Erkrankung kontraindiziert.
Teriparatid (es gibt Biosimilars) ist bezüglich Wirbelfrakturen den Bisphosphonaten und Denosumab leicht überlegen, ansonsten im Wesentlichen gleich effektiv, etwas gehäuft tritt Übelkeit als Nebenwirkung auf [1]. Als Osteoanabolikum kann es das Wachstum von Knochentumoren/Metastasen fördern.
Die Patientin hat aufgrund ihres Diabetes und der Insulintherapie ein erhöhtes Krebsrisiko, aber bisher keine Erkrankung diesbezüglich. Unter Denosumab sind gehäufte Harnwegsinfekte beschrieben, bei oralen Bisphosphonaten sind die Einnahmehinweise genau zu beachten. Sie weisen das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis auf; intravenöse Bishosphonate sind deutlich teurer.
Hier bietet sich eine geteilte Entscheidungsfindung zur Auswahl des spezifischen Therapeutikums an. Außerdem ist für eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D (mindestens 800 IE/d, maximal 4.000 IE/d, aber keine Bolusdosen) und Kalzium (mindestens 1.000 mg/d) zu sorgen.
In diesem Fall ist auch eine Verordnung entsprechender Supplemente auf Kassenrezept möglich und indiziert. Wichtig ist eine regelmäßige zahnärztliche Kontrolle unter Bisphosphonaten oder Denosumab wegen des bei längerer Therapie erhöhten Risikos von Osteonekrosen. Eine geplante osteoporosespezifische Therapie muss dafür aber nicht aufgeschoben werden.
Aus hausärztlicher Sicht ist vor allem darauf zu achten, die Therapieadhärenz bezüglich der Basismaßnahmen mit regelmäßiger Bewegung und Sturzprophylaxe und der ausreichenden Versorgung mit Vitamin D und Kalzium ohne Einsatz überhöhter Dosen (cave zusätzliche Nahrungsergänzungsmittel) sowie die Adhärenz an die vereinbarte osteoporosespezifische Medikation immer wieder zu hinterfragen und bei Umsetzungsproblemen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
Wichtig ist auch die Beachtung der Begleitmedikation: Protonenpumpenhemmer (PPI) sollten ebenso wie orthostasefördernde oder sedierende Medikamente vermieden werden, Blutdruck und Blutzucker sollen gut, aber nicht zu streng eingestellt sein.
Was wurde versäumt? Bei dieser Patientin wäre schon lange (mindestens ab dem 61. Lebensjahr) eine Osteoporose-Basisdiagnostik indiziert gewesen. Bei Polyneuropathie sollte auch regelmäßig ein Sturztest erfolgen und ggf. Physiotherapie verordnet werden, außerdem sollte das häusliche Umfeld auf Stolperfallen geprüft und der Visus überprüft und ggf. korrigiert werden.
Während der stationären Behandlung/Rehabilitation hätte die komplette Basisdiagnostik durchgeführt und eine spezifische Osteoporose-Therapie eingeleitet werden sollen.
Literatur:
Das sagt die Fachärztin
von Prof. Heide Siggelkow, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Osteologin DVO
Das Risiko für eine erneute Fraktur ist bei Frau M. sehr hoch. Ein Basislabor sollte durchgeführt werden, zudem halte ich eine einmalige Knochendichtemessung auf jeden Fall für sinnvoll. Diese zeigt bei Patienten mit Diabetes oft eine normale Knochendichte, da hier eher die Knochenstruktur als der Knochenmineralgehalt auffällig ist.
Eine DXA-Messung kann prüfen, ob der Diabetes oder evtl. andere Erkrankungen (etwa ein Plasmozytom) für die Fraktur relevant und deshalb weitere Untersuchungen nötig sind. Eine sehr niedrige Knochendichte würde das Frakturrisiko deutlich ansteigen lassen und die Therapieauswahl beeinflussen.
Wegen des Sturzes ist eine standardisierte Muskelfunktionsmessung nötig. Um das Hypoglykämie-Risiko zu verringern, ist die Insulintherapie zu prüfen. Physiotherapie (keine rein passive Therapie!) sowie ggf. Hilfsmittel sind sinnvoll.
Jede Osteoporose-Therapie sollte als Sequenztherapie geplant werden. Aufgrund von Alter und Risikokonstellation ist bei Frau M. eine lebenslange Therapie anzudenken, wozu auch Therapiepausen gehören können. Kommt eine anabole Therapie infrage, scheint es sinnvoller, diese vor einer antiresorptiven Therapie durchzuführen.
Bezüglich der Wirkung der Osteoporose-Medikation bei Diabetes wurde ein Anstieg der Knochendichte für orale Bisphosphonate, selektive Östrogenrezeptormodulatoren, Teriparatid und Denosumab gezeigt.
Nur für Teriparatid und Denosumab konnte auch eine Reduktion von Frakturen im Vergleich zu Personen ohne Diabetes nachgewiesen werden; für Denosumab zeigen Studien außerdem einen positiven Effekt auf den Glukosestoffwechsel und ein reduziertes Sturzrisiko. Bei vorbekanntem Schlaganfall ist eine Therapie mit Romosozumab kontraindiziert.
Zu berücksichtigen ist, ob eine Therapie mit PPI vorgesehen ist: Bei über 70-Jährigen wirkt eine orale Bisphosphonat-Therapie bei gleichzeitiger PPI-Gabe nicht. Wichtig vor der Therapie ist zudem eine Anamnese bezüglich des Zahnstatus: Liegen aktuell Entzündungen im Kieferbereich vor, kann eine antiresorptive Therapie nicht sofort erfolgen.
Bei Diabetes steigt das Risiko für eine Kiefernekrose deutlich, sodass vor Beginn eine zahnärztliche Stellungnahme nötig ist. Liegt ein behandlungsbedürftiger Befund vor und soll die Osteoporose-Therapie nicht aufgeschoben werden, ist Teriparatid am besten geeignet.
Wegen des Diabetes gilt es zudem eine möglicherweise eingeschränkte gastrointestinale Mobilität zu berücksichtigen: Orale Bisphosphonate werden dann noch schlechter resorbiert und verursachen evtl. mehr Nebenwirkungen, wobei eine parallele PPI-Gabe ja nicht möglich ist. Ggf. lässt sich die Resorption mithilfe von Knochenumbaumarkern überprüfen.
Teriparatid kann Übelkeit verursachen, die jedoch meist innerhalb von 14 Tagen verschwindet. Es muss täglich injiziert werden, was in dem Alter viele ablehnen. Da Frau M. aber subkutan Insulin appliziert, kommt Teriparatid für sie evtl. infrage. Eine Therapie mit täglicher Applikation muss auf jeden Fall mit der Patientin besprochen werden (Shared-Decision-Making).
Für Denosumab spricht die eher schlechte Compliance zu Beginn der Diabetes-Therapie, da es nur alle sechs Monate subkutan appliziert wird. Ein möglicherweise vermehrtes Auftreten von Harnwegsinfekten unter Denosumab kann erst mal beobachtet werden, hier kommen auch Maßnahmen wie lokale Östrogene, Cranberry oder eine erhöhte Trinkmenge infrage.
Denosumab kann länger als zehn Jahre verabreicht werden; orale Bisphosphonate zeigen dagegen einen Wirkungsverlust und müssen im Verlauf evtl. pausiert werden. Eine Therapiepause kann auch zur Verhinderung von Komplikationen (z.B. Kiefernekrose, atypische Femurfraktur) sinnvoll sein.
Problem einer möglichen Nichtverträglichkeit von Denosumab ist die Nierenfunktion: Nach Absetzen der Medikation nach mehr als einem Jahr sollte eine intravenöse Bisphosphonat-Therapie anhand einer GFR > 40 ml/min noch möglich sein.
Sollte eine Therapie mit Teriparatid begonnen und eine Anschlusstherapie mit Denosumab durchgeführt werden, kann diese über mindestens zehn Jahre mit nachgewiesenem Effekt erfolgen. Eine Verträglichkeit vorausgesetzt wäre zusammen mit zwei Jahren Teriparatid eine effektive Therapie bis zum 84. Lebensjahr gewährleistet.
Eine Therapie mit oralen Bisphosphonaten sollte nach drei bis fünf Jahren überprüft und ggf. pausiert werden, was bei der Risikokonstellation von Frau M. als die ungünstigere Sequenztherapie erscheint. Aber auch bei dieser Therapieentscheidung bliebe die spätere Umstellung auf Denosumab eine Option.
Das sagt die Evidenzbasierte Medizin
Die S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose empfiehlt eine Basisdiagnostik ab dem 70. Lebensjahr, da ab diesem Alter das Frakturrisiko steigt. Frauen, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind, sollten bereits früher (ab 60 Jahren) eine Basisdiagnostik erhalten. Denn hier ist das Risiko für osteoporosetypische Frakturen durch die Diabeteserkrankung generell erhöht.
Die Basisdiagnostik besteht aus Anamnese und körperlicher Untersuchung, bei der das Osteoporose- und Knochenbruch-Risiko des Patienten ermittelt wird. Ist ein solches Risiko vorhanden, erfolgt eine Knochendichtemessung.
Die Leitlinie weist darauf hin, dass “bei typischen osteoporotischen radiologischen und/oder klinischen Aspekten von Wirbelkörperfrakturen bzw. proximalen Femurfrakturen in Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation auf eine Knochendichtemessung verzichtet werden kann”.
Das Basislabor erfasst weitere Risikofaktoren und sekundäre Osteoporosen, differenzialdiagnostisch infrage kommende andere Osteopathien und gibt Hinweise auf Kontraindikationen für eine medikamentöse Therapie. Bei klinischen Hinweisen auf eine Wirbelkörperfraktur kommt ggf. eine Röntgenuntersuchung zum Einsatz.
Für die medikamentöse Therapie weist die Leitlinie darauf hin, dass “die spezifische Zulassung des Medikaments für die jeweilige Indikation und Kontraindikationen zu beachten sind. Grundlage dafür sind die jeweils aktuellen Fachinformationen”.
Bei einer antiresorptiven Therapie sollten die Patienten zusätzlich mindestens 1.000 mg Kalzium täglich zu sich nehmen, zudem ist die ausreichende Versorgung mit Vitamin D (800-1.000 IE) wichtig.
Kiefernekrosen unter der Gabe von Bisphosphonaten und Denosumab zur Osteoporose-Therapie sind laut Leitlinie eine mutmaßlich seltene Nebenwirkung. Dennoch seien regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen mit ggf. geeigneten Präventivmaßnahmen empfehlenswert.
Weiter heißt es: “Vor Beginn einer Therapie mit Bisphosphonaten und Denosumab ist bei Patienten mit begleitenden Risikofaktoren eine zahnärztliche Untersuchung mit präventiver Zahnbehandlung sinnvoll.”