© Jannis Reichard | Bande für Gestaltung im Auftrag der BZgA Prof. Martin Dietrich ist Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes. Seit 2021 ist er kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Dietrich: Wenn man die Zahlen als Indikator verstehen möchte, inwiefern die Beratung in den Praxen angekommen ist, sind sie ein wichtiges Zeichen dafür, wie zentral die hausärztliche Rolle ist. Für uns sind die heute auf dem Tisch liegenden Zahlen der Beweis, dass der Weg über die Hausärztinnen und Hausärzte der richtige ist.
Welche Tipps haben Sie ganz konkret für hausärztliche Kolleginnen und Kollegen: Bei welchen Beratungsanlässen lässt sich im Praxisalltag über die Organspende sprechen?
Beier: Meine Praxis hat die Beratung systematisch in die Gesundheitsuntersuchung (GU) aufgenommen. Unserer Erfahrung nach ist es sinnvoll, das Thema von sehr bedrängenden, akuten Situationen zu entkoppeln und im Kontext von Präventionsleistungen anzusprechen. Alle Praxen, die ich kenne, haben es daher in Routinen eingebunden, in denen nichts schwerwiegend Gesundheitliches besprochen wird. Hilfreich ist auch, die Beratung als Teamleistung zu denken und das Thema auch durch die MFA anzusprechen oder Infomaterial auszulegen. Manchmal braucht es eine Wiederholung und auch einen zeitlichen Verzug, sich damit auseinanderzusetzen.
Was ist für das Arzt-Patienten-Gespräch grundlegend wichtig?
Beier: Bei der Organspende geht es um das Thema Tod, und es ist menschlich, sich nicht mit dem Tod beschäftigen zu wollen. Unser Auftrag ist, hier einzuhaken.
Dietrich: Das Verhältnis von Patienten zu ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin ist durch ein besonderes Vertrauen gekennzeichnet. In dieser positiven Atmosphäre kann auch die Organspende als gute Tat für einen anderen Menschen angesprochen werden. Aus der individuellen Entscheidung wird etwas Sinnvolles für die Gesellschaft. Ein anderer Gedanke: Was würde ich mir wünschen, wäre ich auf ein Spenderorgan angewiesen?
Wichtig in der Praxis
Abrechnung in EBM, GOÄ und HZV
Die Beratung wird im EBM über die 01480 (65 Punkte, 7,32 Euro) abgerechnet. Obligat ist ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt.
In der GOÄ wird ein Gespräch mit einer Dauer von mind. 10 Min. analog Nr. 3 GOÄ (20,11 Euro bei 2,3-fachem Satz) abgerechnet.
Bei beiden gilt: Die Beratung kann ab vollendetem 14. Lebensjahr einmal innerhalb von zwei Jahren abgerechnet werden.
Bei Patienten in der HZV ist die 01480 gegenüber der KV abrechenbar. Wichtig: Da ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt (APK) Pflicht ist, darf für HZV-Versicherte die Dokumentation des APK nicht mittels der sich in den HZV-Ziffernkränzen befindlichen Versichertenpauschale 03000/04000 erfolgen.
Tipps für die Umsetzung im Praxisalltag
Organspendeberatung in einen (präventiven) Routine-Anlass integrieren, beispielsweise in die GU (01732 EBM, ab dem 35. Lebensjahr alle drei Jahre, in der HZV alle zwei Jahre möglich).
Infomaterialien zu grundlegenden Fragen bereithalten (s. Kasten).
Organspendeberatung als Teamleistung denken: Doppelte Ansprache durch MFA und Arzt erhöht die Aufmerksamkeit – auch wenn das Stand heute nicht abrechenbar ist.
Im EBM sind für das Gespräch fünf Minuten veranschlagt, was der Hausärzteverband seit jeher kritisiert. Was bedeutet das für den Praxisalltag?
Beier: Mit dieser Regelung wird uns jegliche Flexibilität genommen! Natürlich gibt es viele Gespräche, die tatsächlich nur fünf Minuten brauchen, vor allem, wenn sie in Routine-
Anlässe eingebettet sind. Dauert aber ein Gespräch länger oder bietet sich außerhalb des Zwei-Jahres-Rhythmus ein Gesprächsanlass, etwa aufgrund einer Erkrankung oder Situation in der Familie, haben wir Stand heute keinerlei Spielraum. Da ist die Organspendeberatung nur ein Beispiel von vielen. Indem im EBM Plausibilität über Arzt-Patienten-Kontakte (APK) und Zeitvorgaben geprüft wird, wird die Versorgung in ein starres Korsett gepresst. Genau diese APK-Logik verbietet es uns dann auch, dass unsere geschulten MFA und VERAH® die Beratung anbieten – obwohl sie dazu sehr wohl in der Lage wären.
Ziel der Politik ist explizit, die Spenderzahlen zu erhöhen. Gleichzeitig ist vorgegeben, dass die Beratung „ergebnisoffen“ erfolgen muss. Empfinden Sie das als Zwickmühle für Hausärzte?
84 % stehen der Organ- und Gewebespende positiv gegenüber – doch nur 39 % haben ihre Entscheidung im Organspendeausweis dokumentiert.
36 % haben für sich noch keine Entscheidung getroffen und 17 % haben ihre Entscheidung nicht dokumentiert.
Quelle: BZgA, Repräsentativbefragung 2022, n = 4.044
Dietrich: Nein. Wir wissen aus unseren Befragungen, dass sehr viele Menschen eine positive Einstellung zur Organspende haben. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie motivieren, ihre positive Grundhaltung in eine Entscheidung zu überführen und diese zu dokumentieren. Es geht darum, das vorhandene Potenzial wirksam auszuschöpfen.
Zu der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema hat sicher auch die Diskussion Entscheidungslösung versus Widerspruchslösung beigetragen…
Dietrich: Ja, durchaus.
Beier: Dass einige – weil die Spenderzahlen eben noch nicht so hoch sind wie idealerweise möglich – reflexartig immer wieder nach der Widerspruchslösung rufen, empfinde ich Stand heute jedoch nicht als hilfreich. Auch wenn ich persönlich eine starke Tendenz zur Widerspruchslösung in mir trage, halte ich es gesamtgesellschaftlich für ein schwieriges Zeichen, die politische Debatte wieder zu öffnen, obwohl sich der Bundestag ja bereits dagegen entschieden hat. Denn das kann die Politik auch diskreditieren. Ich plädiere vielmehr dafür, die eben von Prof. Dietrich skizzierte positive Grundhaltung zu nutzen und darauf zu fokussieren, wie wir noch mehr ins Gespräch kommen können.
Dietrich: Die Organspende ist ein multifaktorielles Geschehen: Neben der individuellen Entscheidung gibt es auch andere Einflussfaktoren wie die Organisation in den Kliniken, aber auch das Alter der Spender sowie deren Vorerkrankungen, Vergütungssysteme und die Transparenz insgesamt.
Mit Blick auf die Zukunft: Wo wünschen Sie sich Unterstützung, um die Beratung in den Hausarztpraxen praxistauglicher zu machen?
Beier: Es muss Aufgabe der Selbstverwaltung sein, die Teams zu stärken. Ärztinnen und Ärzte müssen letztlich immer in der Verantwortung sein – aber wir haben in gut laufenden Hausarztpraxen immer auch ein starkes Team, in dem die Patientinnen und Patienten zu den MFA ein ebenso vertrauensvolles Verhältnis haben wie zu den Ärztinnen und Ärzten. Hier könnte man sicher noch Arztentlastung schaffen, indem man sich Richtung Teamberatung bewegt.
Dietrich: Wir würden es begrüßen, wenn die Information zur Organspende in der Hausarztpraxis als Leistung des gesamten Teams gesehen wird, an dem auch MFA ihren Anteil haben, indem sie etwa Informationsmaterialien zur Vorbereitung auf das Arzt-Patienten-Gespräch anbieten. So fördert das gesamte Team den Dialog zur Organspende.
Praxismaterialien für die Beratung
Um Hausärztinnen und Hausärzte bei der Beratung zur Organspende zu unterstützen, stellen der Deutsche Hausärzteverband und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (B: BZgA) umfangreiche Infomaterialien zur Verfügung, unter anderem:
Manual für das Arzt-Patienten-Gespräch
Paket mit zahlreichen Informationen zur Weitergabe an Patientinnen und Patienten
Organspendeausweise als Plastikkärtchen
Alle verfügbaren Materialien können Hausärzte online unter www.organspende-info.de/hausarzt kostenfrei bestellen oder direkt herunterladen.