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EntlastungWie Sozialberatung in Praxen besser gelingt

Hausärztinnen und Hausärzte beraten in medizinischen und auch sozialen Fragen – von A wie Antragsformularen bis Z wie Zinssorgen. Doch das kostet Zeit. Der Deutsche Hausärzteverband hat einen konkreten Vorschlag zur Entlastung, ohne neue Schnittstellen zu schaffen.

Sozialberatung in den Praxen kann Hausärztinnen und Hausärzte entlasten.

Rentenanträge, finanzielle Probleme, Anträge für Behindertenprozente, sogar Fragen zu Handyverträgen: Nahezu täglich ist Dr. Jana Husemann in ihrer Hamburger Hausarztpraxis mit Themen konfrontiert, die mit ihrer ärztlichen Tätigkeit im Grunde nichts zu tun haben.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin setzt sich deshalb für die Etablierung einer Sozialberatung an Hausarztpraxen ein, um die Mediziner zu entlasten. “Es wird viel zu viel meiner Zeit mit Angelegenheiten belegt, die zum Teil auch meine Kenntnisse überschreiten”, berichtet sie.

Auf ihren Antrag hin hatte der Deutsche Hausärztetag im September in Berlin beschlossen, den Gesetzgeber zur Einrichtung eines Pools von geschultem Fachpersonal aufzufordern, die “nach Bedarf in den Hausarztpraxen regelmäßig eine staatlich finanzierte Sozialberatung für Patientinnen und Patienten durchführen” [1].

Gesetzgeber scheint Notwendigkeit zu sehen

Bewegt hat sich der Gesetzgeber bisher in der kurzen Zeit nicht. Dabei sieht auch er durchaus Handlungsbedarf – könnte man etwa aus den geplanten Gesundheitskiosken schließen, die die Ampelkoalition deutschlandweit als neues Beratungsangebot für Patientinnen und Patienten insbesondere in sozial benachteiligten Regionen aufbauen will.

Husemann sähe die Beratungen indes lieber in den Hausarztpraxen verankert, um die Gefahr von Informationsverlusten und unzureichenden oder langwierigen Absprachen zu vermeiden. Aus eben diesem Grund weist der Deutsche Hausärzteverband das Konzept zurück: Gesundheitskioske würden lediglich eine weitere Schnittstelle und damit Zerfaserung der Versorgung bedeuten.

Das unterstreicht auch Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth. Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg sowie erste stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes fordert, dass die Hausarztpraxis als erste Anlaufstelle für alle gesundheitsrelevanten Fragen gestärkt werden müsse.

Buhlinger-Göpfarth: “Die Integration einer Sozialberatung ist aus meiner Sicht sehr sinnvoll, da Gesundheit auch eine ausgeprägte soziale Komponente hat und viele soziale Beratungsanlässe oft medizinische Zusammenhänge haben. Das Praxisteam leistet bereits jetzt zu einem großen Grad auch soziale Arbeit, was Ressourcen in der Praxis bindet und bei sozialrechtlichen Zusammenhängen auch an Grenzen führt.”

Schritt 1: Hausarztpraxis stärken

Vorab sei aber ein wichtiger Schritt seitens der Bundesregierung nötig. “Um solche Angebote zu ermöglichen, ist es zunächst notwendig, dass die Politik sich dazu bekennt, dass die Hausarztpraxis der zentrale Ort für alle gesundheitlichen und sozialen Themen ist und dementsprechend gestärkt wird”, sagt Buhlinger-Göpfarth.

Zudem müsse der für Sozialberatungen notwendige Rahmen geschaffen werden. “Die Ausgestaltung sollte gemeinsam mit uns Hausärztinnen und Hausärzten stattfinden und die Umsetzung kann nur durch die Akteure vor Ort erfolgen, die am besten wissen, welche Ressourcen es in ihrer Region braucht.”

In den Hausarztpraxen könne die zusätzliche Expertise einer in die Praxisstrukturen integrierten Sozialberatung große Mehrwerte bringen, da soziale und medizinische Anlässe unkompliziert und ohne Schnittstellen zu anderen Gesundheitsebenen adressiert werden können.

Von einer Auslagerung der Beratung in die geplanten Gesundheitskioske hält Buhlinger-Göpfarth nichts. Diese bildeten “zusätzliche Schnittstellen und führen dazu, dass die wertvolle Koordinationsfunktion der Praxis verloren geht.”

Zudem gibt Buhlinger-Göpfarth zu bedenken: “Es besteht nicht überall der gleiche Bedarf für Beratung. Durch eine regionale Ausgestaltung der Angebote können sie dort geschaffen werden, wo sie auch notwendig sind. In einem Brennpunktviertel sind zum Beispiel andere Beratungsangebote notwendig als im ländlichen Raum. Hier macht es Sinn, regional zu denken und nicht eine Einheitslösung zu schaffen, die am eigentlichen Problem vorbeigeht.”

Keine Akzeptanz für neue Anlaufstellen

Husemann sieht noch ein weiteres Problem beim Thema Gesundheitskiosk: “Direkt gegenüber von meiner Praxis gibt es bereits eine Beratungsstelle eines karitativen Trägers. Obwohl meine Patientinnen und Patienten nur über den Platz gehen müssten, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, gehen sie diesen Schritt nicht. Die Hemmschwelle ist sehr groß.”

Die Hausärztin könnte sich eine wöchentliche Sprechstunde in ihrer Praxis vorstellen, die von einer externen Fachkraft für Sozialberatung angeboten werden könnte.

Hier ist für Buhlinger-Göpfarth noch ein anderer Aspekt von Bedeutung: So könnten die Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter das Praxisteam direkt hinzuziehen, sollte dies medizinisch notwendig sein. Patientinnen und Patienten profitieren so von kurzen Wegen und einem zentralen Ort für ihre Versorgung. Denn die medizinische Betreuung gehöre in die Hausarztpraxis und nicht etwa zum Teil in einen Gesundheitskiosk, betont Buhlinger-Göpfarth.

Erste Studie in der Schweiz belegt Nutzen für Praxen

Ein solches Modell wurde im vergangenen Jahr in der Schweiz erprobt und wissenschaftlich begleitet. Die Berner Fachhochschule hatte mit vier Projektpartnern, darunter die “Caritas beider Basel” in Basel, eine Sozialberatung in Hausarztpraxen wissenschaftlich begleitet. Erforscht wurden unter anderem die organisatorischen und fachlichen Grundlagen von sozialer Arbeit in der Arztpraxis.

Das Ergebnis: Sozialberatung an Hausarztpraxen sei mit wenig Aufwand umsetzbar. Gerade bei komplexen und psychosozialen Patientenanliegen, die quer zu den professionellen Kategorien und Fähigkeiten verliefen, seien gemeinsame Fallbesprechungen, Teamsitzungen und kurze Kommunikationswege innerhalb der Praxis vorteilhaft.

Mit dem Angebot der Sozialberatung hätten sie mehr Zeit für die medizinischen Anliegen in der Sprechstunde (100 Prozent), weniger emotionale Belastung im Berufsalltag (55 Prozent) und eine verbesserte Arbeitszufriedenheit (80 Prozent), gaben die befragten Ärztinnen und Ärzte an (n = 20). Bei den Ergebnissen überrascht insbesondere die 100-prozentige Zustimmung zur ersten Angabe [2].

“Soziale Arbeit in der Arztpraxis bringt sowohl den Patientinnen und Patienten als auch den behandelnden Ärztinnen und Ärzten einen großen Nutzen”, lautet das Fazit im Forschungsbericht [2]. Dies sei nicht zuletzt im Sinne einer patientennahen und ganzheitlichen Grundversorgung nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. •

Quellen: 1. Beschlussübersicht des 43. Deutschen Hausärztetages 2022, abrufbar unter www.hausarzt.link/mHdnB; 2. Rüegg et al. Soziale Arbeit in der Arztpraxis. Forschungsbericht, Berner Fachhochschule, März 2022.

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