Essen. Im Zuge der Umsetzung der Opt-out-Lösung bei der elektronischen Patientenakte soll sichergestellt werden, dass die Dokumentation des Praxisverwaltungssystems (PVS) genutzt werden kann und keine doppelte Arbeit für Ärztinnen und Ärzte anfällt. Das hat Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag (16. Mai) bei seiner traditionellen Eröffnungsrede des Ärztetags mit Blick auf das von ihm geplante Digitalisierungsgesetz in Aussicht gestellt.
Nähere Details zur Umsetzung nannte er dabei nicht. Diese dürfte mit Blick auf die heterogene PVS-Landschaft jedoch nicht einfach zu realisieren sein. Für Hausärztinnen und Hausärzte ist die in Aussicht gestellte Praxistauglichkeit jedoch entscheidendes Kriterium. Der Deutsche Hausärzteverband setzt sich seit jeher dafür ein, dass digitale Anwendungen den Praxisalltag wirklich erleichtern müssen.
250 Delegierte beraten sich in dieser Woche in Essen, unter Beobachtung unter anderem von Gästen aus Nigeria, Japan und Israel sowie dem europäischen Ausland und 120 akkreditierten Journalistinnen und Journalisten. Am Dienstagmorgen eröffneten unter anderem Lauterbach und Dr. Klaus Reinhardt, Chef der Bundesärztekammer (BÄK), die Veranstaltung.
Auch wenn der in vielen Jahren typische Schlagabtausch zwischen den Rednern in diesem Jahr weitestgehend ausblieb, so gab Reinhardt – unter anderem zur Digitalisierung – klare Worte mit auf den Weg. Unter Applaus der Anwesenden in der Philharmonie monierte er den immer wieder fehlenden Check auf Praxistauglichkeit. „Praxen sind keine Versuchslabore für unausgereifte Technik!”, unterstrich er damit die Haltung des Deutschen Hausärzteverbandes. „Für schlechte technische Lösungen haben wir schlichtweg keine Zeit im Praxisalltag”, so Reinhardt.
Mehr Homeoffice für Hausarztpraxen?
Lauterbach deutete in seiner – von vielen als unpointiert kritisierten – Rede an, Rückmeldungen der Ärzteschaft sehr wohl aufzunehmen. Er kündigte mit den beiden geplanten Gesetzesvorhaben in diesem Bereich – Digitalisierungsgesetz und Forschungsdatennutzungsgesetz – Lösungen an, die einen „Neustart“ bedeuten würden.
So sei ein zweites Opt-out für wissenschaftliche Zwecke geplant.
Lauterbachs ehrgeiziges Ziel: 2025 sollen – dann per Opt-out-Umsetzung – 80 Prozent der Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte ausgestattet sein, stellte er in Aussicht. Anfang März hatte er in einem Interview genannt, dass bis dato „weniger als ein Prozent der Patienten“ von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten.
Darüber hinaus sei für ihn „prüfenswert“, dass telemedizinische Leistungen nicht aus der Praxis heraus erbracht werden müssten, sondern auch ortsunabhängig abgerechnet werden könnten. Dies würde die Möglichkeiten für Hausärztinnen und Hausärzte, auch im Homeoffice tätig zu sein, bedeutend erweitern.
iMVZ könnten schneller ins Gesetz als geplant
Weiteres Kernelement der Lauterbach’schen Gesetzgebung: die „überdrehte Ökonomisierung“. Das Thema investorenbetriebener MVZ (iMVZ), das auch dem Hausärzteverband am Herzen liegt, werde er in „Versorgungsgesetz I oder II“ – also womöglich sogar noch vor der Sommerpause – angehen. Bis dato war dies für das zweite Versorgungsgesetz vorgesehen. Reinhardt hatte in seiner Rede an den Minister jedoch appelliert, dieses womöglich in das Versorgungsgesetz I vorzuziehen.
“iMVZ haben negative Auswirkungen auf die Versorgung”, unterstrich Lauterbach, “und auch negative Konsequenzen auf die Weiterbildung, wenn Top-Ärzte aus finanziellen Gründen wechseln und dann nicht mehr für die Weiterbildung zur Verfügung stehen.”
Hausärzte für klares Signal in Sachen Notfallreform
Darüber hinaus bekräftigte Lauterbach den Willen einer Notdienstreform. Der Deutsche Hausärzteverband hatte zum Start des Ärztetags ein klares Signal der Delegierten für eine umfassende, nicht erst am Tresen ansetzende Reform gefordert. Der Ärztetag wird sich in den kommenden Tagen mit dem Thema auseinandersetzen. Inhaltlich verriet Lauterbach nur so viel, als dass es keine „Eintrittsgelder“ für Patientinnen und Patienten geben werde.
Reinhardt mahnte einmal mehr an, Auswirkungen der Reform auf den vertragsärztlichen Bereich mitzudenken. „Es besteht ein Anfangsverdacht, dass dies nicht geschieht.“ Gleiches gelte für die Klinikreform, die drastische Auswirkungen auf die Weiterbildung haben könnte.
Lauterbach hingegen versicherte, Vorarbeiten und Rückmeldungen aus den Verbänden aufzunehmen.
“Lauterbachs Pro-Forma-Einbeziehung der Ärzte ist demokratiegefährdend”
Die Art und Weise, wie ärztliches Erfahrungswissen einbezogen wird – oder eben nicht –, war schließlich vielleicht der größte Streitpunkt zwischen den beiden Rednern. Denn während Reinhardt die Debattenkultur des Deutschen Ärztetags lobte, übte er scharfe Kritik an einer “demokratiegefährdenden Pro-Forma-Einbeziehung” von Zivilgesellschaft und Berufsverbänden in der Gesetzgebung Lauterbachs. Dabei hätte gerade die Zusammenarbeit in der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig und wertvoll ärztliches Erfahrungswissen sei. In der Pandemie hätte der Minister auch gern darauf zurückgegriffen.
“Die sehr engen Fristsetzungen für Stellungnahmen zu Ihren Gesetzesvorhaben können und werden wir nicht weiter hinnehmen”, erklärte er unter Applaus der Anwesenden. So nannte er erstmals ganz offen Eingangszeiten von Entwürfen aus dem Bundesgesundheitsministerium sowie die Frist für Stellungnahmen, um die “Absurdität solcher Verfahren vermeintlicher Beteiligung” zu unterstreichen. Oft liegen demnach nur weniger als acht Stunden – und diese sogar teils in der Nacht – zwischen Eingang und Fristsetzung. Unter den Anwesenden sorgten diese Zeitspannen für empörtes Gelächter, Kopfschütteln und ungläubiges Schnauben.
Eine umfangreiche Prüfung sei unter diesen Umständen nicht möglich, so Reinhardt. Zwar habe er Verständnis dafür, dass unter Corona – gerade in der Anfangszeit – schnell gehandelt werden musste, diese Zeiten seien nun jedoch beendet.
Konkret auf die Kritik eingegangen ist Lauterbach nicht. Vielmehr schloss er seine Rede mit einer Einladung an die Ärztinnen und Ärzte, „nicht eingeschnappt zu sein“ und weiter im Dialog zu bleiben.