Schuld und Psyche
Der Umgang mit psychisch erkrankten Straftätern in Deutschland wird immer wieder kritisiert sowohl von der Öffentlichkeit als auch von Betroffenen und Behandelnden. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gefährlicher als psychisch gesunde Menschen.
Doch im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch kann es zu aggressivem Verhalten und Straftaten im Rahmen von Erregungszuständen kommen. Die Täter werden je nach Kontext und Schwere der Tat in akutpsychiatrischen Abteilungen, in Justizvollzugsanstalten oder im Maßregelvollzug behandelt.
Für die Öffentlichkeit sind die Umstände der Straftaten und ihre rechtlichen Folgen nicht immer leicht nachvollziehbar. Sie unterliegen häufig Fehlinterpretationen. Eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie aufgrund von Schuldunfähigkeit wird dann mitunter als unzureichende Bestrafung betrachtet.
Wenn entlassene Sexualstraftäter rückfällig werden, wird dies nicht selten dem Maßregelvollzug angekreidet. Andererseits wird der Forensik auch vorgeworfen, Patienten nach nicht ersichtlichen Kriterien unangemessen lange “wegzusperren”. Eine Umfrage unter deutschen Kliniken ergab: Zu viele Patienten und zu wenige Ressourcen (Thomas Pollmächer, Ingolstadt).
Klimawandel und Psyche
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit sind dramatisch. Durch die Klimakrise entstehen zusätzliche Belastungen, die zu neuen Syndromen führen und den psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungsbedarf drastisch erhöhen dürften.
Deshalb wurde von der DGPPN ein Task-Force Positionspapier herausgegeben. Darin werden zentrale Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie gegeben. Dazu gehören neue klimaneutrale Behandlungsangebote ebenso wie die Planung ausreichender Grünflächen in psychiatrischen Einrichtungen und die leitliniengerechte Optimierung des Medikamenten- und Materialverbrauchs (Andreas Heinz, Berlin).
Autonomie im Fokus
Die Psychiatrie ist eine Disziplin, die sich von Natur aus mit schwierigsten ethischen Situationen und Entscheidungen befasst. In der Vergangenheit ist sie ihrer Verantwortung nicht immer gerecht geworden.
Die moderne Psychiatrie fokussiert auf die Autonomie des Patienten. Sie stellt das Selbstbestimmungsrecht in den Mittelpunkt. Die Entscheidungen sollten auf einem kooperativen therapeutischen Milieu basieren und Zwangsmaßnahmen so weit wie irgend möglich vermieden werden. Zwang kann nur als ultima ratio gerechtfertigt sein.
In der akuten Krankheitsphase sind psychisch Kranke aber nicht immer in der Lage oder bereit mitzuwirken. Auf der Suche nach der besten Vorgehensweise können Wohl und Wille des Patienten im Widerspruch zueinander stehen. Es müssen dann vielfältige ethische und rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dabei sollte versucht werden sowohl dem Willen des Patienten als auch seinem Wohl gerecht zu werden.
In der Psychiatrie wird heute grundsätzlich eine partizipative bzw. assistierte Entscheidungsfindung praktiziert. Der therapeutische Prozess basiert auf Kooperation. Patient und Behandler entscheiden gemeinsam über die bestmögliche Therapie.
Bei suizidalen Patienten oder wenn eine Behandlung abgelehnt wird, die lebensrettend sein könnte, stehen diese beiden medizinethischen Grundprinzipien zueinander im Widerspruch. Dann ist der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, selbstbestimmt zu entscheiden, so dass die rechtlichen Voraussetzungen und die ethischen Verantwortlichkeiten sorgsam geprüft und abgewogen werden müssen (Thomas Pollmächer, Ingolstadt).
Suizidprävention und Suizidbeihilfe
Suizid und Suizidprävention sind zentrale Themen der Psychiatrie und Psychotherapie. Im Jahr 2020 kamen 9.206 Personen durch Suizid zu Tode, die meisten davon im Rahmen einer psychischen Erkrankung.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, die das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben betont, postuliert auch das Recht darauf, Hilfe Dritter bei einem Suizid annehmen zu dürfen. Doch die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung ist eine unabdingbare Voraussetzng für eine legitime Assistenz und dies erfordert psychiatrische Kompetenz.
Die Psychiater wünschen sich eine klare gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe, wobei die Begutachtung der Freiverantwortlichkeit nicht von derselben Person durchgeführt werden sollte wie die Suizidassistenz. Auch sollte die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches getrennt von der Beratung in zwei unabhängigen fachärztlichen Untersuchungen geprüft werden.
Besonders gefahrenträchtige Angebote zur Suizidbeihilfe müssen verhindert und die Suizidprävention gestärkt werden. Die derzeit im Bundestag diskutierten drei Gesetze unterscheiden sich deutlich voneinander, doch in keinem dieser Entwürfe sind die Eckpunkte der DGPPN vollumfänglich berücksichtigt (Katharina Domschke, Freiburg).
Digitale Transformation
E-Mental-Health-Apps, digitale Phänotypisierung, Big Data, KI oder Robotik: Die digitale Transformation ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und verändert auch den medizinischen Versorgungsalltag.
Insbesondere im Bereich der sprechenden Medizin kam es durch die Pandemie zu einem enormen Digitalisierungsschub mit positiven praktischen Konsequenzen in einer Zeit, in der die psychische Belastung durch die pandemische Lage hoch war. Aber es gibt auch eine Vielzahl ethischer und rechtlicher Risiken, vom Datenmissbrauch bis zur Entmenschlichung der Arzt-Patienten-Beziehung.
Evidenz-basierte Online-Angebote können die face-to-face-Behandlung zwar nicht ersetzen, aber bei weniger schwerwiegenden Symptomen oder für Menschen mit großer Hemmschwelle ein hilfreiches Angebot oder eine gute Ergänzung darstellen (Steffi G. Riedel-Heller, Leipzig).
Cannabis-Legalisierung
Die Bundesregierung plant, Cannabis auch zu nicht-medizinischen Zwecken zu legalisieren. Allerdings birgt intensiver Konsum erwiesenermaßen schwerwiegende Gesundheitsrisiken von Substanzabhängigkeit, kognitiven Beeinträchtigungen und affektiven Störungen über Psychosen bis hin zu erhöhter Suizidalität.
Deshalb muss sichergestellt werden, dass die kontrollierte Abgabe von Cannabis nicht zu mehr konsumierenden, abhängigen und psychisch erkrankten Menschen führt und Kinder und Jugendliche effizient über die Risiken aufgeklärt und vor den negativen Folgen geschützt werden (Ursula Havemann-Reinecke, Göttingen).