Die Versorgung von Migränepatienten ist noch immer nicht zufriedenstellend – trotz hoher Krankheitslast wird die Migräne oft falsch diagnostiziert und unzureichend behandelt. So erhalten über ein Drittel der Betroffenen (34,2 Prozent) keine leitliniengerechte Therapie.
Die neuen Empfehlungen der vollständig überarbeiteten S1-Leitlinie zur Therapie und Prophylaxe der Migräne möchten dies ändern und bieten laut PD Dr. Tim Jürgens aus Güstrow eine klare Orientierung für die praktische Vorgehensweise [1].
Neue Substanzen in der Akuttherapie
Bei den neuen Substanzklassen handelt es sich um „Gepante“ und „Ditane“. Die jeweils ersten Vertreter – Rimegepant und Lasmiditan – haben bereits eine EU-Zulassung und werden demnächst verfügbar sein.
Wie die Triptane binden auch die Ditane am Serotoninrezeptor, allerdings an einen anderen Subtyp (5-HT1F), wodurch keine Vasokonstriktion in den Blutgefäßen erfolgt. „Daher können wir die neue Substanz – im Gegensatz zu den Triptanen – auch bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verordnen“, erklärte PD Dr. Charly Gaul, Frankfurt am Main.
Zu beachten ist, dass unter Lasmiditan zentrale Nebenwirkungen auftreten können und die Patienten nach der Einnahme für acht Stunden z.B. kein Fahrzeug führen dürfen.
Rimegepant ist ein oraler CGRP-Rezeptor-Antagonist, der nicht nur zur Akuttherapie (Migräne mit und ohne Aura bei Erwachsenen) einsetzbar ist, sondern auch zur Prophylaxe der episodischen Migräne bei Erwachsenen mit ≥ 4 Attacken pro Monat.
Elektrische Stimulation des Nervus supraorbitalis
Als nicht-medikamentöse Anwendungen empfiehlt die aktuelle Leitlinie erstmals die elektrische Stimulation des N. supraorbitalis. Diese führte in einer Studie zu einer signifikanten Schmerzlinderung der Migräneattacken.
Zusätzlich lässt sich die Methode zur Prophylaxe einsetzen: Mit einer täglichen Stimulation über 20 Minuten verringerte sich die Attackenfrequenz um zwei Tage gegenüber einer Scheinstimulation.
Längeres Intervall bis zur Therapiepause
Anstatt die Prophylaxe-Indikation nur an den monatlichen Migränetagen festzumachen, lautet der aktuelle Tenor der Leitlinie, dass der Patient gemeinsam mit dem Arzt definiert, wann eine Prophylaxe erforderlich ist. Dabei spielen auch der Leidensdruck oder die Einschränkung der Lebensqualität eine Rolle.
Neu ist zudem, dass die Therapiepause individuell abgestuft erfolgen kann. Bei Patienten mit langandauernder, hochfrequenter episodischer oder chronischer Migräne und Begleiterkrankungen wie Depression, Angststörung oder chronischer Schmerzerkrankung sollte eine (erfolgreiche) Prophylaxe über mindestens 12 bis 24 Monate erfolgen, bevor ein Auslassversuch unternommen wird [1].
Literatur
- Diener H-C et al. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
Quelle: Online-Pressekonferenz der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG): „Migräne: Bessere Behandlung, individuelle Prophylaxe – die neue S1-Leitlinie steht“ am 11.01.2023