Das HI-Virus ist ein sehr variables Virus, das viele Mutationen entwickelt. Diese hohe virale Diversität ist ein Grund für die Schwierigkeit, das Virus mit Hilfe eines Antikörpers gegen die Virushülle zu neutralisieren oder einen Impfstoff dagegen zu entwickeln.
Im Gegensatz zu HIV weist beispielsweise Sars-CoV-2 nur eine limitierte virale Diversität auf, mit einer deutlich geringeren Mutationsrate. Daher ist es viel einfacher, Impfstoffe gegen die Oberflächenstrukturen von Sars-CoV-2 herzustellen.
Bei HIV kommt dazu, dass auf der Oberfläche nur wenige Proteine vorhanden sind, gegen die sich ein Antikörper richten könnte. Zusätzlich tarnt das Virus seine Oberfläche mit einem Schild aus Zuckermolekülen (Gycan-shield), was das Immunsystem daran hindert, das Virus als “fremd” zu erkennen.
Laut Dr. Dr. Philipp Schommers von der Uniklinik Köln, führt das dazu, dass in einer Kohorte von HIV-Infizierten nur etwa 30 Prozent neutralisierende Antikörper bilden, bei Sars-CoV-2-Infizierten dagegen 80-90 Prozent. Noch seltener sind sogenannte Elite-Neutralisierer (1-5 Prozent), die breit-neutralisierende Antikörper aufweisen. Dennoch ist es in den letzten Jahren gelungen, sowohl breit-neutralisierende Antikörper zu isolieren als auch Antikörper gegen verschiedene Angriffspunkte auf den Oberflächenproteinen herzustellen.
Bei Tests in Tiermodellen und bei Menschen stellte sich allerdings heraus, dass das HI-Virus Antikörper, die gegen einzelne Epitope gerichtet waren, schnell überwand, indem es an der Bindungsstelle mutierte.
Erfolgreicher war man, wenn mehrere Antikörper kombiniert wurden. So zeigten Studien mit zwei breit-neutralisierenden Antikörpern deutlich langfristigere Effekte [1,2]: Die Viruslast wurde länger supprimiert ohne dass Resistenzen entstanden oder wesentliche unerwünschte Nebenwirkungen auftraten.
Antikörper zur Prävention
Können breit-neutralisierende Antikörper eine HIV-Infektion verhindern? Dieser Frage gingen zwei Phase-IIb-Studien nach [3]. Ergebnis: Im Vergleich mit der Placebo-Gruppe konnte der breit-neutralisierende Antikörper VRC01 das Risiko für eine HIV-Infektion nicht signifikant verringern.
Allerdings zeigte der Antikörper eine hohe Effektivität, wenn der Virusstamm gegenüber VRC01 sensitiv war – dies ist jedoch nur bei etwa 30 Prozent der Stämme der Fall. “Inzwischen stehen uns wesentlich potentere Antikörper zur Verfügung, die wir in derartigen Studien zukünftig nutzen können. Außerdem lassen sich verschiedene Antikörper in Kombination geben”, erklärte Schommers.
Covid-19: Antikörper in früher Krankheitsphase
Deutlich rasanter als bei HIV ging die Entwicklung von monoklonalen Antikörpern gegen Sars-CoV-2 vonstatten. Diese sind gegen verschiedene Domänen des Virus gerichtet und verhindern damit zum Beispiel die Bindung von Sars-CoV-2 an seinen Rezeptor auf humanen Zellen.
Eine wichtige Einsatzmöglichkeit ist die frühe ambulante Therapie von Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf – innerhalb von sieben Tagen nach Symptombeginn. “Besonders stark ist der Effekt, wenn man die Antikörper verabreicht, bevor die Patienten eigene Antikörper gebildet haben”, berichtete Dr. Henning Grüll, Uniklinik Köln. Auch die Kombination von Antikörpern hat sich bewährt. So verringerte sich die Viruslast unter einer kombinierten Gabe von Casirivimab und Imdevimab signifikant, gegenüber Placebo [4].
Insgesamt führen alle verfügbaren Antikörper gegen Sars-CoV-2 – einzeln oder kombiniert verabreicht – zu einer rund 70-prozentigen Reduktion des relativen Risikos für Hospitalisierung oder Tod bei Hochrisikopatienten [5,6].
“Auch in Deutschland standen diese Medikamente schon recht bald zur Verfügung. Doch trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit wurden sie kaum angewandt”, erklärte Grüll. Ein möglicher Grund dafür war der damit verbundene Aufwand. Die Substanzen wurden alle mittels einstündiger Infusion verabreicht – dazu kam eine Stunde Nachbeobachtung. Dies erforderte eine gewisse Infrastruktur, die auch sicherstellt, dass die infektiösen Patienten isoliert werden können.
Bei der Anwendung gibt es mittlerweile Erleichterungen. So hat sich die Infusionsdauer auf 20 Minuten verringert und manche Medikamente können subkutan oder intramuskulär verabreicht werden. Patienten, die sich in einer späteren Phase der Erkrankung befinden und bereits hospitalisiert wurden, hilft die Gabe von Antikörpern in der Regel nicht. Eine Ausnahme bilden Infizierte, die keine eigenen Antikörper gegen Sars-CoV-2 bilden. Hier konnte die Infusion von Casirivimab und Imdevimab die Mortalität signifikant senken [7].
Antikörper zur Prophylaxe
Die Prävention mittels Antikörpergabe könnte laut Grüll zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel, um in Altenheimen nach einem Kontakt mit Sars-CoV-2-Infizierten eine Erkrankung zu vermeiden.
In Untersuchungen konnte man zeigen, dass die Post-Expositionsprophylaxe (z.B. mit Bamlanivimab oder Casirivimab/Imdevimab) das Erkrankungsrisiko deutlich verminderte, verglichen mit Placebo [8,9]. Infizierten sich die Kontaktpersonen trotz der Antikörper, verringern sich immerhin die Dauer der Symptome sowie die Viruslast.
Ein weiterer interessanter Ansatz ist die Prä-Expositionsprophylaxe, insbesondere für Patienten mit relevanter Immundefizienz. Dazu ist erst kürzlich eine S1-Leitlinie erschienen [10]. Demnach ist das Kombinationspräparat Tixagevimab/Cilgavimab “das einzige verfügbare und zur prophylaktischen Anwendung zugelassene Präparat mit adäquater Wirksamkeit gegenüber den aktuell zirkulierenden Omikron-Varianten auf Grundlage von Untersuchungen in vitro. Es wurde speziell zur prophylaktischen Anwendung entwickelt und besitzt eine deutlich längere Halbwertszeit im Vergleich zu anderen neutralisierenden monoklonalen Antikörper-Präparaten” [10].
Literatur:
- 1Bar-On Y et al. Nat Med 2018; 24: 1701-1707
- Mendoza P et al. Nature 2018; 561: 479-484
- Corey L et al. N Engl J Med 2021; 384:1003-1014
- Weinreich DM et al. N Engl J Med 2021; 385:e81
- Gupta A et al. JAMA 2022; 327(13):1236-1246
- Dougan M et al. N Engl J Med 2021; 385: 1382-1392
- Mussini C, Cozzi-Lepri A Lancet 2022; 10325: 609-610
- Cohen MS et al. JAMA 2021; 326(1): 46-55
- O‘Brien MP et al. JAMA. 2022; 327(5): 432-441
- S1-Leitlinie SARS-CoV-2 Prä-Expositionsprophylaxe, AWMF-Register-Nr. 092-002 Stand: 09.05.2022