Das sagt die Hausärztin
Die dargestellte Situation ist nicht ganz einfach: Die rüstige Patientin hat keine Beschwerden und ihre Medikation ist offenbar seit längerer Zeit stabil eingestellt. Verständlicherweise fühlt sie sich wohl und möchte keine Änderungen, was ihre medikamentöse Therapie angeht.
Aus fachlicher Sicht kommen hier aber gleich mehrere Faktoren zusammen, aufgrund derer die weitere Verordnung des L-Thyroxin kritisch hinterfragt werden sollte: 1. Zum einen ist die Indikation recht unklar: Es ist keine manifeste Hypothyreose dokumentiert, auch eine andere nachvollziehbare Indikation mit klinischen Symptomen liegt offenbar nicht vor. 2. In Anbetracht des Alters der Patientin erscheint der medikamentös eingestellte TSH-Wert recht “straff”.
Bei einem Erstkontakt kann es für das weitere Arzt-Patienten-Verhältnis problematisch sein, Elemente der bisherigen Therapie grundsätzlich zu hinterfragen. Es ist daher wichtig, gemeinsam eine Entscheidung für das weitere Vorgehen zu finden, indem man Bedenken aus ärztlicher Sicht offen anspricht, aber gleichzeitig Erwartungen und Wünsche der Patientin mit einbezieht.
Ein praktikabler Weg wäre zum Beispiel der Vorschlag, das L-Thyroxin (schrittweise) zu reduzieren. Wichtig ist, die Patientin darüber aufzuklären, welche möglichen Nachteile eine Fehl-/ Übertherapie auslösen kann (etwa Vorhofflimmern, Osteoporose) und auch darauf hinzuweisen, dass bei einem vorübergehend ansteigenden TSH-Wert ein nur geringes Risiko für Probleme besteht.
Eine weitere Kontrolle ist in diesem Fall erst nach etwa drei Monaten ausreichend, im weiteren Verlauf ist gegebenenfalls auch ein Absetzen der Medikation möglich.
Dr. med. Jeannine Schübel, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dresden
Das sagt der Facharzt
Schilddrüsenhormone gehören zu den am meisten verordneten Medikamenten in Deutschland. Grundsätzlich ist es richtig, die Indikation für eine bestehende Medikation bei einer neuen Patientin zu untersuchen. Dies betrifft besonders ältere Menschen, da eine Polypharmazie durchaus mehr schaden als nützen kann.
Eine TSH-Suppression mit TSH-Werten unter 0,3 mU/l geht mit einer deutlich erhöhten kardiovaskulären Mortalität und Gesamtmortalität einher. Der aktuelle TSH-Wert der Patientin liegt mit 2,5 mU/l in einem Bereich, der zunächst nicht als gesundheitsgefährdend eingestuft werden muss. Es bleibt also Zeit, in Ruhe die Indikation zu überprüfen.
Dazu gehört der Versuch, bei den Vorbehandelnden die Laborwerte vor Therapiebeginn mit L-Thyroxin zu erfragen. Sollten die TSH-Werte im deutlich erhöhten Bereich gelegen haben (zum Beispiel > 20 mU/l), wäre ein Absetzversuch eher nicht erfolgreich. Auch vorbekannt erhöhte Antikörper-Werte gegen die thyreoidale Peroxidase (TPO-AK) und/oder gegen Thyroglobulin (TG-AK) könnten auf eine autoimmun bedingte Schilddrüsenfunktionsstörung hinweisen.
Zusätzlich ist es notwendig, nach Interventionen in der Vorgeschichte zu fragen. Wurde beispielsweise eine (Teil-)Resektion der Schilddrüse durchgeführt? Erfolgte eine Radiojodtherapie? Auch dies würde für eine notwendige Fortführung der Therapie sprechen.
Eine sonografische Untersuchung könnte schnell Aufschluss geben, ob eine atrophische Form der Autoimmunthyreoiditis mit stark verkleinertem Organ vorliegt. Starke Echoarmut in der Sonografie weist auf eine bestehende Autoimmunthyreoiditis hin, die möglicherweise die Ursache für eine nicht ausreichend funktionsfähige Schilddrüse ist.
Sollte es nicht möglich sein, weitere Informationen einzuholen, kann man aus Praktikabilitätsgründen einen Auslassversuch durchaus probieren. Sinnvoll ist es, das L-Thyroxin schrittweise abzusetzen, indem man die Dosis halbiert und den TSH-Wert nach zwei Monaten noch einmal kontrolliert. Liegt der TSH-Wert weiter im Normalbereich, kann man das L-Thyroxin ganz absetzen und nach weiteren zwei Monaten noch mal den TSH-Wert kontrollieren.
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld Mitte
Das sagt die Evidenzbasierte Medizin
Wie es in der S2k-Leitlinie der DEGAM “Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis” heißt, ist ein physiologischer Anstieg des TSH-Werts mit zunehmendem Alter normal. Vor allem, wenn Patienten mehr als 85 Jahre alt sind, ist eine latente Hypothyreose nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden und kann sogar im Vergleich zu TSH-Werten < 4 mU/l einen Überlebensvorteil bringen. Bei Patienten, die über 80 Jahre als sind, definiert die Leitlinie daher erst einen TSH-Wert von mehr als 6 mU/l als erhöht.
Bezüglich der Therapie einer latenten Hypothyreose ist die Datenlage nicht einheitlich und nur schwer vergleichbar. Die Leitlinie weist darauf hin, bei älteren und hochbetagten Patienten zu prüfen, ob eine Levothyroxin-Therapie einen Benefit bringt, um eine Übertherapie zu vermeiden. Dies sei besonders wichtig, da Patienten in diesem Alter oft multimorbide sind und ohnehin schon sehr viele Medikamente einnehmen. Folgende Empfehlungen für die hausärztliche Praxis gibt es daher:
- Asymptomatische Patienten mit leicht erhöhtem TSH (≤ 10 mU/l) unabhängig vom Alter nicht zu substituieren.
- Bei älteren Patienten über 75 Jahre mit latenter Hypothyreose (bis TSH < 20 mU/l) auf eine Hormonsubstitution verzichten.
Des Weiteren heißt es in der Leitlinie, dass bei “Patienten mit Levothyroxin-Therapie, aber unklarer Indikation (keine eindeutige Diagnose der manifesten Hypothyreose, keine andere objektiv nachvollziehbare Indikation mit klinischen Symptomen)” die Weiterführung der Substitution überprüft werden sollte, indem man in Absprache mit den Patienten Levothyroxin schrittweise und unter TSH-Kontrollen reduziert.