Berlin. „In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen (fünf Prozent) errichten wir niedrigschwellige Beratungsangebote (z.B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel.
Das Versprechen will Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach einlösen und präsentierte am Mittwoch (31.8.) die Eckpunkte des Vorhabens im Vorbild-Gesundheitskiosk, der in Hamburg/Billstedt schon vor vielen Jahren eingerichtet wurde.
In den Kiosken sollen Bürger niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten. Ziel ist es, pro 80.000 Einwohner einen Kiosk zu errichten, also bundesweit insgesamt 1.000 Kioske, heißt es in den Eckpunkten der Gesetzesinitiative. Bis dies Realität wird, dauert es aber noch, denn schließlich muss das Gesetz dazu erst noch ins parlamentarische Verfahren.
Ärztliche Vertreter wie der Deutsche Hausärzteverband warnen davor, Doppelstrukturen aufzubauen (s. unten).
Auch Verbandwechsel und Injektionen vorgesehen
Die vorgesehenen Aufgaben sind recht weitreichend. Neben Beratungsangeboten plant Lauterbach auch Folgendes. In den Kiosken sollen:
- Leistungen der medizinischen Behandlung, Prävention und Gesundheitsförderung und Anleitung zu deren Inanspruchnahme vermittelt werden;
- allgemein beraten und unterstützt werden bei medizinischer und sozialer Bedarfsermittlung;
- erforderliche Gesundheitsleistungen sollen koordiniert, deren Inanspruchnahme angeleitet werden;
- bei der Klärung gesundheitlicher und sozialer Angelegenheiten soll unterstützt werden;
- ein sektorenübergreifendes Netzwerk soll gebildet werden;
- “einfache medizinische Routineaufgaben”, wie etwa Blutdruck und Blutzucker messen, Verbandswechsel, Wundversorgung und subkutane Injektionen – veranlasst von Ärztinnen und Ärzten, sollen durchgeführt werden;
- perspektivisch: Erweiterung um ergänzende Beiträge zur Sicherstellung der Primärversorgung.
GKV soll 75 Prozent der Gesamtkosten tragen
Initiiert werden sollen die Kioske von den Kommunen, die dann die Krankenkassen auch bei der Finanzierung in die Pflicht nehmen können. Lauterbach sieht vor, dass die GKV 74,5 Prozent der Gesamtkosten, die private Krankenversicherung 5,5 Prozent und die Kommunen 20 Prozent der Gesamtkosten tragen sollen.
Die Gesundheitskioske sollen examinierte Pflegefachkräfte und perspektivisch Pflegefachkräfte (etwa in der Kinder-, Kranken- und Altenpflege) mit Heilkundekompetenz (Community Health Nurses) leiten. Eine enge Kooperation mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) ist dabei „sicherzustellen“.
Als Beispiele zur Kooperation zwischen Kiosk und ÖGD werden die Mitwirkung bei Prävention und Gesundheitsförderung oder die Durchführung von Impfungen in den Räumen des Kioskes genannt.
Krankenkasse: Kommunen mehr in die Pflicht nehmen
„Gesundheit ist eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts. Auch unter wirtschaftlichem Druck muss es uns gelingen, in einer alternden Gesellschaft das Solidarsystem zusammenzuhalten. Deshalb darf in Deutschland weder der Geldbeutel noch der Wohnort über die Behandlung von Patientinnen und Patienten entscheiden. Gesundheitskioske können dabei einen entscheidenden Unterschied machen…“, erklärte Lauterbach das Vorhaben.
„Es ist wichtig, Menschen mit besonderem Bedarf den Zugang zur Versorgung zu erleichtern und bereits vorhandene Beratungsangebote für die Schwächsten der Gesellschaft auszubauen“, begrüßte Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen Lauterbachs Pläne. Kritisch findet Knieps die geplante Aufteilung der Finanzierung – die Kommunen dürften sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
Doppelstrukturen befürchtet
Die enge Anbindung an den ÖGD ist dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Vereinigung (Zi) ein Dorn im Auge. „Der Öffentliche Gesundheitsdienst nimmt zwar wichtige Aufgaben in der Gesundheitsförderung und Prävention wahr. Der zentrale Ort, an dem haus- und fachärztliche Versorgung in der Stadt und auf dem Land stattfindet, sind aber die niedergelassenen Arztpraxen“, erklärt Zi-Chef Dr. Dominik von Stillfried.
Evaluationen in Billstedt hätten gezeigt, dass ein Kiosk dann erfolgreich sei, wenn ein Netz von Praxen aktiv dahinterstehe. Deshalb müsste die Anbindung an behandelnde Arztpraxen bei der Ausgestaltung des Konzepts besonders berücksichtigt werden.
Die Eckpunkte werfen eine Reihe Fragen auf, findet der Deutsche Hausärzteverband, deren Klärung im Gesetzgebungsverfahren sehr komplex werden würde. Würde das Konzept umgesetzt, dürften keine Doppelstrukturen geschaffen werden. Die Kioske sollten sich nach Ansicht der Hausärztinnen und Hausärzte mehr auf die Unterstützung der Menschen bei administrativen Aufgaben fokussieren.
Ein weiteres Problem ist das jetzt schon knappe Fachpersonal, das für die Gesundheitskioske rekrutiert werden müsste. Der Wettbewerb um die Fachkräfte zwischen Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Gesundheitskiosken und im Zweifel auch Hausarztpraxen könnte sich weiter verschärfen.