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Serie "EKG in der Hausarztpraxis"Plötzlich Brustschmerzen

Ein Tag wie jeder andere? Niemals in Ihrem Beruf, werden Sie sagen. Sicherheit bei der EKG-Befundung hilft, auch in kritischen Situationen gut zu reagieren. Ein Fallbericht.

Kritischer EKG-Befund in der Hausarztpraxis? Darauf gilt es vorbereitet zu sein.

Es ist später Nachmittag, die Praxis soll demnächst schließen. Ihre Angestellte am Empfang ruft Sie an, da sich ein 49-jähriger Mann mit seit Kurzem aufgetretenen Brustschmerzen vorstellt. Gemäß Ihrem internen Protokoll bringt sie den Patienten umgehend in das Zimmer mit dem EKG-Gerät, wo er sich auf die Liege legt.

Zwei Minuten später sind Sie im Zimmer und sehen Herrn F., der auf den ersten Blick zwar etwas blass aussieht, dessen Allgemeinzustand aber normal wirkt. Eine kurze Anamnese ergibt, dass er nicht weit weg von der Praxis wohnt und plötzlich Brustschmerzen bekommen hat. Bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren berichtet er über einen Nikotinkonsum seit vielen Jahren. Ansonsten bestünden keine relevanten Vorerkrankungen, Medikamente nehme er nicht ein.

Sie haben gerade einen Blick auf das fertige EKG werfen können, als der Patient auf der Trage bewusstlos und zyanotisch wird und Myoklonien der Extremitäten auftreten. Der sofort angeschlossene Monitor alarmiert mit Kammerflimmern.

EKG-Analyse

In diesem außergewöhnlichen EKG (s. Abb. 1 unten; es handelt sich um das EKG, das kurz vor der Bewusstlosigkeit aufgezeichnet wurde) erkennen wir einen Sinusrhythmus mit am ehesten ventrikulärem Bigeminus.

Die Kammerfrequenz beträgt 96 pro Minute. Es handelt sich um einen Linkslagetyp. Die atrioventrikuläre Zeit ist mit 170 Millisekunden im Normbereich, ebenso die QTc-Zeit mit 419 Millisekunden.

Die exakte Bestimmung der QRS-Komplex-Dauer bereitet etwas Schwierigkeiten: Die Übergänge in die ST-Strecken sind nicht eindeutig abgrenzbar. Die QRS-Dauer beträgt in etwa 100 bis 110 Millisekunden und ist damit grenzwertig verlängert.

In den Extremitäten-Ableitungen I und aVL sind ST-Streckenhebungen erkennbar, welche durch die Ableitungen V2 bis V6 noch weit übertroffen werden und in der Messung am J-Punkt 1,0 Millivolt Amplitude erreichen.

Die T-Wellen in V2 bis V5 sind deutlich überhöht und spitz zulaufend. Es handelt sich um ein sogenanntes “Erstickungs-T”. Nebenbei lassen sich in den Ableitungen III, aVR und aVF geringe spiegelbildliche deszendierende ST-Streckensenkungen erkennen. Die R-Progression ist bereits gestört.

In V3 sehen wir eine Reduktion der R-Zacken-Amplitude. Es handelt sich um einen hoch akuten, schweren Vorderwandinfarkt. Der akute Beginn ist an dem Erstickungs-T und den fehlenden Q-Zacken zu erkennen.

Der Bigeminus weist die Konfiguration eines Rechtsschenkelblocks auf und hat daher seinen Ursprung am ehesten im linken Ventrikel im Infarktgebiet. Die Extrasystolie deutet auf eine rhythmische Instabilität hin und ist ein Risikofaktor für das akute Auftreten maligner Herzrhythmusstörungen – genau dies ist bei unserem Patienten wenig später geschehen.

Wie ging es weiter?

Es wird umgehend eine kardiopulmonale Reanimation begonnen und der Notarzt alarmiert. Bis der Defibrillator geladen ist, werden Thoraxkompressionen durchgeführt. Die erste Defibrillation erweist sich als erfolglos – nach der zweiten kommt es wieder zu einem Sinusrhythmus mit Wiederherstellung eines effektiven Kreislaufs (Return of spontaneous circulation = ROSC).

Die Applikation von Adrenalin zur Kreislauf-Wiederherstellung ist glücklicherweise in diesem Fall ebenso wenig notwendig wie eine rhythmische Stabilisierung mit Amiodaron, da nach der Defibrillation zunächst keine weiteren Herzrhythmusstörungen auftauchen. Die potenziell proarrhythmischen und Blutdruck verändernden Nebenwirkungen beider Medikamente lassen sich so vermeiden.

Durch die sehr schnelle Wiederherstellung des Kreislaufs wird Herr F. direkt wieder wach. Auf eine Narkose und Intubation wird zu diesem Zeitpunkt verzichtet, um durch die Anästhetika nicht noch weitere Kreislaufprobleme zu verursachen. Ein instabiler Patient, bei dem zum Beispiel eine nächste kreislaufrelevante Herzrhythmusstörung auftritt, sollte allerdings schon allein aufgrund des traumatischen Erlebnisses und zur weiteren sicheren Führung intubiert und beatmet werden.

Herr F. hatte ein primäres Kammerflimmern. Erinnern wir uns an das EKG, gibt uns der ventrikuläre Bigeminus aus der Infarkt-Zone bereits einen Hinweis auf die mögliche Komplikation maligner Herzrhythmusstörungen.

Der plötzliche Herztod durch Kammerflimmern oder hämodynamisch relevante ventrikuläre Tachykardien ist die häufigste Todesursache im Rahmen des akuten Myokardinfarkts.

Schnell zum Herzkatheter

Bei Herrn F. besteht ein schwerer Vorderwandinfarkt. Klinik und EKG weisen auf einen perakuten Beginn hin. Nach Applikation von Thrombozytenaggregationshemmern (Acetylsalicylsäure und ein P2Y12-Inhibitor wie Ticagrelor, sofern kein relevantes Blutungsrisiko besteht) sowie therapeutischer Antikoagulation (niedermolekulares oder unfraktioniertes Heparin, Bivalirudin) gilt als oberstes therapeutisches Ziel nun eine umgehende Revaskularisation der obstruierten Koronargefäße durch PTCA und Stentimplantation in das betroffene Gefäß (“culprit lesion”).

Hierfür wird der Patient vom mittlerweile eingetroffenen Rettungsdienst in Notarztbegleitung unter Monitorüberwachung und Reanimationsbereitschaft so schnell wie möglich in ein Herzkatheterlabor transportiert. Die Koronarangiografie bietet das erwartete Bild eines Gefäßverschlusses, in diesem Fall des proximalen RIVA (=LAD).

Der Verschluss wird rekanalisiert und aufgrund der großen Thrombuslast thrombektomiert. Anschließend wird ein “Drug-eluting Stent” implantiert und dadurch ein guter Fluss im Gefäßsystem wiederhergestellt. Nebenbefundlich zeigt sich eine signifikante Stenose des medialen RCX, die in dieser Sitzung nicht interveniert wird.

Herr F. wird anschließend zur Überwachung auf eine Intensivstation verlegt. Als antikoagulatorische Therapie erhält er weiterhin die bereits begonnene orale duale Thrombozytenaggregationshemmung (DAPT: ASS + Ticagrelor). Aufgrund der hohen Thrombuslast wird zudem für zwölf bis 24 Stunden der Gp-IIb/IIIa-Antagonist Tirofiban intravenös appliziert.

Zum weiteren Monitoring des Infarkt-Ausmaßes finden regelmäßige Creatinkinase (CK)-Bestimmungen und eine transthorakale Echokardiografie statt.

Sekundärprävention zählt

Nach Überleben der kritischen Phase der ersten 48 Stunden und klarem Abfall der CK ist die Verlegung auf eine Normalstation möglich. Nun geht es in erster Linie um die Sekundärprävention mit optimaler Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren. Da das Kammerflimmern im Rahmen des Infarkts und nicht später aufgetreten ist, besteht keine Indikation für die Implantation eines Defibrillators (ICD).

Herr F. hat Glück – die CK steigt nicht übermäßig hoch an und trotz des schweren Infarkts ist dank der erfolgreichen Akuttherapie echokardiografisch keine größere Narbe nachweisbar. Er kann nach sechs Tagen Aufenthalt die Klinik verlassen.

Ein paar Wochen später stellt er sich zur Revaskularisation der RCX-Stenose vor und beginnt anschließend eine ambulante Rehabilitation, durch die er seine gewohnte Leistungsfähigkeit wieder erreicht.

Literatur bei den Verfassern.

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

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