In Pforzheim gab es den Pieks um Mitternacht, im schleswig-holsteinischen Fissau in der Kirche. In Fechingen im Saarland kümmerte sich die Feuerwehr um den reibungslosen Ablauf der Impfaktion und im schwäbischen Nördlingen organisierte die Impfaktion eine Bar gemeinsam mit der Hausärztin am Ort, inklusive Bratwurst, Glühwein und der Gelegenheit, an die Fluthilfe Nordschwaben zu spenden.
In ganz Deutschland haben sich Hausärztinnen und Hausärzte erfinderisch gezeigt, wenn es um die Organisation von Corona-Impfungen und die Motivation der Bevölkerung für die Spritze ging. Ein beliebtes Thema für die Medienberichterstattung – und ein Beleg dafür, dass Hausärzte bei allem organisatorischem Mehraufwand, Stress und Zeiteinsatz die richtige Adresse für die breit angelegte Impfkampagne waren und sind.
Campen für die Spritze
Im hessischen Babenhausen zum Beispiel hatte Hausarzt Abra Mirza zu einem “offenen Impftag” ohne Terminvereinbarung aufgerufen.
Mit der enormen Resonanz hatte der Hausarzt nicht gerechnet; mehr als 1.500 Menschen reisten teils von weither in die Kleinstadt, campierten zum Teil über Nacht vor der Praxis und brachten Medienberichten zufolge selbst den Bürgermeister an den Rand der Verzweiflung. Einen solchen Besucheransturm ist der 16.000-Seelen-Ort im Landkreis Darmstadt-Dieburg nicht gewohnt.
Der Arzt selbst ließ sich vom Patientenandrang nicht schocken und organisierte einen weiteren Impftag, allerdings vorausschauend auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne der US-amerikanischen Allierten.
Wieder war der Andrang groß, reisten Patienten mit Wohnmobil und viel Zeit an, um sich den besten Platz in der Schlange der Impfwilligen zu sichern. Das Impfen, ein Happening. 3.000 Dosen, noch einmal 2.000 mehr als bei der ersten Impfaktion, verimpfte das Ärzteteam in Babenhausen. Statt wie geplant um 8 Uhr startete die Aktion um 5.30 Uhr. Dreieinhalb Stunden später sei das Impfstoffkontingent aufgebraucht gewesen, berichtete das hessische Lokalfernsehen.
Was in Babenhausen im kleinen Rahmen funktionierte, organisierte Dr. Astrid Weber mit Kolleginnen und Kollegen zweier weiterer Praxen im großen Stil in Koblenz. Nach Schließung der Landesimpfzentren Ende September hatten sie nahtlos die Dependance des Impfzentrums in einem großen Einkaufszentrum übernommen und hielten an sechs Tagen pro Woche ein niedrigschwelliges Impfangebot für jedermann aufrecht.
Long-Covid-Ambulanz ist geplant
“Wir sind phasenweise gestürmt worden und haben viele hunderte Personen pro Tag ohne Termin geimpft. Es kamen vor allen Dingen Menschen, die keinen Hausarzt hatten, viele Patienten mit Migrationshintergrund oder Menschen, deren Hausarzt keinen zeitnahen Impftermin anbieten konnte”, erinnert sich Astrid Weber.
Nachdem der Bedarf an Impfungen durch die Booster-Empfehlung nochmals stieg, schuf die Hausärztin auf Bitten der Stadt Koblenz Ende November ein weiteres Impfangebot in einem kirchlichen Bürgerzentrum. “Dabei rekrutierten wir Ärzte aus dem Ruhestand und bekamen dafür von der Kassenärztlichen Vereinigung über die Abteilung Sicherstellung grünes Licht.”
Das Impfangebot im Bürgerzentrum endete Ende Februar, im Einkaufszentrum machten die Kollegen weiter. Astrid Weber selbst impft inzwischen vor allem in ihrer Praxis und widmet sich wieder mehr der Corona-Ambulanz, die sie seit zwei Jahren leitet.
“Im Mai werden wir zusätzlich noch eine Long-Covid-Ambulanz eröffnen, sodass ich froh bin, dass das Impfen uns zeitlich im Moment nicht mehr so bindet”, so die Hausärztin. “Phasenweise hatten wir einen Mitarbeiterpool von 60 Personen, insgesamt haben wir in diesen beiden Zentren 16.000 Impfungen durchgeführt. Zusammen mit unserer Gemeinschaftspraxis kommen wir auf aktuell 23.000 Impfungen.”
Zusätzliches Personal eingestellt
Wie viele Impfungen sie verabreicht hat, will Anke Richter-Scheer nicht sagen. “Tatsache ist, dass meine Personalkosten im Dezember fast so hoch waren wie meine Quartalseinnahme für das dritte Quartal”, berichtet die Hausärztin aus Bad Oeynhausen.
Der Grund: Die Leiterin des Kreis-Impfzentrums und Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe hatte für drei Monate eigens Ärzte, MFA und Sachbearbeiter eingestellt, um den “Impfmarathon”, wie sie es nennt, in der Praxis leisten zu können (siehe Interview). “Das Modell ist aus meiner Sicht mit den Vertragsmöglichkeiten auch in der Zukunft nicht zu verachten.”
Auch Dr. Heinz Ebbinghaus aus Soest in Nordrhein-Westfalen impfte monatelang außerhalb der Sprechzeiten. Er sei aus Überzeugung an Mittwochnachmittagen und am Wochenende in Institutionen wie Männerwohnheimen und Zentralen Unterbringungseinheiten für Geflüchtete unterwegs gewesen, berichtet der Hausarzt.
Das Thema Impfen beanspruchte einen Gutteil seiner Zeit, hatte er doch als Verbindungsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) das Impfzentrum im Kreis mit aufgebaut und betreut.
Impfung statt Predigt
Derzeit beobachtet er als Regionalleiter der KVWL das Impfgeschehen im Kreis. “Als Impfbefürworter und Impfarzt hat meine Praxis zudem an allen Adventssamstagen am “Adventsimpfen” teilgenommen”, berichtet Ebbinghaus; die koordinierende Covid-Impfeinheit am Ort hatte die Aktion organisiert. “Ich denke, gerade wir Hausärzte haben mit unseren MFA das Impfgeschehen und die Pandemie zu über 80 Prozent gerockt, trotz politischem Zickzackkurs, trotz medialer Überfrachtung.”
In Kirchen impften mehrere Hausärzte in Deutschland. Im nordrhein-westfälischen Castrop-Rauxel zum Beispiel: Dort fanden immer mittwochs in der Früh Impfschichten statt. Viele Gotteshäuser punkten mit Vorteilen: zentrale Erreichbarkeit, Parkmöglichkeiten vor der Tür, Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, hohe, große Räume, mehrere Ein- und Ausgänge, bestehende Hygienekonzepte für die Gottesdienste. Diese Pluspunkte machten sich auch Hausärztinnen und Hausärzte zunutze.
Nicht im Gotteshaus, dafür um Mitternacht impfte die Pforzheimer Hausärztin Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, frisch gewählte erste Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg und Pandemiebeauftragte für Pforzheim und den Enzkreis.
Geimpft wurde bei der digital organisierten Aktion demnach in 15 Impfstraßen; die Verwaltungsarbeiten übernahmen zum Teil Lokalpolitiker. 5.000 Menschen ließen sich an einem Tag impfen: Auch Pforzheim hat so eine Impf-Erfolgsgeschichte geschrieben.