Die historische Goldarznei Essentia Dulcis war wohl so etwas wie ein Allheilmittel: Neben der physischen Gesundheit sollte die alchemische Tinktur aus Halle auch die menschliche Seele stärken. Die Einnahmen aus dem Verkauf kamen sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu Gute. Eine Forscherin der Franckeschen Stiftungen versucht nun herauszufinden, was es mit der vermeintlichen Wundermedizin auf sich hat.
Als alchemische Goldarznei wurde die Essentia Dulcis im 18. Jahrhundert in Halle hergestellt. Bei der Bevölkerung genoss sie einen sehr guten Ruf, denn der Tinktur wurde eine hohe Wirkkraft aus den verschiedensten Anwendungsgebieten nachgesagt.
Viele Menschen waren bereit, jede Menge Geld dafür zu bezahlen. Schließlich wurde in der Alchemie Gold als das reinste und wirkmächtigste Metall angesehen. Die damals naheliegende logische Schlussfolgerung: Goldarzneimittel seien demnach besonders heilkräftig.
Hinzu kam: In der Essentia Dulcis sollte entsprechend der paracelsischen Arzneitradition nur der reine “wirksame Geist” des Goldes enthalten sein und somit nichts, was das Trinkgold verunreinigen hätte können. Das Indikationsspektrum war umfangreich; die Essentia Dulcis wurde verschrieben bei verschiedenen Fieberarten, Husten, Schwindsucht, Schmerzen, Entzündungen, Schwindel, Durchfall und vielem mehr.
Bei einem Medikament mit einem vermeintlich derart breitem Indikationsspektrum, ließ der finanzielle Erfolg nicht lange auf sich warten.
Geld verdienen – und Gutes tun
Die Geschichte der Essentia Dulcis ist eng geknüpft an die Geschichte des sogenannten Halleschen Waisenhauses – den heutigen Franckeschen Stiftungen zu Halle. Das Waisenhaus war eine visionäre Einrichtung, vielmehr als ein bloßer Unterbringungsort für Kinder ohne Eltern.
Hier wurde derart Wert auf Bildung gelegt, dass sich der gute Ruf der dort ansässigen Armenschule schnell herumsprach. Bald schickten auch wohlhabende Eltern aus dem Bürgertum ihre Kinder dorthin und eine weitere Schule entstand auf dem Gelände.
Unterrichtet wurden die Jungen und Mädchen von Studenten. Sie erhielten als Gegenleistung einen kleinen Lohn, eine Wohnung und Feuerholz. Im Jahr 1707 wurden in den Schulen des Waisenhauses insgesamt bereits mehr als 1.000 Schüler und Schülerinnen unterrichtet und um 1730 lebten, lernten und arbeiteten etwa 3.000 Menschen in den Anstalten.
Vor allem dem Arzneimittelhandel ist es zu verdanken, dass diese ernährt, untergebracht und gut mit Medikamenten versorgt waren. Denn das Hallesche Waisenhaus verfügte auch über eine hauseigene Apotheke. Dort wurde die Essentia Dulcis hergestellt und verkauft. Die Waisenhaus-Medikamente genossen in der Bevölkerung großes Vertrauen.
Damalige Patientinnen und Patienten vertrauten darauf, dass keine Verunreinigungen enthalten sein würden und auf qualitativ hochwertige Ausgangsmaterialien zurückgegriffen wurde. Obwohl eine große Menge an Arzneien im Geiste einer gelebten Sozialfürsorge gratis an Bedürftige abgegeben wurde, war der Erlös aus den Arzneimittelverkäufen so groß, dass dieser wesentlich dazu betrug, die Anstalt mit all ihren Einrichtungen zu finanzieren – und z.B. eine Buchhandlung sowie eine Buchdruckerei und einen Verlag aufzubauen.
Erster Apothekenversandhandel der Welt
Neben dem Vor-Ort-Verkauf spülte der Versandhandel, den die Waisenhaus-Apotheke mit der sogenannten “Medikamenten-Expedition” aufgebaut hatte, immer mehr Geld in die wohltätige Einrichtung.
Die Essentia Dulcis und andere Waisenhaus-Medikamente wurden innerhalb der deutschen Territorien verschickt und auch in andere Länder und Gebiete innerhalb Europas und der Welt, wie z. B. Russland und Nordamerika – gemeinsam mit gedruckten Schriften, die Beipackzettel, Werbe- und Infomaterial in einem waren.
Der Handel und Versand von Arzneien blühte und finanzierte auch eine Armensprechstunde am Halleschen Waisenhaus. Hier wurden Bedürftige unentgeltlich medizinisch behandelt und mit Medikamenten versorgt.
“Der Erfolg der Essentia Dulcis und der Waisenhaus-Arzneimittel insgesamt war enorm. Sie hatten einen so großen Wirkradius, dass man in Bezug auf die Medikamenten-Expedition des Halleschen Waisenhauses ohne Übertreibung innerhalb der damaligen Verhältnisse von einem pharmazeutischen Großunternehmen mit ausgefeilter Versandhandelsstruktur sprechen kann.
Das war in dieser Form für das 18. Jahrhundert absolut einzigartig”, analysiert Claudia Weiß von der Stabstelle Forschung der Franckeschen Stiftungen. Sie plant zu dieser, lange als Wundermittel gepriesenen, Goldarznei und zu anderen alchemischen Medikamenten der Waisenhaus-Apotheke derzeit ein Forschungsprojekt und eine Promotion.