Es ist ein Novum in der gesetzlichen Krankenversicherung: Ab September haben Versicherte ab 16 Jahren mit hohem HIV-Ansteckungsrisiko Anspruch auf eine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) samt Begleituntersuchungen.
Bisher zahlten die Kassen nur die Kosten für Arzneimittel im Krankheitsfall – bei der PrEP jetzt auch zur Vorbeugung. Zu den Berechtigten gehören primär
- Männer, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben (MSM),
- sowie Transgender, die angeben, analen Geschlechtsverkehr ohne Kondome zu haben.
Zudem kann individuell eine erhöhte Gefahr bestehen bei
- Drogensüchtigen, die keine sterilen Injektionsmaterialien benutzen,
- Personen, die mit Partnern Geschlechtsverkehr haben, bei denen eine nicht diagnostizierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist,
- serodiskordante Partner.
So haben es Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband Mitte August vereinbart. Die EBM-Ziffern soll der Bewertungsausschuss bis Oktober festlegen [1]. Damit entsprechen sie größtenteils den Empfehlungen der WHO und DAIG-Leitlinie. Laut Leitlinie trifft oft die Selbsteinschätzung zu, weswegen bei jedem, der nach einer PrEP fragt, eine „sorgfältige Risikoevaluation“ erfolgen sollte [2].
Zu den formalen Kriterien kommen medizinische hinzu: So sollte eine Nierenfunktionsstörung mittels Kreatinin-Bestimmung im Serum ausgeschlossen werden, da die Therapie diese beeinträchtigt. Der Leitlinie zufolge muss die eGFR mindestens 60 und sollte >80 ml/min betragen. Eine bekannte Osteoporose gilt als Kontraindikation; eine PrEP sei aber keine Indikation für eine Knochendichtebestimmung. [2]
KV-Genehmigung nötig
Beurteilung und Verordnung erfordern eine besondere Qualifikation, so die KBV [1]. Um eine PrEP zu verschreiben, brauchen Ärzte daher eine KV-Genehmigung nach Qualitätssicherungsvereinbarung HIV/Aids. Neben HIV-Schwerpunktpraxen kommen dafür auch Allgemeinmediziner und hausärztliche Internisten infrage. Vorausgesetzt sie haben
- mindestens 16 Stunden in einer HIV-/Aids-Einrichtung hospitiert,
- mindestens 15 Personen mit HIV/Aids oder PrEP behandelt sowie
- eine Fortbildung (acht Punkte) besucht.
Die PrEP-Behandlung erfordert nicht nur eine sehr hohe Adhärenz des Patienten, sondern auch regelmäßige Begleituntersuchungen (s. Tab.) [2, 3]. Denn in sehr seltenen Fällen kann das HI-Virus gegen Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (TDF/FTC) resistent werden. Dies ist wahrscheinlicher, wenn zu Therapiebeginn eine HIV-Infektion noch nicht diagnostiziert ist. Daher ist eine regelmäßige Testung (s. Tab.) entscheidend [2, 3, 5]. Da TDF/FTC auch gegen Hepatitis B wirkt, ist nach dem Absetzen eine Exazerbation einer Hepatitis B möglich.
Gut wirksam bei hoher Adhärenz
Die Kombi TDF/FTC konnte Neuinfektionen mit HIV um 86 Prozent senken, bei konsequenter täglicher Einnahme sogar bis zu 99 Prozent. Effekte zeigten sich in sieben größeren randomisierten kontrollierten Studien. [2, 3, 5] Johanniskraut und Grapefruitsaft können die Wirksamkeit verschlechtern und sollten daher vermieden werden, sagt Infektiologe Dr. Roger Vogelmann [6]. Im Allgemeinen wird die PrEP gut vertragen, gerade in den ersten Wochen leiden Patienten häufig vorübergehend aber an Magen-Darm-Störungen [3, 4].
Der Wirkstoff verhindert die Vermehrung des HI-Virus, wenn er sich in der Kolorektalschleimhaut genügend angereichert hat. Dies ist nach Modellrechnungen am zweiten Tag der Fall, bei Frauen in der vaginalen Schleimhaut erst am siebten Tag. Die Deutsche Aidshilfe stellt dafür anschauliche Einnahmeschemata zur Verfügung (s. Link-Tipp).