Münster. Mit Kritik einer völlig neuen Schärfe hat Dr. Andreas Gassen am Montag (27. Mai) für mehr Besonnenheit in der gesundheitspolitischen Gesetzgebung plädiert. Zwar habe er nichts gegen “eifrige, auf Medien schauende Jungpolitiker”, jedoch müssten diese auch wissen, wovon sie reden. “Eine gewisse Portion Demut vor der Komplexität der Gegenwart” wäre auf der Suche nach innovativen Ideen angebracht, schoss der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) deutlich gegen führende Gesundheitspolitiker. Ein Beispiel neben der offen kritisierten Gesetzgebung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der jüngst einen Studiengang für sächsische Landärzte ins Gespräch gebracht hatte.
“Nur aus Studierstube heraus” lasse sich praktische Weltkenntnis nicht gewinnen, stichelte Gassen hierzu. Und: “Ein bisschen mehr Besonnenheit täte vielen Akteuren gut und würde ihnen auch manche Blamage ersparen.”
Mit seinen Worten hat Gassen die Vertreterversammlung der KBV eröffnet, die traditionell am Tag vor dem Start des Deutschen Ärztetags tagt. Ab Dienstag (28. Mai) treffen sich dann die Delegierten des “Ärzteparlaments” in Münster. Auch Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), hatte im Vorfeld deutlichen Gegenwind für Spahn angekündigt. Der Minister wird am Dienstag zur Eröffnung des 122. Deutschen Ärztetags in Münster erwartet.
Droht DMP mit neuem Gesetz das Aus?
Gassen wie auch KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister nutzten die Vertreterversammlung, um die Kritik am Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) zu erneuern. Die zu kleinteiligen Vorgaben öffneten Tür und Tor für mehr Bürokratie und Kontrolle, so Hofmeister. „Es wäre fatal, wenn die Kassen das Gesetz ins Leere laufen lassen”, mahnte Gassen außerdem.
Deutlich zeigte Hofmeister darüber hinaus die “Kollateralschäden” auch der nächsten Gesetzesvorhaben auf: Die im Faire-Kassenwahl-Gesetz vorgesehene Streichung der Programmkostenpauschale für Disease-Management-Programme (DMP) führe faktisch zum „Tod“ der Programme. Vor dem Hintergrund der Entwicklung sei das besonders tragisch: Waren sie anfangs nur “Geldverschiebebahnhof” für die Kassen, hätten sie die Versorgung nach langem Nachjustieren deutlich verbessert, wie erste Evaluationen belegten. Genau in diesem Moment werde ihnen nun der Hahn abgedreht, kritisiert Hofmeister. Noch vor einem Jahr seien zwei neue DMP angeschoben worden, erinnerte er.
Ende der Kodierungen würde Hausärzte “mundtot” machen
Ebenso deutlich kritisierte er die immer wieder laut werdenden Manipulationsvorwürfe in Richtung Ärzte. “Wenn die Kassen sich untereinander übervorteilen wollen, dann sollen sie das tun. Wenn sie das aber auf unserem Rücken austragen, dann wird es ernst.” Diagnosen seien die Sprache der Ärzte, und ein Ende der Kodierungen würde gerade Hausärzte “mundtot” machen. Auch die Idee, dass hausärztliche Diagnosen weniger wert sein sollen als fachärztliche, nannte Hofmeister „hanebüchen“.