Seine Frau sei kurz vor Weihnachten “einfach zusammengebrochen”, seither führe er die Gemeinschaftspraxis allein – “bis auch ich nicht mehr kann”. Das Schicksal, das ein Hausarzt auf der Frühjahrstagung des Sächsischen Hausärzteverbands vorträgt, ist ein besonders dramatisches – doch keinesfalls ein Einzelfall. Rund die Hälfte der deutschen Ärzte fühlt sich körperlich, mental und emotional erschöpft. Das zeigt eine Umfrage des medizinischen Informationsdienstes “Medscape” mit 600 Teilnehmern. 24 Prozent von ihnen gaben an, unter Depressionen zu leiden, zwölf Prozent stellten bei sich Burn-out-Symptome fest.
“Wenn der Arzt zum Patient wird, ist das oft schwierig”, weiß Dr. Thomas Kötter, Hausarzt und Wissenschaftler an der Universität zu Lübeck. Sein Forschungsschwerpunkt: die psychosoziale Gesundheit von Medizinstudierenden.
“Alles halb so schlimm”-Denken
“Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur neigen Ärzte meist dazu, Symptome zu bagatellisieren oder gar zu leugnen”, sagt Kötter. “Wenn sie ihren Patienten längst eine weiterführende Diagnostik ans Herz legen würden, bleiben Ärzte zunächst weiter allein.” Nicht selten sei Angst dafür ein treibendes Motiv: Spätestens, wenn die Erschöpfung in einer Suchtproblematik mündet, hätten viele Kollegen Angst um die Approbation. Auch der Ruf in der Kleinstadt könne ein Hemmnis sein, offen zur eigenen Erkrankung zu stehen. Insgesamt seien die Hürden für einen offenen Umgang mit Schwäche im Arztberuf höher als in anderen Berufsgruppen, so Kötter.
Auch die Umfrageergebnisse von “Medscape” weisen auf eine solche “Alles halb so schlimm”-Mentalität hin: 94 Prozent schränken trotz beobachteter Depression oder Burn-out ein, ihre Symptome seien nicht “klinisch manifest”. Dass der Betroffene selbst das immer korrekt beurteilen kann, bezweifelt Kötter. Eine Selbsttherapie oder auch die Therapie Familienangehöriger oder enger Freunde sei per se zwar nicht auszuschließen, doch die Grenzen des Möglichen seien fließend. “Spätestens wenn ich meinem Vater, aufgrund der mir bekannten Studienlage, vom PSA-Test abrate und fünf Jahre später ein Karzinom diagnostiziert wird, wird das deutlich.”
Jeder Arzt braucht einen Hausarzt
Auch jeder Arzt, betont Kötter, sollte daher einen Hausarzt als festen Ansprechpartner haben. Doch wer kann dies sein? Praxispartner stehen oft zu nah, unbekannte Ärzte hingegen würden, aufgrund des eigenen Fachwissens, oft erst einmal skeptisch bewertet. Hier gelte es, die individuell passende Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, rät Kötter. Am wichtigsten jedoch werde vor diesem Hintergrund die Prävention, weiß er. “Das, was wir Patienten empfehlen, ist im Sinne von ,practice what you preach‘ auch für uns Ärzte wichtig”, sagt er.
Dabei geht es um allgemeine Empfehlungen einer gesundheitsfördernden Lebensweise: regelmäßige Pausen, eine ausgewogene Ernährung, soziale Kontakte. “Oft reichen schon kleine kognitive Übungen, um große Effekte in Richtung Stressresistenz zu erzielen”, betont Prof. Ottmar L. Braun von der Uni Koblenz (s.u.), der zu mentaler Stärke im Arbeitsleben forscht.
Ärzte sind dabei überdurchschnittlich auf die eigene Fürsorge angewiesen. “Lastwagenfahrer etwa haben feste Pausenzeiten – weil sie einen verantwortungsvollen Job haben, bei dem sie nicht zuletzt andere gefährden können”, verdeutlicht Kötter. “Für Ärzte gilt das mindestens genauso – und doch wird erwartet, dass sie immer da sind.”
Bereits im Studium sensibilisieren
Essenziell sei darüber hinaus, das aufkeimende Bewusstsein für die Arztgesundheit weiter zu stärken, meint Kötter. Die Überarbeitung der Genfer Deklaration, die 2017 erstmals das eigene Wohlergehen in den ärztlichen Ehrenkodex aufgenommen hat, war dabei ein wichtiger Schritt. Die Diskussion auf dem Deutschen Ärztetag könnte neue Impulse bringen.
Künftig sieht Kötter auch die Kammern, etwa auf Fortbildungen, in der Pflicht. Und: “Schon im Studium muss am Bild des Unverwundbaren gerüttelt werden. Denn auch als Arzt kann man nun einmal nicht alles durchstehen.”
In sechs Schritten zum stressfreieren Leben
von Prof. Ottmar L. Braun
1. Die fünf wichtigsten eigenen Stärken identifizieren: Basis hierfür ist die Positive Psychologie. Es geht darum, die Stärken der Menschen zum Einsatz und die Menschen so zum Aufblühen zu bringen. Ein Stärkentest, etwa bei der Uni Zürich auf www.charakterstaerken.org nach Registrierung kostenfrei erhältlich, kann helfen, eigene Stärken zu identifizieren. Auch für die Praxisorganisation kann eine solche Analyse gute Hinweise geben.
2. Jeden Abend die “Was ist gut-gelaufen-Übung” durchführen. Dazu müssen zwei Fragen beantwortet werden:
- Was ist heute gut gelaufen?
- Welche meiner Stärken haben dazu beigetragen, dass es gut gelaufen ist?
Für jeden Tag drei Beispiele in ein Erfolgstagebuch eintragen.
3. Aufmerksam und achtsam durch die Welt gehen: Dazu gehört auch, immer nur eine Sache zu tun. Multitasking ist ein Mythos! Setzen Sie sich Grenzen, indem Sie etwa die Zahl der planbaren Patientenkontakte begrenzen.
4. Ausreichend regelmäßig schlafen und essen. Auch im Praxisalltag gilt: Planen Sie Pausenzeiten und halten Sie diese ein. Konsumieren Sie Alkohol nur in niedrigen Dosen und auch nur am Abend: Als Genussmittel ist ein Glas Wein durchaus kein Tabu – jedoch darf dies keinesfalls die Regel werden oder als “Belohnung” nach einem stressigen Praxistag gelten.
5. Achten Sie auf Ihren Körper und Ihre sozialen Kontakte: Machen Sie dreimal die Woche Ausdauersport oder einen Spaziergang. Identifizieren Sie Erholungsoasen, etwa kleine Rituale im Praxisalltag. Haben Sie schon einmal an einen Hausbesuch per Fahrrad gedacht? Oder am Nachmittag ganz bewusst eine Tasse Tee genossen? Pflegen Sie Beziehungen und Freundschaften.
6. Praktizieren Sie Dankbarkeit. Schreiben Sie einmal pro Woche auf, wofür Sie dankbar sind. Danken Sie auch regelmäßig Ihren Mitarbeiterinnen und Ihren Mitarbeitern für die Unterstützung. Gesundes Führen wirkt sich auch auf die eigene Gesundheit aus!
Auch darüber spricht der 122. Deutsche Ärztetag im Mai
Unter dem Titel “Wenn die Arbeit Ärzte krank macht” widmet der Deutsche Ärztetag der Arztgesundheit einen eigenen Tagesordnungspunkt. Welche weiteren Themen zu erwarten sind? Ein Überblick.
E-Logbuch für die Weiterbildung
Die Musterweiterbildungsordnung (MWBO) richtet sich künftig an Facharzt-Kompetenzen aus, statt auf starren Zeiten und Zahlen zu bestehen. Um diese abzubilden, wird ein bundesweit einheitliches elektronisches Logbuch eingeführt. In Münster soll ein Entwurf für dieses vorgelegt werden. Für die Entwicklung gemeinsam mit einem externen Unternehmen hatten die Delegierten im vergangenen Jahr der Bundesärztekammer (BÄK) das Mandat erteilt.
Neue Regeln gegen die Antragsflut
Beim 122. Deutschen Ärztetag soll der BÄK-Vorstand eine Änderung der Geschäftsordnung vorlegen, die die Einrichtung einer Antragskommission beinhaltet. Dafür stimmten die Delegierten 2018, nachdem sie in einem wahren Abstimmungsmarathon mehr als 150 Anträge entschieden hatten. BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery befand den Antrag für “absolut richtig”. “Das, was wir hier machen, hat kaum noch etwas mit einem würdevollen Abarbeiten von Anträgen zu tun”, kritisierte er. Er selbst könne nicht mehr von sich sagen, jeden einzelnen Antrag inhaltlich zu überblicken.
Wahl des neuen BÄK-Präsidenten
Auf der Tagesordnung stehen in Münster auch Vorstandswahlen. Prof. Frank Ulrich Montgomery wird sein Präsidentenamt nach acht Jahren abgeben. Bis Redaktionsschluss haben sich vier Ärzte offiziell um seine Nachfolge beworben. Ein Novum könnte dabei die zuletzt bekanntgewordene Kandidatur von Niedersachsens Ärztekammerpräsidentin Dr. Martina Wenker mit sich bringen: Sie wäre die erste Frau an der Spitze der BÄK. Neben Wenker kandidieren drei Männer: der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Gerald Quitterer, Hartmannbund-Chef Dr. Klaus Reinhardt sowie Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin.