Corona-VersorgungKommt jetzt die Rolle rückwärts?

Um die Versorgung von Infektpatienten zu bündeln und damit auch Hausärzte zu entlasten, sind in ganz Deutschland Covid-19-Zentren entstanden. Jetzt reißt die KBV das Ruder rum: Nicht zuletzt aufgrund sinkender Infektionszahlen sei das nicht mehr effizient.

Umschwenken im Umgang mit Corona: Auch für den medizinischen Bereich mahnt die KBV eine Exit-Strategie an.

Berlin. Covid-19-Verdachts- und Erkrankungsfälle müssen weiterhin konsequent von anderen Patienten getrennt werden – allerdings künftig nicht mehr unbedingt in getrennten Patientenströmen beispielsweise durch separate „Corona-Praxen“, sondern integriert in die Regelversorgung. „Hunderte Praxen“ als eigenständige Infekt- oder Corona-Praxen auszuweisen, während diese nur „null bis vier Patienten pro Tag“ aufsuchten, sei nicht zuletzt angesichts sinkender Infektionszahlen nicht mehr die richtige Strategie, skizzierten Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), und sein Vize Dr. Stephan Hofmeister am Donnerstag (16. April) in Berlin.

„Auch wenn Covid-19 aktuell das gesamte Denken und vor allem die gesamte mediale Berichterstattung beherrscht, ist das Haupt-Krankheitsgeschehen in Deutschland eben nicht Covid-19“, betonte Gassen mit der Vorlage einer Exit-Strategie aus medizinischer Sicht. Es sei „fahrlässig“, die Versorgung dauerhaft in diese Richtung zu lenken. Ausnahmen bildeten Ballungsräume, in denen die Aufrechterhaltung von Covid-19-Zentren möglicherweise länger Sinn mache.

Zum Hintergrund: In den vergangenen Wochen waren – je nach Region als Infekt-, Corona-, Fieber-Ambulanzen oder ähnlich betitelt – Covid-19-Zentren entstanden, die die Testung und Versorgung von Corona-Infizierten gebündelt haben. Beispielsweise hat der Hausärzteverband Bremen sogenannte Gemeinsame Infekt-Untersuchungs-Stellen (GIUS) angestoßen: Sie entlasten Hausarztpraxen in Norddeutschland, indem sie die Betreuung von Infektpatienten bündeln. Kooperierende Hausarztpraxen können dazu Patienten mit Atemwegsbeschwerden unklarer Ausprägung zur Untersuchung in der GIUS anmelden. Aber auch die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) haben fast flächendeckend Projekte angestoßen, um solche Strukturen zu etablieren.

Nicht zuletzt die fehlende Schutzausrüstung in zahlreichen Arztpraxen sorgte dafür, dass eine solche Bündelung nötig wurde.

Knackpunkt: Fehlende Schutzausrüstung

Hier zeigt sich auch weiterhin die Crux: Voraussetzung für die vorgelegte medizinische Exit-Strategie ist das Vorhandensein von Schutzausrüstung, betont die KBV in aller Deutlichkeit. In ersten Regionen zeichnet sich zwar Entspannung ab. Seit Anfang April seien die Hausarztpraxen in Thüringen etwa beinahe flächendeckend mit entsprechenden Kitteln und Masken ausgestattet, so Landeshausärzteverbandschef Dr. Ulf Zitterbart. Erfahrungsberichte aus anderen Regionen jedoch zeichnen weiterhin ein anderes Bild.

Auch eine deutlich verlangsamte Ausbreitungsgeschwindigkeit des SARS-CoV-2-Virus sowie die gesunkene Reproduktionszahl ermöglichen es laut KBV, „aus medizinischer Sicht eine schrittweise Rückkehr zur Normalität einzuleiten“. Die Anrufzahlen bei der 116 117 seien auf ein „normales Maß“ zurückgegangen.

Den Regelbetrieb länger einzustellen und Ressourcen – etwa in Kliniken – abwartend zu reservieren, sei vor diesem Hintergrund nicht tragbar. Die Praxen seien leerer als zuvor, Krankenhäuser hätten Kurzarbeit angemeldet, so Gassen. „Die Welle ist ausgeblieben.“ Die Regelversorgung habe unterdessen „massiv gelitten“.

Die KBV wolle die Regierung, die am Tag zuvor bereits erste Lockerungen der aktuellen Corona-Maßnahmen bekanntgegeben hatte, daher unterstützen, auch im medizinischen Bereich eine Exit-Stragie zu wagen. In einem sechsseitigen Positionspapier schlagen die Vertragsärzte unter anderem folgende Punkte vor:

1. Gezielte Testungen

Der einfache Ruf nach mehr Testungen mache keinen Sinn, betont Gassen weiterhin. Jedoch müsse in eine gezielte Testung (PCR-Test, nicht Antikörper-Test) der Risikobevölkerung und der im Gesundheitswesen Tätigen investiert werden. “Ziel muss hierbei sein, insbesondere Infizierte im Gesundheitssystem frühzeitig zu erkennen.” Auch vorsorgliche Tests machten allein hier Sinn. Personen, die von Berufswegen Kontakt mit vulnerablen Patientengruppen haben, müssten “regelmäßig” untersucht werden, um Infizierte möglichst frühzeitig zu erkennen und nosokomiale Ausbruchssituationen zu vermeiden. “Dieser Personenkreis kann den notwendigen Rachenabstrich nach einmaliger Anleitung als Selbsttestung durchführen.”

Dabei sei perspektivisch auch zu überlegen, ob die Testung für stationär Tätige eine im SGB V festgehaltene medizinische Vorsorgeleistung werden könne, deutete die KBV nun an.

Die Grenzen der Testkapazitäten seien weiterhin in Lieferengpässen beim Material begründet.

2. Konsequente Patienten-Separierung

Die bislang entstandenen Covid-19-Zentren können laut KBV-Exit-Strategie nur “kurzfristig” das Mittel der Wahl sein. „Es fehlt zum einen an qualifiziertem ärztlichen und nicht ärztlichen Medizinpersonal, um diese dauerhaft neben dem Regelbetrieb aufrecht zu erhalten und zum anderen sind die Patientenzahlen von an Covid-19 Erkrankten bzw. Patienten mit unklarer Infektion der oberen Atemwege (diese insbesondere von April bis Oktober) zu niedrig, um hierfür dauerhaft eigene Strukturen flächendeckend vorzuhalten.“

Mittelfristig müssten die Zentren daher “in großen Teilen in den Regelbetrieb integriert werden”. Hierfür sollten insbesondere geeignete hausärztliche, kinderärztliche und in Teilen auch fachärztliche Praxen flächendeckend „Infektsprechstunden“ anbieten, um auf diese Weise besonders gefährdete Patienten von mutmaßlichen Covid-19-Patienten getrennt zu versorgen. “In diesen Infektsprechstunden werden die gleichen Versorgungsfunktionen übernommen, die derzeit in Covid-19-Zentren angeboten werden.”

Laut KBV-Vize Hofmeister hat heute bereits “jeder” verstanden, dass er mit unklarem Infekt auf keinen Fall direkt in die Arztpraxis, sondern sich vorher telefonisch melden solle. Dies müsse weiter propagiert werden; für die Versorgung von Patienten in häuslicher Quarantäne könnten Ärzte auf Telefon und Videosprechstunde setzen.

3. Besondere Schutzmaßnahmen für Risikogruppen / Perspektivisch: Steuerung der Impfnotwendigkeit

Momentan sei nicht verlässlich abzusehen, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Menge ein gegen das SARS-CoV-2-Virus wirksamer Impfstoff zur Verfügung stehen wird, betonte Gassen einmal mehr. “Sollte ein Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, bietet es sich an, ein risikoorientiertes Priorisierungskonzept für die Impfung zu etablieren”, schlägt die KBV vor. “Hierbei kann man analog zu den Impfungen gegen saisonale Influenza und Pneumokokken eine Impfung für Menschen > 60 Jahre und Risikogruppen mit pulmonalen, kardialen und immunsupprimierenden Vorerkrankungen sowie für im Gesundheitswesen Tätige empfehlen.”

Auch bei der Diskussion jeder Form von Öffnungen müsse besonderes Augenmerk auf dem Schutz von vulnerablen Patientengruppen, also etwa Älteren, liegen.

Dabei erachtet die KBV ein Ende des Lockdowns bzw. entsprechende Lockerungen aus gesellschaftlicher Sicht als “alternativlos”, machten die Vorstände am Donnerstag deutlich. Jeder Tag länger im Lockdown bringe “existenzielle Folgen” etwa in Form wirtschaftlicher Ängste, Bildungslücken oder Sorgen von Alleinerziehenden mit sich, was nicht zuletzt psychische und Langzeitschäden mit sich bringe.

 

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