EditorialHöchste Zeit, Hausbesuche neu zu denken

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei geht hervor: Die Zahl der Hausbesuche ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen (S. 16, 26f). Das liegt im Wesentlichen daran, dass den Hausärztinnen und Hausärzten jahrelang in Sachen Hausbesuche Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. Die Zahlen müssen ein Weckruf für Politik, Krankenkassen und ärztliche Selbstverwaltung sein. Jetzt muss gehandelt werden!

Der Hausbesuch ist ein wesentlicher Teil der hausärztlichen Versorgung und muss es auch weiterhin bleiben. Er wird vielmehr immer wichtiger werden mit der steigenden Zahl älterer – und damit häufig immobiler – Patienten. Wer soll sich beispielsweise um die Bewohner in Pflegeheimen kümmern, wenn nicht wir? Wir brauchen hier massive Investitionen und Verbesserungen!

Es kann nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen, die besonders viele Hausbesuche fahren, Gefahr laufen, finan-ziell sanktioniert zu werden. Prüfregularien, bei denen allzu häufig regionale Besonderheiten komplett außer Acht gelassen werden, gehören dringend abgeschafft.

Auch bei der Vergütung brauchen wir eine 180-Grad-Wende. 22 Euro brutto entspricht in keiner Weise dem Aufwand, den ein Hausbesuch bedeutet. Da muss ich mich mit Blick auf unsere immobilen Patienten doch fragen: Was ist den Kassen deren Versorgung wert? Hier braucht es schnellstens eine Erhöhung, die der Leistung auch gerecht wird.

Ein weiterer Punkt ist die wachsende Arbeitsbelastung. Insbesondere der Bürokratiewahnsinn muss endlich angepackt werden! Auch praxisnahe Delegationsmodelle können Hausärztinnen und Hausärzte unterstützen. Bestes Beispiel für Letzteres ist unsere VERAH®-Qualifikation: Wenn die speziell weitergebildete MFA an sie delegierte Routine-Hausbesuche übernimmt, hat der Hausarzt deutlich mehr Zeit – in der Hausarztpraxis oder für nicht delegierbare Hausbesuche. Weit über 10.000 VERAH® gibt es mittlerweile. So sieht Entlastung im Praxisalltag aus! Dieses Modell muss weiter gefördert werden.

Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung geht immerhin aus der Antwort der Bundesregierung hervor. So sollen zukünftig die Hausbesuche zur Sprechstundenzeit zählen. Das war eine unserer Forderungen, mit der wir sehr deutlich an die Politik herangetreten waren. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Mindestsprechstundenzahl bekanntlich von 20 auf 25 Wochenstunden steigen soll, ist das umso wichtiger. Zwar ist das jetzt kein Grund, in Lobgesänge auszubrechen, denn die Erhöhung bleibt an sich vollkommen absurd. Aber es ist zumindest ein Signal, dass verstanden wurde, dass Hausbesuche kein privates Hobby der Hausärzte sind.

Jeder Patient hat Anspruch auf eine vernünftige Versorgung – auch und gerade, wenn er nur noch schwer in die Praxis kommen kann. Dieses Recht sollte nicht durch eine Diskreditierung der Hausbesuche gefährdet werden!

Mit kollegialen Grüßen

Ulrich Weigeldt

Bundesvorsitzender Deutscher Hausärzteverband e.V.

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