Bonn. Mit einem Blick auf die aktuelle gesundheitspolitische Gesetzgebung sieht Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt zwar ein wenig Licht, jedoch auch viel Schatten. Das machte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands am Samstag (22. September) in seinem Bericht zur Lage zum Auftakt der Delegiertenversammlung seines Verbands deutlich. „Unter Jens Spahn als Gesundheitsminister sehen wir aktuell, dass gesetzgeberischer Rückenwind kein Automatismus ist.“ Licht sieht Weigeldt hingegen vor allem in den eigenen Erfolgen: in Form der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), die im Frühjahr 2019 ihren 5.000.000sten Patienten begrüßen wird, wie Weigeldt in Bonn ankündigte.
Das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hingegen beinhalte Regelungen, die die Hausärzte besorgten und „die den Begriff Staatsmedizin fast wieder aktuell werden lassen“. In der sich an Weigeldts Bericht anschließenden Debatte kritisierte Vize-Vorsitzende Ingrid Dänschel das Gesetz als “Nachwuchs-Verhinderungsgesetz”. Die Vergabe von Terminen über Terminservicestellen konterkariere die Idee hausärztlicher Versorgung. “Hier sollten wir uns vehement dagegenstemmen”, plädierte sie.
Das Gesetz sieht unter anderem vor, die Mindestsprechstundenzahl von aktuell 20 auf 25 Stunden pro Woche auszuweiten und die Terminvergabe über Servicestellen zu stärken. Dabei erinnerte Weigeldt daran, dass die meisten Hausärzte ohnehin weit mehr als die vorgeschriebenen 25 Stunden pro Woche arbeiten. Das zeigte auch eine Umfrage von “Der Hausarzt”: Der überwiegende Teil (40 Prozent) der 118 Teilnehmer ist demnach mehr als 30 Stunden pro Woche für gesetzlich versicherte Patienten da.
Für seine teils deutliche Kritik am Gesetz erntete Weigeldt mehrfach Applaus der rund 120 Delegierten, die im Rahmen des 2. Internationalen Hausärztetags im alten Bundestag in Bonn tagen.
Staatssekretär: “Ich verstehe Ihre Kritik”
Dass das Gesetz die sprechende Medizin stärken will, reiche nicht, betonte Weigeldt. Er schärfte den Blick für den entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag: Hierin wird ausdrücklich eine Stärkung von sprechender und hausärztlicher Versorgung festgehalten. „Wir sind nicht nur Koordinatoren oder Lotsen“, erinnerte Weigeldt an die Bedeutung der Hausärzte im System. „Wir können – je nach Studie 80 bis, wie unser niederländischer Kollege gestern berichtete, sogar 94 Prozent der Fälle abschließend lösen.“
Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart hatte die Kritik der Hausärzte in seinem Grußwort am Freitag zumindest tangiert: Dass die vorgesehenen Regelungen als Eingriff in die freiberufliche Tätigkeit gesehen werden – hierfür erntete er Beifall im Saal – könne er aus freiberuflicher Sicht verstehen. „Uns geht es in keiner Weise darum, Sie zu bevormunden, auch wollen wir nicht, dass Sie mehr arbeiten“, betonte er. Lediglich solle mehr Arbeitszeit für gesetzlich Versicherte verwendet werden, neue Aufgaben, etwa die Vermittlung eines Facharzttermins durch einen Hausarzt oder die Behandlung neuer Patienten sowie Akut- und Notfälle während der Sprechstunden sollten extrabudgetär vergütet werden.
Dabei erinnerte Gebhart auch, dass der Gesetzestext noch nicht in Stein gemeißelt ist: Sobald das Gesetz im Kabinett war, gehen die parlamentarischen Beratungen los, erklärte er. Auch Anregungen der Ärzte würden dann noch einmal intensiv beraten. „Kein Gesetz geht so aus dem Parlament heraus wie es hineingegangen ist.“
Quereinstieg sorgt über NRW hinaus für Ärger
Ein weiteres Thema, das den Hausärzten aktuell Sorgen bereite, ist der Quereinstieg. In Nordrhein-Westfalen soll ein Programm verstärkt Fach- und Klinikärzte für den Hausarztberuf gewinnen. Ein „abenteuerliches Programm“, bei dem Klinikärzte im Schnellverfahren zu Fachärzten für Allgemeinmedizin werden sollen, kritisierte Weigeldt in Bonn. Der Hausärzteverband werde das Konzept von Landesgesundheitsministerium, KVen, Kammern und Kassen nicht mittragen. „Den Facharzt für Allgemeinmedizin gibt es mit uns nicht nach einem Jahr!“
Dass das Thema den Hausärzten aufstößt, zeigte auch eine sich an Weigeldts Bericht anschließende hitzige Diskussion zu dem Thema.
Um dem Nachwuchsmangel zu begegnen, müssten statt solcher Schnellschüsse vielmehr langfristig Hindernisse bei der Berufswahl abgebaut werden, betonte der Hausärzte-Chef. Dazu gehörten vernünftig ausgestattete Lehrstühle, aber auch ein Ende der Regressandrohungen. Viele dieser würden zwar nicht exekutiert, aber für die betroffenen Ärzte sei ein Vorgang jedes Mal mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. „Die Kassen entledigen sich damit der Pflicht, sich mit ihren Versicherten über ihr Leistungsverhalten auseinanderzusetzen“, monierte Weigeldt. Dass der „Schwarze Peter“ den Ärzten zugeschoben werde, müsse – auch für die Nachwuchsgewinnung – aufhören.
5.000.000ster Patient in der HZV erwartet
Auch, weil die Versorgung im Kollektivvertrag immer wieder so unter die Räder komme, habe sich die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) zu einer solchen Erfolgsgeschichte entwickelt, lobte Weigeldt hingegen. Hier sei man auf dem richtigen Weg. „Eine gute strukturelle Qualität und ein angemessenes Honorar haben wir nur durch unsere eigenen Verträge erreicht.“
Auch die Zahlen der HZV, die in diesem Jahr ihren zehnten Geburtstag in Baden-Württemberg feiert, belegen den Erfolg: Jeden Tag schreiben sich über 1000 Versicherte neu ein, im Frühjahr 2019 wird der 5.000.000ste Patient erwartet, kündigte Weigeldt in seiner Rede eine neue Rekordmarke an. Da nicht zuletzt die Evaluierung den Erfolg bestätige, sollten die Hausärzte ihre Forderung nach einem verpflichtenden Bonusprogramm der Kassen für Versicherte, die an der HZV teilnehmen, erneuern, plädierte der Hausärzte-Chef.
Angesichts der Erfolge sei es umso ärgerlicher, “wenn wir mit der HZV zum Spielball divergierender Kasseninteressen in Sachen Risikostrukturausgleich werden“. Der Deutsche Hausärzteverband verwahre sich entschieden gegen Angriffe auf die HZV und den jüngst laut gewordenen “impliziten Vorwurf”, Patienten kranker zu machen als sie sind. „Das Problem sind nicht die HZV-Verträge, sondern der Risikostrukturausgleich. Dieser muss wahrscheinlich korrigiert und neu ausgerichtet werden, nicht aber die Verträge zur HZV.“