Berlin. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hat am Mittwoch (26.9.) das Bundeskabinett passiert. Der Entwurf liegt der Redaktion von “Der Hausarzt” vor: Verglichen mit dem Referentenentwurf haben sich bereits einige für Vertragsärzte wichtige Passagen geändert, allerdings nicht überall zum Guten, wie der Deutsche Hausärzteverband in einer Pressemitteilung deutlich macht.
Er spricht von “mehr Schatten als Licht” und kritisiert nach wie vor die “massiven Eingriffe in den ärztlichen Alltag” als “Angriff auf den freien Beruf”. Das TSVG werde nicht dazu beitragen, die hausärztliche Versorgung zu stärken, was aber dringend nötig sei, schreibt der Verband. Ziel müsse es sein, dass die Patienten, die wirklich einen Termin beim Spezialisten brauchen, diesen zeitnah erhalten. Dies gelinge nur, wenn mit dem Chaos im Gesundheitswesen “endlich Schluss” sei und Hausärzte die Behandlungsprozesse strukturierten. So seien letztlich weniger Facharztbesuche nötig, wodurch die Fachärzte entlastet würden.
Kodierrichtlinien ab 2022
Kontraproduktiv sei auch die neu in den Gesetzentwurf aufgenommene Einführung von Kodierrichtlinien. Diese “bergen die Gefahr, den ohnehin extrem hohen bürokratischen Aufwand in den Praxen noch zu erhöhen”, kommentiert Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt. Der Gesetzgeber begründet dies mit mehr “Manipulationsresistenz”. “Einheitliche und verbindliche Regelungen zur Kodierung stellen hierbei ein wichtiges Instrument dar, um vergleichbare Fälle auch gleich zu kodieren”, heißt es in der Gesetzesbegründung.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung soll nun bis 30. Juni 2020 die entsprechenden Vorgaben entwickeln, kann dabei aber zum Beispiel auf den Kodierhilfen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) aufsetzen. Im Anschluss sollen Ärzte geschult werden. Ab 2022 soll dann die Praxis-Software angepasst werden, um die Bürokratie gering zu halten. Die Kodiervorgaben sollen auch für Selektivverträge gelten.
Fünf Euro für Terminvermittlung
Der Regierungsentwurf, dem nun das Bundeskabinett zugestimmt hat, weist zahlreiche Anpassungen gegenüber dem Referentenentwurf vom Juli auf. Neben den überwiegenden, üblichen redaktionellen Klarstellungen beinhalten diese aber auch inhaltlich neue oder deutlich geänderte Regelungen.
So sollen Kassen etwa mehr Geld als bisher vorgesehen dafür zahlen, wenn Hausärzte für Patienten einen dringend notwendigen Termin bei einem Facharzt organisieren. Der entsprechende Passus im Kabinettsentwurf spricht von einem Vergütungszuschlag von “mindestens fünf Euro”. Im Referentenentwurf waren dafür noch zwei Euro vorgesehen.
Entfallen ist in der Kabinettsfassung für Haus- und Kinderärzte die Pflicht, pro Woche fünf Stunden als offene Sprechstunde anzubieten. Für Fachärzte steht die Vorgabe weiter im Gesetz – insbesondere nennt der Entwurf hier Augen-, Frauen-, HNO-Ärzte und Orthopäden. Fachärzte sollen für diese Sprechstunden einen Zuschlag von “mindestens 15 Prozent” auf die Grundpauschalen erhalten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sollen online künftig die Sprechstundenzeiten der Vertragsärzte transparent machen.
Nach wie vor sieht das Gesetz aber vor, dass die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen künftig auch Termine bei Haus- und Kinderärzten vermitteln sowie bei der Suche nach einer langfristigen Betreuung beim Hausarzt unterstützen sollen. Der Ausbau der Servicestellen wird die KVen pro Jahr rund neun Millionen Euro kosten, schätzt das Bundesgesundheitsministerium.
Hausärzte kritisieren Eingriffe in Praxisalltag
Der Deutsche Hausärzteverband hatte sich immer wieder kritisch zu den im TSVG vorgesehenen Regelungen geäußert. Es beinhalte Regelungen, die die Hausärzte besorgten und “die den Begriff Staatsmedizin fast wieder aktuell werden lassen”, betonte Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt zuletzt auf dem Internationalen Hausärztetag in Bonn. Vize-Vorsitzende Ingrid Dänschel kritisierte das Gesetz als “Nachwuchs-Verhinderungsgesetz”.
Besonders kritisch sehen die Hausärzte die Eingriffe in ihren Praxisalltag, wie es etwa die Erhöhung der Sprechstundenzeit von 20 auf 25 Stunden pro Woche bedeutet. Künftig müssen die KVen prüfen, ob Vertragsärzte diese Vorgabe einhalten. Unterschreiten Ärzte die 25-Stunden-Regel in zwei aufeinander folgenden Quartalen, drohen Strafzahlungen sowie schlimmstenfalls der Entzug der Zulassung. Immerhin stellt der Gesetzentwurf aber auch klar, dass Zeiten für Hausbesuche zu den Sprechstundenzeiten gezählt werden. Dies war bislang nicht der Fall.
Darüber hinaus sollen Fachärzte einen Zuschlag von 25 Prozent auf die Versichertenpauschalen erhalten, wenn sie neue Patienten behandeln. Als “neu” gelten Patienten, die die Ärzte erstmalig betreuen oder die in den vorangegangen vier Jahren nicht mehr diese Praxis aufgesucht haben.
Gestufter Zugang zu Psychotherapeuten
Viele dieser Regelungen aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zielen darauf ab, die Wartezeiten auf Arzttermine zu verkürzen. Im Blick hat Spahn dabei besonders die psychotherapeutische Versorgung. Diese soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf neue Füße stellen: Er soll die Psychotherapie-Richtlinie so überarbeiten, dass Patienten künftig gesteuert und gestuft Zugang zu Psychotherapeuten erhalten. Der Gesetzgeber kann sich vorstellen, dass zunächst nur Patienten mit definierten F- und G-Diagnosen nach ICD-10 die gestufte Versorgung bekommen können. Auf eine psychotherapeutische Akutbehandlung sollen Patienten künftig nicht länger als zwei Wochen warten müssen.
Auch die Digitalisierung kommt im Terminservice-Gesetz nicht zu kurz: Bis Ende 2018 soll die gematik die Voraussetzungen für eine elektronische Patientenakte schaffen. Ziel ist es, dass die Kassen ab 2021 ihren Versicherten eine e-Akte zur Verfügung stellen. Jens Spahn bezeichnete dies als “ersten wichtigen, großen Schritt in der Digitalisierung des Gesundheitswesens”. Sobald es die elektronische Akte gebe, “werden auch Ärzte merken, dass Digitalisierung die Versorgung besser macht”, so der Minister. Nach der Verabschiedung im Kabinett beginnt die parlamentarische Beratung des TSVG. Erstmals debattiert werden soll der Entwurf Mitte Dezember, hieß es am Mittwoch in Berlin.
Wie der Deutsche Hausärzteverband warnte auch die KBV vor mehr Bürokratie in den Arztpraxen. Zudem werde die Koordinierungsleistung der Hausärzte nicht abgebildet, sondern die Arbeitslast nochmal gesteigert. Zu kurz komme darüber hinaus die aufwändige Versorgung chronisch kranker Patienten. Der AOK Bundesverband befürwortet insbesondere die Kodierrichtlinien, da diese den Morbi-RSA manipulationsresistenter mache. Ebenso sieht er die Änderungen in der Psychotherapie positiv: “Damit stärken wir die Akutversorgung und differenzieren genauer nach Schweregrad. Das macht die Behandlung für Patienten bedarfsgerechter und flexibler”, sagt Vorstandsvorsitzender Martin Litsch.