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Austausch in BonnAndere Länder, andere Probleme

Beim 2. Internationalen Hausärztetag in Bonn treffen rund 120 Delegierte auf internationale Kollegen. Der gemeinsame Blick in andere Länder zeigt: Viele Sorgen teilt man – doch über einige Unterschiede können hiesige Hausärzte nur staunen.

Redner beim Internationalen Hausärztetag: Andres Lasn, Vertreter der Estonian Society of Family Doctors.

NIEDERLANDE: Vorbild für ein Primärarztsystem

Das Gesundheitssystem der Niederlande gilt als eines der effizientesten und fortschrittlichsten der Welt. Dass Garmt Postma, Vorstandsmitglied der Landlijke Huisartsen Vereniging (LHV) als Gegenstück zum Deutschen Hausärzteverband, in Bonn einen Einblick in dieses gegeben hat, stieß angesichts des Schwerpunkts „Patientenkoordination“ auf besonderes Interesse: Denn gelebt wird bei den Nachbarn ein Primärarztsystem. GKV-Patienten lassen sich bei einem Hausarzt ihrer Wahl registrieren, dieser fungiert dann als Lotse.

Die von Postma vorgetragenen Zahlen belegen diese „Gatekeeper-Funktion“: Drei Viertel (75 Prozent) der Patienten sehen ihren Hausarzt einmal im Jahr, 90 Prozent der Versicherten sind mindestens alle drei Jahre einmal in der Praxis. 94 Prozent der Fälle können direkt dort behandelt und abgeschlossen werden, die übrigen sechs Prozent werden an die fachärztlichen Kollegen – zumeist in Kliniken – überwiesen.

„Bedeutend ist aufgrund dieser hohen Erfolgsrate in den Praxen die Kosteneffizienz des Systems“, betonte Postma. „Nur 4 Prozent des Gesamtbudgets für die Gesundheit fließen in die hausärztliche Versorgung.“ Gleichwohl sprach er auch Probleme an, die in ähnlicher Form auch in Deutschland zu beobachten sind: „Wir beobachten sich verändernde Patientenwünsche und -ansprüche“, erkärte er. „Das Primärarztsystem wird nicht von allen beachtet, sodass Patienten auch direkt in die Klinik oder zum Facharzt gehen.“ Dies sei jedoch nicht die Regel.

Einer vom Deutschen Hausärzteverband in Auftrag gegebenen, zum Start des Internationalen Hausärztetags veröffentlichten Forsa-Umfrage zufolge würde ein Primärarztsystem auch deutschen Patienten zusagen.

TSCHECHIEN: Hausärzte dürfen keine Antidiabetika verschreiben

Ein hohes Durchschnittsalter der Hausärzte (rund 55 Jahre), Nachwuchsmangel vor allem in ländlichen Regionen: Viele Probleme des tschechischen Gesundheitswesens ähneln hierzulande bekannten Sorgen. Und in vielerlei Hinsicht wurde – vergleichbar mit Deutschland – schon gegengesteuert, erklärte Dr. Pavel Vychytil, Vertreter der tschechischen Vereinigung der jungen Ärzte, vor seinen Kollegen in Bonn. „Bislang hat die Allgemeinmedizin in der Ausbildung eine untergeordnete Rolle gespielt, es wurde nur wenig Psychosomatik unterrichtet“, erklärte er. „Daher wurden die Lehrstühle erweitert und mit mehr Kräften und Geld ausgestattet.“

Dadurch, dass die Allgemeinmedizin im Studium gestärkt wurde – so wie es auch der Masterplan Medizinstudium 2020 vorsieht -, könne Interesse bei Studierenden geweckt werden, ist sich Vychytil sicher. Seit 2009 vergebe das Gesundheitsministerium zudem rund 150 Stipendien à 1600 Euro / Monat an Lehrärzte, die einen Arzt in Weiterbildung anstellen.

Allen ähnlichen Sorgen in Sachen Nachwuchsgewinnung zum Trotz: Ein großer Unterschied zwischen den Systemen sorgte in Bonn für erstauntes Raunen unter den rund 120 Delegierten. Denn die hausärztlichen Kompetenzen im Nachbarland sind deutlich geringer. „Hausärzte dürfen bei uns etwa keine Antidiabetika verordnen“, sagte Vychytil. Für ihn ist die Ausweitung dieser Kompetenzen essenzieller Baustein, wenn es darum geht, die Allgemeinmedizin für junge Ärzten attraktiver zu machen. „Hausärzte brauchen das Gefühl, Verantwortung zu tragen.“

ESTLAND: Geheimrezept E-Konsultation?

Die Fachärzte „isolieren“ sich aufgrund einer Terminknappheit zusehends, gleichzeitig haben die hausärztlichen Kollegen immer wieder akute Fälle in ihrer Praxis, die schnell einen Termin brauchen – und nicht erst in acht bis zwölf Monaten: Aufgrund dieser Problematik im tschechischen Gesundheitssystem beobachtet Andres Lasn, Vertreter der Estonian Society of Family Doctors, eine wachsende Unzufriedenheit der Patienten mit dem System.

Die Lösung sieht er in der sogenannten E-Konsultation, wie er vor den Delegierten in Deutschland betonte. Dabei sei die E-Konsultation nicht mit der hierzulande vorhandenen, aufgrund der hohen Bürokratie und geringen Vergütung jedoch kaum genutzten Video-Sprechstunde zu verwechseln. Vielmehr meine E-Konsultation eine Plattform zum digitalen Austausch zwischen Haus- und Facharzt, also etwa auch von Befunden, in einer sicheren Umgebung.  2013 ist die estnische E-Konsultation gestartet mit damals zwei Fachrichtungen (Urologie, Endokrinologie); heute sind es fast 20 Fachrichtungen.

Statt eine reguläre Überweisung zu schreiben und den Patienten damit in ein „schwarzes Loch“ mit drei bis sechs Monaten Wartezeit zu entlassen, erhält der Patient bei der E-Konsultation innerhalb von nur fünf Tagen eine erste Meinung, beton Lasn. Die Information wird durch das zentrale staatliche E-Health-System – Estlands gilt hier als Vorreiter – zum Kollegen in der Klinik gesendet, dieser kann schnell eine erste Einschätzung abgeben. Und wenn der Spezialist die Notwendigkeit einer Behandlung sieht, könne eine Terminvergabe durch die neu geordneten Ressourcen innerhalb von 7 bis 42 Tagen garantiert werden, so Lasn.

Seine deutschen Kollegen ermunterte er, sich aktiv in den Prozess einzubringen. „Man darf in Sachen Digitalisierung nicht nach einem Versuch aufgeben“, meint er. Was er aus den estnischen Erfahrungen als KO-Kriterium für Erfolg oder Scheitern einer solchen Plattform identifiziert? Die Nutzerfreundlichkeit.

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