Wiesbaden/Berlin. Die Gesundheitsuntersuchung (GU) – bisher Check-up 35 – sollte beibehalten werden. Darin sind sich die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) einig. „Das bisherige Konzept der GU entspricht nicht mehr dem aktuellen Wissens- und Forschungsstand”, sagte PD Dr. Guido Schmiemann für die DEGAM auf Anfrage von „Der Hausarzt”. So seien Nutzen und potentielle Schäden bisher nicht angemessen evaluiert worden, die Patientenperspektive sowie alters- und geschlechtsspezifische Bedürfnisse und Prävalenzen nicht ausreichend berücksichtigt. Derzeit nimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Check-up 35 unter die Lupe.
Bis 31. Juli 2018 muss er die Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinie aktualisieren, so schreibt es das Präventionsgesetz vor. Der Gesetzgeber wünscht sich, dass gesundheitliche Belastungen und Risikofaktoren wie Bewegungsmangel oder Übergewicht besser erfasst sowie der Impfstatus kontrolliert werden. Neu geregelt werden soll nicht nur, wie oft und ab welchem Alter gesetzlich Versicherte Anspruch auf die GU haben. Entfallen soll auch die „abschließende Aufzählung von Zielkrankheiten für die Früherkennung” – bislang fokussiert der Check-up 35 auf Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen.
HDL-Cholesterin sollte erfasst werden
Mit einem Diskussionspapier [1] bringt sich die DGIM jetzt in die G-BA-Beratungen ein (Übersicht in der Tabelle am Textende). Bislang gehört zum Check-up 35 die Untersuchung von Blut auf Gesamtcholesterin und Glukose sowie von Urin auf Eiweiß, Glukose, Erythrozyten, Leukozyten und Nitrit (Harnstreifentest). Die DGIM empfiehlt, künftig auch HDL- und LDL-Cholesterin zu bestimmen, um das kardiovaskuläre Risiko besser abzuschätzen und mittels LDL eine familiäre Hypercholesterinämie zu entdecken.
Die DEGAM rät, außer HDL-Cholesterin keine zusätzlichen Laboruntersuchungen in die GU aufzunehmen. Würden die Blutfette präziser bestimmt, vor allem HDL-Cholesterin, könne man etablierte Risikorechner wie ARRIBA, Framingham oder QRISK präziser anwenden, so Schmiemann. Weitere Laboruntersuchungen könnten im Einzelfall sinnvoll sein, etwa bei Multimorbidität oder Multimedikation, als „Screening-Instrument bei ansonsten Gesunden fehlt (aber) eine Evidenz”.
Dies gelte auch für die intensivere Suche nach Diabetes, zum Beispiel indem der HbA1c ermittelt wird. Ähnlich sieht es die DGIM: Der Nutzen eines Bevölkerungsscreenings auf Diabetes sei nicht belegt. Lediglich bei Patienten mit Risikofaktoren wie Übergewicht oder Hypertonie sollten Nüchternglukose und HbA1c bestimmt werden, fordert sie. „Dieses Anliegen berücksichtigt der Beschlussentwurf des G-BA bereits”, schreibt die DGIM in ihrer Pressemitteilung.
Kreatininbestimmung strittig
Auseinander gehen die Meinungen bei der Früherkennung von Nierenerkrankungen: „Für den Einsatz von Urin-Teststreifen fehlen hochgradige Studien”, sagt Schmiemann für die DEGAM, das gelte besonders für die Untersuchung auf Blut im Urin. Zur fehlenden Evidenz komme hinzu, dass es in der Praxis häufig falsch negative Befunde gebe. Dies kann „zu einem potentiellen Schaden durch weitere invasive Untersuchungen führen”, erklärt Schmiemann.
Hingegen empfehlen die Internisten zusätzlich zum Harnteststreifen auch das Serumkreatinin zu testen. Die DGIM befürworte ein Screening, auch wenn nicht belegt ist, dass so entdeckte asymptomatische Patienten von einer früheren Behandlung profitieren, schreibt sie. Die Parameter seien leicht zu erfassen und sie nehme an, dass man fortgeschrittenen Erkrankungen vorbeugen und somit die teuren Therapiekosten bei chronischen Nierenerkrankungen senken kann.
Zum Abwarten raten DEGAM und DGIM hingegen im Zusammenhang mit Hepatitis. Denn das IQWiG bewertet derzeit den Nutzen eines Screenings auf Hepatitis B und C. Die beiden Fachgesellschaften betonen daher den hohen Stellenwert der Anamnese, die auf Risikopatienten aufmerksam machen kann. Anders sieht es die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), sie forderte vergangenen November, die Bestimmung der Leberwerte und Tests auf Hepatitis B und C in den Check-up aufzunehmen [4]. Es sei erst sinnvoll die Leberwerte (ALT, y-GT) bei der GU zu bestimmten, wenn dazu gute prospektive systematische Analysen vorliegen, hält die DGIM entgegen.
GU: Ab wann und wie oft?
Bisher können Männer und Frauen ab dem 36. Lebensjahr alle zwei Jahre den Check-up 35 in Anspruch nehmen. Die DGIM schlägt vor, dies zunächst fortzuführen, obwohl es dafür keine Evidenz gebe. Die DEGAM hält eine Ausweitung auf 18- bis 35-Jährige für sinnvoll, vorausgesetzt altersspezifische Risiken stehen im Vordergrund. Ein gutes Beispiel, wie man Präventionsangebote altersspezifisch umsetzen könne, sei die Bremer Gesundheitsuntersuchung, so Schmiemann. Sie beinhalte etwa altersadjustierte Screeningfragen.
Bislang nutzen allerdings nur wenige gesetzlich Versicherte den Check-up 35 überhaupt, zeigen Daten der Kassenärztlichen Bundevereinigung (KBV). Seit 2012 nehmen knapp ein Viertel der Anspruchsberechtigten die GU wahr.
Um Hausärzte zeitlich zu entlasten, plädiert die DGIM dafür, die Anamnese durch einen strukturierten Fragebogen (Papier oder elektronisch) zu unterstützen, den die Versicherten im Vorfeld ausfüllen sollen. Dieser „standardisierte Katalog” solle das Muster 30 ersetzen, auf dem Ärzte bisher Anamnese und Untersuchung dokumentieren. Das persönliche Gespräch dürfe natürlich nicht ersetzt werden. Darüber hinaus fordern die Internisten Versorgungsforschung mehr zu fördern, um die GU und ihre Maßnahmen besser einschätzen zu können.
Evidenz versus „gefühlter Nutzen”
Der Check-up 35 steht schon länger in der Kritik. Denn internationale Studien können bisher nicht belegen, dass regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen gesunde Menschen vor Erkrankungen schützen oder die Lebenserwartung verlängern, zeigte ein Cochrane Review in 2012 [2, 3]. Allerdings wurden dafür nur ältere Studien ausgewertet, sodass neue Studien nötig sind, sagt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Der Nutzen bezogen auf kardiovaskuläre Endpunkte und Überleben sei bezogen auf die gesamte Gesellschaft gering, so die DGIM. Es zeige sich, dass eine einmalige GU eher einen ungünstigen Effekt hat, wo hingegen mehr als eine Untersuchung sich möglicherweise günstig auswirkt.
Wie die DEGAM sieht die DGIM jetzt die Chance, dass der G-BA die GU stärker evidenzbasiert ausrichten kann. Beide betonen aber, dass neben der Evidenz auch der „gefühlte Nutzen” wichtig ist. So könne die GU das Arzt-Patienten-Verhältnis stärken oder als offenes Gesprächsangebot dienen, sagt Schmiemann. Die DGIM meint zudem, dass man Patienten so leichter zur Teilnahme an anderen Screenings, etwa zur Krebsfrüherkennung, oder Disease-Management-Programmen motivieren könne.
Check-up wird extrabudgetär vergütet
Abrechnen können Hausärzte den Check-up 35 bisher mit der 01732 EBM (32,28 Euro). Die Leistung ist nicht begrenzt und wird extrabudgetär gezahlt. Anamnese wie Untersuchung für den Check-up 35 müssen Ärzte auf dem Muster 30 dokumentieren. Für die Laborleistungen gibt es zusätzlich die Pauschalen 32880 bis 32882 EBM. Ebenso ergänzend können Hausärzte Impfungen (gemäß STIKO-Empfehlung) und das Hautkrebsscreening abrechnen (01746 EBM). Auch dürfen Ärzte bei der GU zum Beispiel über das Screening auf Bauchaortenaneurysmen aufklären (01747 EBM), auf das Männer ab 65 Anspruch haben.
Tab.1: Änderungsvorschläge der DGIM
Erkrankungen | Einschätzung der DGIM |
Kardiovaskuläre Erkrankungen und pAVK |
Gesamtcholesterin, HDL- und LDL-Cholesterin sollen bestimmt werden, um kardiovaskuläres Risiko besser abzuschätzen.LDL erlaubt Screening auf familiäre Hypercholesterinämie.Mit Lipidwerten, Parametern der klinischen Untersuchung, Alter und Geschlecht soll das Zehn-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre bedingte Todesursache bestimmt werden, um präventive Interventionen vorzuschlagen.
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Infektionskrankheiten (HBV, HCV, HIV) |
Das IQWiG bewertet derzeit den Nutzen eines Screening auf HBV und HCV. Dies sollte abgewartet werden.Bei der Anamnese sollte stärker darauf geachtet werden, ob Patienten ein erhöhtes Risiko für HBV, HCV oder HIV haben. In der Beratung kann der Arzt sie dann auf einen Test ansprechen.
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Alkoholkrankheiten und Lebererkrankungen |
Bei der Anamnese sollte man mit einem standardisierten Fragebogen (z.B. AUDIT C) den Alkoholkonsum abfragen.Eine Bestimmung der Leberwerte (ALT, y-GT) bei der GU ist nicht sinnvoll, da noch keine guten prospektiven systematischen Analysen dazu vorliegen.
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Intestinale Erkrankungen |
Ein Screening auf Zöliakie ist derzeit nicht gerechtfertigt. Bei der Anamnese sollte auf Zeichen für ein Malabsorptionssyndrom geachtet werden.
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chronische Nierenerkrankungen |
DGIM empfiehlt, eine Kreatinin-Bestimmung im Serum und Urinuntersuchung mittels Harnteststreifen. Sie befürwortet ein Screening, auch wenn nicht belegt ist, dass so entdeckte asymptomatische Patienten von einer früheren Behandlung profitieren. Die Parameter seien leicht zu erfassen und es wird angenommen, dass man fortgeschrittenen Erkrankungen vorbeugen und somit Therapiekosten senken kann.
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Diabetes mellitus |
Der Nutzen eines Bevölkerungsscreenings ist für Deutschland nicht belegt. Es sollte bei der GU nach Risiken für eine diabetische Stoffwechsellage befragt und untersucht werden. Liegen Risikofaktoren vor, sollte der HbA1c und die Glukose aus venösem Plasma bestimmt werden.
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Angeborene Stoffwechselkrankheiten |
Vorteil eines Screenings ist nicht nachgewiesen.Eine familiäre Hypercholesterinämie würde durch die Bestimmung des LDL-Cholesterins entdeckt.Von einem Screening auf hereditäre Hämochromatose wird abgeraten. Die DGIM rät aber bei positiver Familienanamnese oder bei Zeichen einer Lebererkrankung unklarer Ursache, unklaren Gelenkschmerzen, Pigmentveränderungen der Haut (bei gleichzeitigem Diabetes) auf eine Eisenüberladung zu testen.
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Osteoporose |
Ärzte sollten bei der GU auf Risiken für pathologische Frakturen achten.
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Schilddrüsenerkrankung |
Der Check-up sollte die Abtastung der Schilddrüse einschließen. Nur bei positivem Tastbefund und entsprechenden Risikofaktoren sollte eine Sonographie erfolgen, um einen Knoten auszuschließen. TSH sollte nur bei Unter-/Überfunktion, bei Knoten größer 1cm und Frühschwangerschaft getestet werden.
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COPD/Asthma und Lungenkarzinom |
Abgefragt werden sollten Belastungsdyspnoe, Husten, Auswurf und Zigarettenkonsum, um eine COPD oder das Risiko für ein Bronchialkarzinom zu erfassen.Von einem Lungenkarzinom-Screening mit CT bei älteren Rauchern wird derzeit noch abgeraten, da noch einige Studienergebnisse ausstehen.
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Krebserkrankungen |
Bei der GU sollte auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen hingewiesen werden.
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Rheumatische Erkrankungen |
Diagnose vor Auftreten von Symptomen ist weder möglich noch sinnvoll.
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Demenz | Bisher sind für Deutschland der Nutzen und die Durchführbarkeit eines Screenings (verglichen mit der symptomorientierten Behandlung) unklar. Zudem muss bedacht werden, ob und wann eine GU in ein präventives geriatrisches Assessment übergehen sollte. |
Quelle: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Check-up 35 Untersuchung – eine Diskussion.
Literatur
- 1. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Check-up 35 Untersuchung – eine Diskussion. Veröffentlicht am 14.2.2018, online: www.dgim.de/check-up-35, zuletzt abgerufen am 16.2.2018
- 2. Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Grønhøj Larsen C, Gøtzsche PC. General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease: Cochrane systematic review and meta-analysis. BMJ 2012; 345: e7191. DOI: 10.1002/14651858.CD009009.pub2
- 3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Prävention: Lohnt sich ein regelmäßiger Gesundheits-Check-up? Aktualisiert am 23. August 2017, online: https://www.gesundheitsinformation.de/praevention-lohnt-sich-ein-regelmaessiger.2178.de.html?part=frueherkennung-ea-xhln-sv56, zuletzt abgerufen am 16.2.2018
- 4. Positionspapier der DGVS. Prävention beginnt in den Verdauungsorganen! Online: https://www.dgvs.de/wp-content/uploads/2017/11/DGVS_Positionspapier-Politik_E5_neu.pdf, zuletzt abgerufen am 16.2.2018