Berlin. Auf dem Weg zu einer Neuregelung für die Zustimmung zur Organspende haben Bundestagsabgeordnete parteiübergreifend Eckpunkte beim Gesundheitsministerium eingereicht. Sie schlagen vor, dass die Bereitschaft zur Organspende künftig abgefragt wird, wenn jemand einen Ausweis oder Reisepass abholt. Ausführliche Informationen und die Möglichkeit für ein Info-Gespräch bekommen die Bürger schon, wenn sie den Ausweis beantragen. Beim Abholen müssen sie dann entscheiden, ob sie zur Organspende bereit sind oder ob sie die Entscheidung verschieben.
Führende Mitglieder der Gruppe gehen davon aus, dass der Vorschlag im Bundestag eine Mehrheit finden wird. Vertreten sind demnach Politiker aller Bundestagsfraktionen außer der AfD. Für das Modell hatte unter anderem Grünen-Chefin Annalena Baerbock prominent geworben. Der Vorschlag sieht weiter vor, dass Bürger persönliche Zugangsdaten bekommen, über die sie ihre Entscheidung jederzeit ändern können.
Die Debatte hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angestoßen, indem er vorgeschlagen hatte, jeder solle als Spender gelten, der nicht aktiv widerspricht. Er warb für diese „doppelte Widerspruchslösung“ angesichts von rund 10.000 Menschen, die auf Organe warten. Auch die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbandes haben sich für eine solche Reform der Organspende ausgesprochen. Bisher ist es umgekehrt: Organentnahmen sind nur bei ausdrücklich erklärtem Ja erlaubt. Es gibt auch keine Pflicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine Reform ist für das kommende Jahr geplant.
Aller Aufklärung zum Trotz gehen die Organspende-Zahlen seit 2012 herunter und sanken 2017 auf einen Tiefpunkt von 797 Spendern. Für dieses Jahr zeichnet sich immerhin wieder ein Anstieg ab – bis Mitte November gab es schon 832 Spender.
Entscheidung nicht zwingend sofort
Dem Vorschlag der Abgeordneten zufolge, die nun auf einen Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsministerium warten, soll jeder beim Beantragen des Ausweises „ausführliche und unabhängige Informationen“ von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ausgehändigt bekommen. Wer will, kann sich persönlich oder telefonisch beraten lassen. Beim Abholen des Ausweises sollen die Bürger an einem Gerät vor Ort eintragen, ob sie alle oder bestimmte Organe spenden möchten oder ob sie jetzt nicht entscheiden wollen – oder wer im Falle eines Unglücks entscheiden soll.
Wenn die Person Organspender sein möchte oder Angehörige darüber entscheiden sollen, werden die Daten an das zentrale Organspenderegister übermittelt. Alle bekommen Zugangsdaten mit einer persönlichen Pin-Nummer, über die sie jederzeit die Entscheidung ändern oder nachholen können. Diese Zugangsdaten sind dann bis zur nächsten Ausweisbeantragung gültig, also zehn Jahre lang.
In Grundzügen entspricht das einem Vorschlag von Parlamentariern um Grünen-Chefin Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping, der bereits bei einer großen Bundestagsdebatte Ende November viele Unterstützer hatte. Da die Frage ethisch sensibel ist, sprechen und handeln die Politiker unabhängig von ihren Parteien und Fraktionen.
Gesetzentwurf angekündigt
Baerbock sagte der „Welt“ und der dpa, es sei nun gelungen, „einen mehrheitsfähigen Konsens über Fraktionsgrenzen hinweg zu formulieren“. Darauf aufbauend werde ein Gesetzentwurf folgen. „Jeder Erwachsene muss spätestens alle zehn Jahre seinen Personalausweis oder Reisepass erneuern. Spätestens hier wird jede Person über ihre grundsätzliche Organspendebereitschaft befragt.“ Neben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollten auch Hausärzte beraten und dies abrechnen können. In der ärztlichen Ausbildung solle das Thema gestärkt werden.
Die Grünen-Vorsitzende sagte, wenn eine Person verunglücke, ließe sich auf diese Weise „leicht, rechtssicher und schnell“ von einem durch das jeweilige Krankenhaus benannten Arzt im zentralen Organspenderegister erfragen, ob Organe entnommen werden dürfen oder ob Angehörige dies entscheiden sollen.
Lauterbach: Hürden sind zu hoch
Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach hat sich hingegen dagegen ausgesprochen, die Zustimmung zur Organspende mit der Vergabe eines Ausweises oder Reisepasses zu verknüpfen. Die Hürden seien in den vorgelegten Eckpunkten höher als etwa bei der von ihm und Gesundheitsminister Spahn favorisierten doppelten Widerspruchslösung, sagte Lauterbach. Er meint, der Vorstoß werde in der Praxis dazu führen, „dass viele, die eigentlich spenden wollen, es nicht tun“. Zum einen gebe es viele Menschen, die keine deutschen Pässe beantragen. Zudem sei man womöglich zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Pass erstmalig beantragt werde – vielleicht mit 18 Jahren – „noch nicht gewillt, sich mit der Frage intensiv auseinanderzusetzen“. Außerdem habe man eventuell unterschiedliche Dokumente, was Unklarheiten hervorrufen könne. „Es kann dazu führen, dass auf dem einen Dokument noch dokumentiert ist, dass man Spender ist, auf dem anderen nicht.“
Die Stiftung Patientenschutz warnte davor, mit einer Neuregelung bestehende Patientenverfügungen indirekt einzuschränken. „Heute werden viele mögliche Organspender nicht gemeldet, weil sie früher festgelegt haben, bei möglicher Hirnschädigung keine künstliche Ernährung oder Beatmung zu wollen“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Ärzte hätten sich daran zu halten. „Das Patientenverfügungsgesetz stärkt das Recht auf Sterben. Ein neues Organspendegesetz darf solche verbindlichen Willenserklärungen nicht aushebeln“, mahnte Brysch.
Quelle: dpa