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Organspende“Hausärzte sind Berater, nicht Überreder”

Der Deutsche Hausärzteverband und die BZgA stellen ab sofort Praxismaterial zur Organspende zur Verfügung. Denn: Die Spenderzahlen sind erschreckend gering, bei vielen Patienten herrscht Unsicherheit. Ein Gespräch über die Ursachen – und wie das Thema im Arzt-Patienten-Kontakt platziert werden kann.

Vom Doktor überreicht: Organspendeausweis

Das Thema Organspende ist in diesen Tagen aktueller denn je. Wann haben Sie sich das erste Mal damit auseinander gesetzt?

Dr. Heidrun Thaiss: Für mich ist das Thema schon viele Jahre präsent, weil ich noch vor meiner Zeit in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) als Kinder- und Jugendärztin im Klinikalltag tätig war. Gerade Jugendliche, die das Thema in der Schule behandeln, haben da durchaus Fragen gestellt.

Aber auch familiär ist mir das Thema nicht fremd: Mein Mann ist Nephrologe und als Professor am Universitätsklinikum Hamburg jeden Tag mit dem Thema betraut – sowohl aus Sicht der Kollegen als auch der Patienten. Somit ist die Organspende eine Art roter Faden, der sich durch mein berufliches, teils aber auch privates Leben zieht.

Ulrich Weigeldt: Das ist bei mir ähnlich. Mich beschäftigt das Thema seit 1971 – seit ich in der Medizin bin. Die Organspende ist ein Teilaspekt, der anfangs, etwa im Studium, noch nicht so im Vordergrund steht, mit dem ärztlichen Handeln aber schnell an Gewicht gewinnt. 1983 habe ich mich in eigener Praxis niedergelassen; spätestens seitdem werde ich regelmäßig mit dem Thema konfrontiert, wenn Patienten Fragen dazu stellen.

Dr. Ralf Brauksiepe: Ich begleite das Thema natürlich eher aus politischer Sicht. Ich sitze seit 20 Jahren im Deutschen Bundestag, und das Thema wurde in dieser Zeit immer wieder diskutiert – so wie auch jüngst.

Nun ist die Spenderbereitschaft in Deutschland prinzipiell ausgeprägt, dennoch sind die Zahlen der Transplantationen gering. Wie lässt sich das erklären?

Thaiss: Das lässt sich aus meiner Sicht nicht auf einen einzelnen Grund zurückführen. Unsere Umfragen zeigen eine prinzipiell positive Einstellung der Bevölkerung: Mehr als 80 Prozent stehen der Organspende aufgeschlossen gegenüber.

Aber: Nur 36 Prozent – wenn auch mit steigender Tendenz – tragen einen Organspendeausweis mit sich. Unser Ziel ist es, diese Diskrepanz zu verringern. Dazu müssen wir einerseits positive Aufmerksamkeit schaffen und andererseits die Menschen ermutigen, über das Thema zu sprechen.

Welche Rolle können dabei Hausärzte übernehmen?

Weigeldt: Wichtig ist zunächst, dass nicht jeder Arzt-Patienten-Kontakt dafür genutzt werden kann, das Thema Organspende anzusprechen. Wir dürfen nicht darauf drängen, den Ausweis auszufüllen. Wir müssen vielmehr akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen wollen.

Aber: Für alle anderen kann der Hausarzt eine wichtige aufklärende Rolle spielen und ergebnisoffen beraten. Dazu gehört auch, dass wir Materialien zur Verfügung stellen, die wiederum neue Gespräche anregen können. Wir sind Berater, nicht Überreder.

… das klingt nach einer Gratwanderung im Praxisalltag?

Weigeldt: Durchaus. Im Patientengespräch sollte deswegen klar kommuniziert werden, warum es wichtig ist, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen. Mit der Beratung hilft der Hausarzt seinem Patienten, die eigene Entscheidung zu treffen. Da steckt natürlich auch eine eigene Überzeugung dahinter. Doch Überzeugung darf nicht Überredung bedeuten.

Brauksiepe: Das ist ganz wichtig. Aufklärung und Transparenz sind die Schlüssel, um die Spenderzahlen zu erhöhen – aber eben kein Druck. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende hat auch mit Gefühlen zu tun. Das ist oft eine hochemotionale und keine reine Kopfentscheidung.

Vor diesem Hintergrund: Wie und wann kann die Organspende konkret im Arzt-Patienten-Gespräch platziert werden? Im akuten Fall fühlen sich Angehörige schließlich nicht selten unter Druck gesetzt…

Weigeldt: Dafür gibt es kein Patentrezept. Die Anlässe, die das Thema im Arzt-Patienten-Kontakt passend werden lassen, können ganz unterschiedlich sein: Das können gezielt gestellte Fragen nach Medienberichten sein, aber auch Anlässe in der Familie oder Informationen, die im Wartezimmer bereitgestellt werden. Das zu erkennen, dafür braucht es das ärztliche Fingerspitzengefühl im persönlichen Kontakt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat eine Debatte zur Neuregelung der Organspende hin zu einer Widerspruchslösung angeregt. Auch der Deutsche Ärztetag und die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbands haben sich in den vergangenen Monaten entsprechend positioniert. Wie stehen Sie zu der Idee, dass künftig jeder automatisch Organspender ist – sofern er nicht widerspricht?

Brauksiepe: Ich halte das für richtig. Es wird faktisch im ersten Schritt zu einer Vervielfachung der Organspender kommen, was aus Patientensicht bedeutet, dass die Zahl der potenziell zur Verfügung stehenden Organe drastisch steigt. Das ist positiv.

Als Politiker muss ich aber auch die Gegenseite sehen, und diese bedeutet einen deutlichen Eingriff des Staats in die persönliche Freiheit. Letztlich ist das eine klassische Rechtsgüterabwägung und eine Gewissensentscheidung. Für mich persönlich ist der Eingriff in die persönliche Freiheit dabei zumutbar angesichts der Rettung tausender Menschen, die aktuell sterben, weil Spenderorgane fehlen.

Weigeldt: Die prinzipiell positive Einstellung zur Organspende der Bevölkerung stützt das aus meiner Sicht. Betrachtet man die heutigen Verhältnisse, käme es wahrscheinlich zu folgender Teilung: Ein Drittel der Patienten hätte seine Entscheidung wie schon heute aktiv dokumentiert, ein weiteres Drittel wäre indifferent und würde durch die Widerspruchslösung zum Spender, und ein Drittel, vielleicht auch weniger, würde widersprechen.

Viele würden sich selbst vielleicht auch die Frage stellen: “Was erhoffe ich mir, wenn ich in die Situation komme?” Die Erfahrung in anderen europäischen Ländern zeigt, dass der Beratungsbedarf nicht endet, sobald einmal die Widerspruchslösung eingeführt wurde – im Gegenteil.

Wie würde sich der Schritt zu einer Widerspruchslösung auf die Beratung in der Hausarztpraxis auswirken?

Thaiss: Der Hausarzt wird der Arzt des Vertrauens bleiben. Das belegen unsere Umfragen, ganz gleich ob beim Thema Impfen oder Organspende: Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner, und er ist der Arzt, dem man glaubt und Vertrauen schenkt. So gibt etwa jeder Vierte in unserer Repräsentativbefragung an, mit seinen Ärzten über das Thema Organspende sprechen zu wollen.

Weigeldt: Ich kann mir schon vorstellen, dass mit dem medialen Echo der Beratungsbedarf erst einmal steigt – unabhängig davon, wie die politische Entscheidung letztlich ausfällt. In jedem Fall werden Fragen auftreten. Geht mich das etwas an? Das ist dann wieder eine Möglichkeit, das Thema in der Praxis anzusprechen.

Thaiss: Umso wichtiger sind dann wieder seriöse Informationen. Etwa, dass Widerspruchslösung nicht heißt, dass meine Entscheidung für immer steht. Ich kann diese zu jedem späteren Zeitpunkt ändern. Dass der Hausarzt mir zu solchen Fragen gesicherte Auskünfte an die Hand geben kann, ist gerade in Zeiten des Internets wichtig.

A propos seriöse Informationen: In den vergangenen Jahren hat eine Reihe von Manipulationen das Vertrauen in das Organspendesystem geschwächt. Reichen bei einem abschließenden Blick in die Zukunft die bisher getroffenen gesetzlichen Vorgaben aus, um Missbrauch zu verhindern und das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu stärken?

Brauksiepe: Gesetzgeberisch werden wir Missbrauch nie ausschließen können. Vertrauen wiederum entsteht durch umfassende Aufklärung, durch Reden und dadurch, dass Menschen sich ernstgenommen fühlen – auch in ihren Ängsten und Nöten. Vor diesem Hintergrund glaube ich schon, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Weigeldt: Es hat geholfen, dass die Fälle, die glücklicherweise nur Einzelfälle waren, aufgeklärt und rechtsstaatlich verfolgt wurden. Die Wahrscheinlichkeit für Missbrauch könnte darüber hinaus kleiner werden, wenn die Zahl der Spenderorgane steigt.

Brauksiepe: Das ist eine große Hoffnung!

Thaiss: Jeder Fall von Missbrauch ist einer zu viel. Aber man muss auch immer die Relationen im Blick behalten: Die Berichterstattung über das, was gut läuft, ist viel zu gering. Auch auf diesem Weg könnte man das Vertrauen in unser wirklich gut funktionierendes Gesundheitssystem wieder stärken.

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