Hausarzt MedizinCannabis-Gesetz: Hoffnung auf Rechtssicherheit verraucht

Mit dem Cannabis-Gesetz wollte der Gesetzgeber die Versorgung schwer Kranker und vor allem von Palliativpatienten verbessern und erleichtern. Ein Jahr danach zeigt sich: Für Ärzte ist die Umsetzung sehr aufwändig. Es dominiert immer noch Unsicherheit.

Cannabis-Rezept

„Wir Ärzte werden ziemlich allein gelassen“, bringt es Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Ritter auf den Punkt. Er hat bislang vier Patienten Cannabis verordnet, die Hausarztpraxis suchen aber weit mehr mit diesem Wunsch auf. „Es kommen nur sehr wenige infrage“, sagt er. Die meisten litten an chro­nischen Schmerzen aufgrund einer ortho­pädischen Grunderkrankung. „Dafür gibt es keine Studien, dass diesen Patienten Cannabis hilft“, schildert er das Dilemma.

Zwar dürfen Ärzte seit einem Jahr Cannabis in Einzelfällen auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung verschreiben (S. 37). In der Praxis überwiegen aber therapeutische und rechtliche Unsicherheit bei Ärzten wie Kassen. Das spiegelt sich etwa in der Zahl der Ablehnungen: Bis Herbst 2017 haben Pati­enten 12.000 Anträge gestellt, aber nur jeder Zweite (57 Prozent) wurde bewilligt [1]. Oft scheitert es an formalen Gründen, da den Kassen Informationen im Antrag fehlen [2].

Wirkerwartung begründen

Bisher gibt es keine Vorgaben der GKV dazu. Patienten können den Antrag formlos stel­len. PD Dr. med. Michael Überall, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), rät, ein Formblatt bei der Kasse anzufordern [3]. Aus Ritters Erfahrung schickt diese eine zweiseitige gutachterliche Stellungnahme, wofür der Arzt Indikation, bisherige Therapie, Evidenz und Prognose begründen muss. Das Gesetz lässt bewusst die Indikation für Cannabis offen. Der Arzt muss aber belegen, warum für den Patienten leitliniengerechte Therapien nicht infrage kommen und er erwartet, dass Cannabis wirkt (Kasten S. 38) [3-5].

Die Bewilligung kann bis zu fünf Wochen dauern, bei SAPV-Patienten nur drei Tage, wenn dies im Antrag notiert wurde. Anschließend stellt der Arzt ein Betäubungsmittelrezept aus (s. KBV-Ausfüllhilfe im Link-Tipp). Bei Ablehnung kann sich der Dialog mit der Kasse hinziehen [2].

Trotz Genehmigung der Kasse muss die Verordnung wirtschaftlich sein [3, 6]: Ärzte sehen sich dabei einer großen Preisspanne je nach Darreichungsform gegenüber (Tab. 1). Überall rechnet daher mit Prüfungen, auch weil der Gesetzgeber von 540 Euro pro Monat im Durchschnitt ausgegangen sei. Eine Ablehnung aus Kostengründen allein mit Verweis auf die „unzureichende Daten-lage“, ist laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) aber nicht gerechtfertigt, wenn ein „individueller Heilversuch für den Patienten“ bestätige, dass Cannabis wirke und verträglich sei [7]. Hinzu kommt, dass Vaporisatoren und Dosierungslöffel bisher nicht im Hilfsmittelverzeichnis stehen, eine Erstattung sollte man also zuerst bei der Kasse anfragen.

„Start low, go slow“

Die meist nur kleinen Studien und die feh­lende Einschränkung, erschweren Ärzten und Kassen die Umsetzung in der Praxis. Die Kassen würden die Notwendigkeit der Verordnung gern regelmäßig prüfen und Genehmigungen befristen [2]. Ärzte treibt die mangelhafte Evidenz und fehlende Empfehlungen zu Dosierung und Häufigkeit um [3, 5, 6, 7]. Überall zufolge ist die Dosisfindung sehr individuell, Tagesdosen von 20 bis 30 mg der Rezeptur- oder Extrakt-basierten Fertigarzneimittel reichten oft aus, um die Beschwerden messbar zu lindern.

Es gelte die Regel „start low and go slow“ (Tab. 2), bis die schrittweise Steigerung ausreichend wirke oder nicht mehr gut vertragen werde [3, 5-9]. Die kanadische Regierung stellt Übersichten zur Dosie­rung oraler und inhalativer Anwendung zur Verfügung (s. Link) [10]. Auf Alkohol und Sedativa solle man während der Therapie verzichten, so Überall.

Auf dem Rezept müssen Ärzte die Cannabissorte angeben, einen Überblick dazu gibt die KBV (s. Link). Die verordnungsfähige Höchstmenge für 30 Tage variiert: Cannabisblüten (100g), THC/Dronabinol (500 mg) und Cannabisextrakte (1.000 mg). Die Effekte einzelner Cannabinoide, darunter die bekanntesten THC und CBD, hat Überall zusammengefasst [3: Tab. 1]. Die Wirkdauer unterscheidet sich deutlich [9]:

  • Inhalation: Wirkeintritt innerhalb weniger Minuten, maximale Wirkung nach 20 Minuten, Dauer 2-3 Stunden
  • orale Einnahme: Wirkeintritt nach 30-90 Minuten, maximale Wirkung nach 2-4 Stunden, Dauer 4-8 Stunden

Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Die meisten Experten raten zur Inha­lation oder oralen Gabe (z.B. Kapsel, Spray), Teetrinken gilt als wenig effizient. Nicht empfohlen werden Verbacken und Rauchen als Joint [3, 5-7, 9]. Derzeit zeigten Studien keinen Vorteil von Hanfcannabinoiden oder anderen aus Cannabis gewonnen Substanzen gegenüber THC als Rezepturarzneimittel oder der Kombination von THC und CBD als Fertigarzneimittel, so die AkdÄ [7].

Cannabis sei allgemein gut verträglich, unerwünschte Wirkungen treten besonders anfangs auf, so Überall [3, 8]. Die AkdÄ betont, viele Patienten brechen vor allem längere Therapien wegen der Nebenwirkungen ab [7]. Häufig sind Auswirkungen auf die Psyche (u.a. Psychosen, Orientierungsstörungen) und das Herz-Kreislauf-System (wie Tachykardie, Blutdruckabfall, Schwindel, Synkope) [3, 7, 8]. Kontrain­dikationen sind Psychosen, schwere Persönlichkeitsstörungen, Depression, schwere Herzerkrankungen sowie Schwangerschaft und Stillzeit. Für wen kommt Cannabis überhaupt infrage?

Für einzelne Patienten sinnvoll

Ärzte können die Gabe bei Patienten erwägen, „die unter Therapie mit zugelassenen Arzneimitteln keine ausreichende Linderung von Symptomen wie Spastik, Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen haben (…) insbesondere in der Palliativmedizin“, rät die AkdÄ. „Akzeptable wissenschaftliche Erkenntnisse“ lägen bisher für die begleitende Behandlung von Spastiken (besonders bei Multipler Sklerose), Übelkeit/Erbrechen durch Chemotherapie sowie Appetitlosigkeit/Gewichtsverlust bei HIV/AIDS vor [3, 5-7, 9].

Eine mögliche Wirksamkeit (geringe Evidenz) wird berichtet bei chronischen Schmerzen (vor allem neuropathisch), Schlafstörungen sowie Symptomen des Tourette-Syndroms. Das BfArM genehmigte bis März 2017 Ausnahmen vor allem bei Schmerz (57 Prozent), ADHS (14 Prozent), Spastik (10 Prozent) und Depression (7 Prozent). „Das sind sehr enge Indikationen und es ist für uns nicht einfach, Studienbelege zu finden“, berichtet Allgemeinmediziner Ritter. Eine Übersicht einzelner Studien listet etwa die kanadische Regierung (s. Link) unter Punkt 4 auf [10].

„Insgesamt ist die Cannabisverordnung für Ärzte ein hoher bürokratischer Aufwand“, fasst Ritter zusammen – auch weil Ärzte bei Abbruch oder nach einem Jahr Therapie an der BfArM-Evaluation teilnehmen müssen (www.begleiterhebung.de). Auf dieser Basis soll der Gemeinsame Bundesausschuss nach fünf Jahren die Leistungsgewährung genauer regeln. Mehr Rechtssicherheit ist für Ärzte also erst ab 2022 in Sicht.

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Interessenkonflikte: Die Autorin gibt an, dass keine bestehen.

Literatur

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