Für rund 3.000 Euro lässt sich ein Patient in einer Privatklinik einen Stent setzen, der Kardiologe verordnet die Arzneien – doch weil diese in der Apotheke nicht vorrätig sind, bleibt das Rezept uneingelöst. Für den betreuenden Hausarzt sind die Hintergründe zu Operationsverlauf, Therapie und Medikation unersichtlich – denn einen Arztbrief gibt es nicht. “Im schlimmsten Fall ist der Stent in einem halben Jahr zu”, berichtet Dr. Winfried Dresel von seinem jüngsten Fall in Kabul. Er weiß: “Für eine lückenlose Dokumentation gibt es hier kaum Verständnis.”
Bei einem Blick auf das afghanische Gesundheitssystem ist das durchaus nachvollziehbar: Das Land ist seit rund 40 Jahren Kriegsgebiet, die medizinische Versorgung in weiten Teilen des Landes desolat. Es existiert weder ein flächendeckendes noch qualitativ befriedigendes Gesundheitssystem.
Umso wichtiger ist es, langfristig gedachte Strukturen zu schaffen, weiß Dr. Yahya Wardak, Vorsitzender des Vereins “Afghanic e.V.”. Der aus Afghanistan stammende Allgemeinmediziner mit einem Abschluss in Health Management hat in Deutschland studiert und spricht beide Sprachen fließend. “Unser Ziel ist es nicht, selbst afghanische Patienten zu behandeln, sondern Kliniken und Praxen vor Ort in die Lage zu versetzen, das zu tun.” Statt kurzfristigen Engagements will Wardak Bleibendes schaffen – in Form von hausärztlichem Wissen für das krisengebeutelte Land. Bereits seit 2011 unterstützt der Deutsche Hausärzteverband das Projekt.
Austausch auf Augenhöhe
Zuletzt war Wardak zehn Tage vor Ort – gemeinsam mit dem hausärztlich tätigen Internisten Dresel und einem Apotheker. In einer kleinen Poliklinik, dem von Afghanic geschaffenen “Medical Aid Point” in einem Kabuler Vorort, haben sie bestehende Prozesse analysiert, die Kollegen in Sachen Patientenakte geschult, aber auch fachliche Fragen etwa zum Sonografieren geklärt. “Wir begleiten die Kollegen in ihrem Arbeitsalltag”, erklärt Dresel. “Darüber hinaus geben wir gezielt Trainings und Seminare. Der Austausch läuft dabei sehr kollegial ab.”
Dresels Praxis im oberbayrischen Warngau blieb während des Aufenthalts geschlossen. “Das ehrenamtliche Engagement ist quasi mein Freizeitvergnügen”, sagt der Internist. Kosten entstehen für die ehrenamtlich tätigen Mediziner nicht: Die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung und das Bundesentwicklungsministerium fördern das Programm mit der Initiative “Klinikpartnerschaften – Partner stärken Gesundheit”.
Kooperation statt Katastrophenhilfe
Für Dresel ist es nicht das erste Mal, dass er sich als Hausarzt humanitär engagiert. Bereits 2010 hat er nach dem Erdbeben in Haiti in Zelten geholfen, die hausärztliche Versorgung zu sichern. Aber: “Ich habe dabei auch gemerkt, dass diese kurzfristige Hilfe – teils mit gigantischem finanziellen Aufwand für die internationale Gemeinschaft – nicht das ist, wofür ich mich einbringen möchte. Ich möchte lieber helfen, langfristige Strukturen zu schaffen.”
Auch sein eigenes Selbstverständnis der Hausarztmedizin ist dabei entscheidend: “Mein wichtigstes Diagnostikum ist die Sprache”, betont er. “Weil mein Englisch für eine wirklich gute Arzt-Patientenkommunikation aber nicht reicht, fehlt mir ein notwendiges Instrument. ” Über einen Beitrag in “Der Hausarzt” ist er schließlich auf Wardaks Verein aufmerksam geworden und hat die Klinik erstmals vor fünf Jahren – damals noch im Rohbau – besucht. “Hier geht es nicht um Patientenbetreuung, sondern um Supervision, die mit Hilfe von Dolmetschern gut erfolgen kann.”
Vor Ort arbeiten die Kollegen im internationalen Team: So sind unter anderem zwei Impfassistentinnen vor Ort. Doch auch hier beobachtet Dresel das Problem der mangelnden Dokumentation: “Die erfolgten Impfungen tauchen in den Karteien der Kinder oft nicht auf”, weiß er. Dringend notwendige Folgeimpfungen blieben damit aus. Gemeinsam werden Lösungen gefunden: Impfnachweise etwa oder für Diabetiker und Bluthochdruckpatienten entwickelte Pässe, die den Krankheitsverlauf dokumentieren und mittlerweile im Einsatz sind.
Am Ziel sind Dresel und Wardak aber noch nicht. Ein Datum für den nächsten Besuch steht zwar noch aus, über die sozialen Medien bleibe man aber in Kontakt. So können sich die afghanischen Ärzte in Videokonferenzen Rat holen, erklärt Dresel. “Immerhin ist neues Wissen nicht damit verinnerlicht, dass man einmal darüber spricht.”