Erfurt. Der Deutsche Ärztetag hat sich gegen eine Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219a ausgesprochen. Anstatt das darin festgehaltene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche abzuschaffen, sollen neutrale Information, individuelle Beratung und Hilfeleistung für Frauen in Konfliktsituationen gestärkt werden. „Ärzte in Praxen und Kliniken benötigen Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, sich Zeit für die individuelle Beratung ratsuchender Frauen zu nehmen”, heißt es in einem entsprechend verabschiedeten Antrag.
Insgesamt fünf Anträge wurden am Donnerstagabend (10. Mai) zum umstrittenen Werbeverbot abgestimmt. Zwei, die auf eine Abschaffung plädierten, wurden mehrheitlich abgelehnt; drei, die auf Rechtssicherheit für Ärzte und eine gestärkte Beratung für betroffene Frauen abzielen, angenommen. Die vorausgehende Debatte lobten zahlreiche Delegierte für ihre Sachlichkeit und Emotionalität bei einem „hochkomplexen” Thema.
“Eine beeindruckende Diskussion”, sagte Michael Lachmund (Nordrhein), letzter Redner des Abends. Versuche, in die Polemik zu gehen, seien immer wieder gut eingefangen worden. Auch Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), dankte den Delegierten für eine ruhige Behandlung dieses „hochsensiblen” Themas.
Politik zankt – Position der Ärzte umso wichtiger
Hintergrund für die Debatte ist die geltende Gesetzgebung: Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet es, für Abtreibungen zu werben. Gegner der Regelung argumentieren, dass auch sachliche Informationen verhindert würden. Auch in der Politik – und gar zwischen den Koalitionären CDU, CSU und SPD – sorgt der Paragraf aktuell für hitzige Debatten. Umso wichtiger, hieß es am Donnerstag, sei die Positionierung der Ärzte, weshalb sich die Delegierten gegen eine Überweisung an den Vorstand aussprachen.
In der Beratung haben die Delegierten zu dem sensiblen Thema offene Worte gefunden. Nicht zuletzt Allgemeinmediziner Erik Bodendieck (Sachsen) bewegte mit seinem emotionalen Redebeitrag. Er sei als Vater selbst betroffen gewesen, und die Entscheidung – im Fall seiner Familie für die Abtreibung – wirke bis heute nach. „Ich habe drei wundervolle Töchter. Manchmal frage ich mich aber, ob das der eine Sohn gewesen wäre.” Aus seiner eigenen Erfahrung plädierte Bodendieck dafür, die Beratung zu stärken, Werbung jedoch auch in Zukunft zu verbieten. So sei durchaus denkbar, dass gerade Kliniken mit Attributen wie „schonend” für eine Abtreibung werben könnten.
Wie Bodendieck plädierten viele Delegierte für das Zusammenspiel von Paragraf 218, 219 und 219a. Der darin geregelte Schutz des ungeborenen Lebens bestehe aus allen Gesetzen gleichermaßen – und damit auch aus dem vorherrschenden Werbeverbot.
“Ärzte in der Schmuddelecke”
Zentrales Thema dabei war die Rechtssicherheit für Ärzte. Detlef Merchel (Westfalen-Lippe), niedergelassener Gynäkologe, sagte dazu: „Wenn sich Ärzte nicht mehr trauen in dieser gefühlten Schmuddelecke zu stehen, dann haben wir ein Problem.” Er selbst, der in seiner Praxis auch Abbrüche vornehme, weise seit 15 Jahren auf seiner Praxiswebseite zu Informationen zum Ablauf hin – nicht jedoch auf die Tatsache, dass er Schwangerschaftsabbrüche anbiete.
„Die Politik muss so gestalten, dass Ärzte für solch sachliche Informationen nicht bestraft werden”, plädierte er. Betroffene Frauen wollten Informationen, wenn sie den Schwangerschaftstest in der Drogerie gekauft haben – und das könne auch am Freitagabend sein. Dann müssten im Internet entsprechende Informationen aufzufinden sein.
Kollektive vs. individuelle Information
Genau hier knüpften jene Delegierte an, die sich deutlich für eine Abschaffung des Werbeverbots aussprachen. Katharina Thiede (Berlin) etwa betonte, dass die Entscheidung für einen Abbruch umso belastender sei, umso später sie getroffen werde. „Informationen müssen daher leichter zugänglich gemacht werden – nicht, um die Entscheidung als solche leichter zu machen, sondern um sie früher zu ermöglichen.” Für sein Plädoyer, das Gesetz „der Zeit anzupassen”, erhielt Dr. Wolfgang Schaaf (Bayern) von den Gegnern des geltenden Werbeverbots Applaus. „Entlassen wir den Bundestag nicht aus seiner Pflicht, dieses Gesetz zu reformieren”, plädierte er.
Rudolf Henke, Chef des Marburger Bundes (MB), wies in der Debatte auf die Unterscheidung zwischen kollektiver, öffentlicher Information, also Werbung, und individueller Information einer einzelnen Schwangeren hin.