Berlin. Rund um die Corona-Impfung haben das Bundesgesundheitsministerium (BMG) rund 2.000 Fragen erreicht, darunter auch viele von Hausärztinnen und Hausärzten. Anlass dazu gab ein vom BMG initiierter Livestream mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, sowie Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, am Samstag (5.12.).
Die Antworten auf zentrale Fragen fasst „Der Hausarzt“ im Folgenden zusammen.
Wovor schützt die Corona-Impfung?
An den Phase 3 Studien der mRNA-Impfstoffe haben zwischen 30.000 und 40.000 Menschen teilgenommen. Von ihnen erhielten etwa die Hälfte die Corona-Impfung, die anderen einen Placebo-Impfstoff. Primäres Ziel (Endpunkt) der Studien war es, symptomatische COVID-19-Erkrankungen zu verhindern. Als sekundäres Ziel wurde untersucht, ob die Impfung auch schwere Verläufe von COVID-19 vermeidet.
Laut PEI-Präsident Cichutek muss jeder Impfstoff für die Zulassung mindestens 50 Prozent Impfschutz in den Studien nachweisen. Während für die beiden mRNA-Impfstoffe in Pressemeldungen von einer Wirksamkeit von 90 und 95 Prozent berichtet wird, geht man beim Vektor-Impfstoff aktuell von 60 bis 70 Prozent aus.
Die Wirksamkeit bezieht sich auf die Zahl der Infizierten und gibt damit die relative Risikoreduktion an, erklärt Prof. Gerd Gigerenzer in der aktuellen „Unstatistik des Monats“. Am Beispiel des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer bedeute dies, dass in der Impfgruppe nur acht Menschen an COVID-19 erkrankt sind, in der Placebogruppe hingegen 86. Die Zulassungsdaten aus den USA führen für den primären Endpunkt (mindestens sieben Tage nach der zweiten Impfdosis) acht COVID-Fälle in der Impfgruppe und 162 Fälle in der Placebogruppe auf.
„Noch fehlen uns Detaildaten, um die Wirkung abschließend zu beurteilen. Bisher deuten sie aber darauf hin, dass die Impfung sehr gut schützt“, sagte Cichutek. Er gehe davon aus, dass die Aufnahme des Virus nicht komplett verhindert werden kann, aber zumindest eine Erkrankung und ein schwerer Verlauf. Man könne dies noch nicht belegen, aber er nehme an, dass dadurch auch „die Weitergabe des Virus unterbunden oder zumindest deutlich gesenkt werden kann“.
„Eine sterile Impfung – also dass überhaupt keine Infektion stattfindet – gibt es fast gar nicht. Aber die Ausscheidung von Erregern wird geringer sein“, ergänzte RKI-Präsident Wieler. „Das heißt, zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Abstand halten und Maske tragen sind zunächst auf jeden Fall weiter nötig.“
Ab wann schützt die Impfung?
Die Impfung erfolgt in zwei Dosen im Abstand von drei bis vier Wochen. Cichutek geht davon aus, dass sich die Schutzwirkung rund zwei bis drei Wochen nach der zweiten Impfung aufgebaut hat. Eine Titerkontrolle der Schutzwirkung sei nicht nötig.
Mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen?
„Die Entwicklung der Impfstoffe ist regelgerecht gelaufen. Es deutet derzeit nichts darauf hin, dass schwerwiegende Nebenwirkungen zu befürchten sind“, sagte PEI-Präsident Cichutek am Samstag. Aktuell lägen Daten aus Studien der Phase 1 und 2 mit einem Follow up von sechs Monaten vor. „Bisher sehen wir hier keine Hinweise auf schwere Langzeit-Nebenwirkungen.“ Ergänzend betonte RKI-Präsident Wieler, dass die Zulassungsstudien unterbrochen wurden, wenn schwere Erkrankungen auftraten, um zu prüfen, ob die Erkrankung auf die Impfung zurückzuführen ist. „Das war nicht der Fall.“
Trotzdem würden die Geimpften noch weiter nachbeobachtet. Wie bei allen Impfungen und Medikamenten seien Ärzte und Apotheker gefordert, mögliche Nebenwirkungen und Erkrankungen in Zusammenhang mit der Impfung den Behörden zu melden. Darüber hinaus werden das PEI und RKI aber auch mehrere Begleitstudien zur Nachbeobachtung beauftragen, so Cichutek. Diese Daten sollen zeitnah dann zum Beispiel auch in der STIKO-App veröffentlicht werden.
Cichutek betonte zudem: „Wenn man viele Personen impft, ist es normal, dass mit der Zeit Menschen erkranken. Diese Fälle müssen wir gut mit den regulären Basisdaten vergleichen und so herausfiltern, ob dies mit der Impfung zusammenhängt oder nicht.“
Wie wird die Sicherheit des Impfstoffs geprüft?
Derzeit prüfen die Behörden eingehend alle Studiendaten. PEI-Chef Cichutek geht davon aus, dass Ende Dezember/Anfang Januar die ersten Impfstoffe zugelassen sind. Die bisherigen Analysen zeigten, dass die Impfstoffe sicher seien. Es werde zunächst aber zu einer „bedingten Zulassung“ kommen, um noch mehr Daten sammeln zu können.
Zudem werde das PEI zusammen mit anderen Behörden jede Impfstoff-Charge prüfen. So werde gewährleistet, dass die mit der Zulassung definierte Qualität auch in der laufenden Produktion gesichert ist. Darüber hinaus werden PEI und RKI weitere Begleitstudien zu Sicherheit und Nebenwirkungen der Impfstoffe beauftragen.
Wird es eine Impfpflicht geben?
Gesundheitsminister Spahn betonte zum wiederholten Mal, dass die Impfung für jeden freiwillig sein wird. Auch dem medizinischen Personal sei dies selbstverständlich freigestellt. Er bitte das Gesundheitspersonal aber zu bedenken, dass sie mit ihrer eigenen Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch die von ihnen betreuten Patienten schützen können.
Wer kann die Impfung erhalten?
Cichutek zufolge stehen beim mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer für die Zulassung 16- bis über 85-Jährige im Fokus. Einige Teilnehmer litten auch an einer Grunderkrankung. „Das waren nicht sehr viele, aber eine ausreichende Zahl, dass wir sagen können, für sie bestehen keine erhöhten Risiken“, sagte der PEI-Präsident. Studien mit Kindern und Jugendlichen seien jetzt gestartet, sodass die Zulassung später erweitert werden kann.
Solange noch begrenzt Impfstoff zur Verfügung steht, wird die Corona-Impfverordnung zusammen mit der Empfehlung der STIKO festlegen, wer Anspruch auf eine Impfung hat, ergänzte Wieler.
Wie sollen die Kriterien der Priorisierung geprüft werden?
Dies wird derzeit mit dem Entwurf zur Corona-Impfverordnung abgestimmt. Der Vorschlag des BMG sieht vor:
- Alter anhand des Personalausweises
- Gesundheitspersonal anhand des Beschäftigungsnachweises des Arbeitgebers oder Mitarbeiterausweises o.Ä.
- Leidglich bei Personen mit Vorerkrankungen „werden wir ohne ärztliche Bescheinigung nicht auskommen“.
Viele Patienten nehmen blutverdünnende Medikamente ein. Schließt dies eine intramuskuläre Impfung aus?
Nach Cichutek müssen die bisher vorliegenden Impfstoffe alle intramuskulär gegeben werden. Die Einnahme von Antikoagulanzien ist aus seiner Sicht aber keine Kontraindikation. Nach den Studiendaten sei auch hier die Impfung nicht problematisch. Cichutek rät, bei diesen Patienten eine dünnere Nadel zur Impfung zu verwenden, um ggf. weniger Gefäße zu verletzen, und anschließend länger auf die Einstichstelle zu drücken. So sieht es auch die bisherige Empfehlung der STIKO vor.
Allerdings führt der Beipackzettel für den Biontech/Pfizer-Impfstoff in Großbritannien auf, dass bei Patienten unter Antikoagulation oder mit einer Blutgrinnungsstörung, die gegen eine intramuskuläre Anwendung spricht, abgewogen werden soll, ob der Nutzen der Impfung die denkbaren Risiken überwiegt.
Kann man sich auch impfen lassen, wenn man bereits an COVID-19 erkrankt war?
Bisher spricht Cichutek zufolge nichts gegen eine Impfung, auch wenn man bereits an COVID-19 erkrankt war. Es sei jedoch nicht nötig, sich vor der Impfung auf Antikörper testen zu lassen. Dies sei in den Studien lediglich gemacht worden, um sicherzustellen, dass auch Nicht-Vorerkrankte von der Impfung profitieren.
Wer COVID-19 bereits überstanden hat, hat wahrscheinlich aber auch eine natürliche Immunität aufgebaut. Daher wird diese Gruppe bei der Impfempfehlung wahrscheinlich erst später berücksichtigt.
Wie viel Impfstoff wird zur Verfügung stehen?
Am Dienstag (8.12.) informierte Spahn den Gesundheitsausschuss im Bundestag darüber, dass im Januar 2012 mit drei bis fünf Millionen Dosen zu rechnen sei. Im ersten Quartal sei insgesamt von elf bis 16 Millionen auszugehen. Bereits ab dem zweiten oder dritten Quartal 2021 könnte dann genügend Impfstoff bereitstehen, dass bei der Impfung nicht mehr priorisiert werden müsse.
Warum wird nicht direkt in den Hausarztpraxen geimpft?
Laut Minister Spahn gibt es zwei Gründe für die Zentren: Zu Beginn werden zunächst nur drei bis fünf Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Da die Zentren von den Ländern betrieben werden, könnten diese die Priorisierung nach den STIKO-Kriterien besser durchsetzen. Die Hausärzte würden so von stundenlangen Diskussionen am Praxistresen entlastet.
Der zuerst verfügbare Impfstoff von Biontech/Pfizer muss bei -70 Grad gelagert werden. Dies sei in den Praxen schwierig, so Spahn. Er betonte aber auch: „Sobald genug Impfstoff bereitsteht, müssen wir von den Zentren auf die Praxen switchen.“ Denn dies sei langfristig effektiver und leichter handhabbar. Er geht davon aus, dass die Zentren nur für die ersten Monate 2012 gebraucht werden und ab zweiten bis dritten Quartal auf die Praxen gewechselt werden kann.
Wie sind Ärzte und weitere Helfer in Zentren/mobilen Teams gegen mögliche Impfschäden versichert?
Da es sich um eine empfohlene, regulär zugelassene Schutzimpfung handelt, gelten Spahn zufolge die gleichen gesetzlichen Regelungen wie sonst bei Impfungen und daraus resultierenden Schäden. Sprich: Die Berufshaftpflicht greift.
Dies steht jedoch Aussagen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) vom Freitag (4.12.) entgegen. Demnach wird in den Verträgen zwischen Ländern und KVen geregelt, dass medizinisches Personal als „Verwaltungshelfer des Landes“ tätig werden. Hierüber seien die Haftungsrisiken sowie die Unfallversicherung abgedeckt.
Warum wurden bisher keine mRNA-Impfstoffe zugelassen?
Diese Technologie habe sich insbesondere in den letzten zehn Jahren sehr weiterentwickelt, erklärte Cichutek. Viele mRNA-Vakzinen, etwa gegen Tollwut, durchliefen derzeit noch das Zulassungsverfahren. Auf diesen Erfahrungen könne man nun bei der Corona-Impfung aufbauen.
„Wir haben aber keine Sicherheitsstandards vernachlässigt“, betonte Cichutek. Das Bewertungsverfahren sei für die Corona-Vakzinen nur durch mehr Personal sowie den parallelen Ablauf verschiedener Studienphasen beschleunigt worden. „Bei COVID-19 liegt der Technologievorteil darin, dass eine große Menge an Impfstoff schneller hergestellt werden kann“, so Cichutek.