Empfehlungen zur medikamentösen Therapie bei chronischen Schmerzen geben gleich drei deutsche Leitlinien, berichtete Priv.-Doz. Dr. Andreas Binder von der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig Holstein in Kiel bei einer Fortbildungsveranstaltung in Berlin.
NVL Rückenschmerz
Die NVL Rückenschmerz [2] sieht primär traditionelle nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofencac und Naproxen in der niedrigsten wirksamen Dosis und so kurzzeitig wie möglich vor. Als weitere Optionen werden Paracetamol, Opiode, Muskelrelaxanzien (unter Beachtung von Interaktionen und Abhängigkeitspotenzial) und nicht-selektive Mono-amin-Wiederaufnahmehemmer/trizyklische Antidepressiva genannt [2].
Eine Indikation für Opiode liegt nach der NVL Rückenschmerz bei fehlendem Ansprechen auf Analgetika wie Paracetamol und NSAR vor. Die Opioid-Therapie ist nicht per se eine Dauertherapie", erinnerte Binder. Eine Überprüfung der Medikation sollte bei akutem Schmerz nach vier Wochen, bei chronischen Beschwerden nach drei Monaten erfolgen. Ohne gewünschte Schmerzlinderung oder Funktionsverbesserung ist die Weiterführung kontraindiziert. Opioidpflaster sind wegen der schwierigen Einstellung bei akutem Schmerz nicht geeignet, bevorzugt sind Opioide mit langsamem Wirkeintritt nach festem Zeitschema anzuwenden [2].
LONTS-Leitlinie
Die Leitlinie zur Opioidtherapie beim Nichttumorschmerz [3] empfiehlt bei diabetischer Polyneuropathie, Postzosterneuralgie, Phantomschmerz, Radikulopathie und nicht diabetischer Polyneuropathie, eine vier- bis zwölfwöchige Opioidtherapie anzubieten. Bei chronischem neuropathischem Schmerz wie Polyneuropathien oder der Postzosterneuralgie kann auch eine Langzeittherapie über sechs Monate und mehr erwogen werden, wenn die Schmerzen auf die initiale Opioidtherapie mit einer klinisch relevanten Verringerung von Schmerzen und/oder Funktionseinschränkungen verbunden war. Voraussetzung ist, dass es dabei nicht oder nur zu geringen Nebenwirkungen gekommen ist. Auch bei chronischen Rückenschmerzen wird hier eine vier- bis zwölfwöchige Opioidtherapie empfohlen, betonte Binder [3].
DGN-Leitlinie
Die DGN betont in ihren Leitlinien zum neuropathischen Schmerz [4] die Diagnosestellung als Grundlage der Therapieplanung: Ist eine Ursache des Schmerzes feststellbar, steht zunächst die kausale Behandlung im Vordergrund, also beispielsweise die Optimierung der Diabetestherapie bei diabetischer Polyneuropathie oder die operative Entlastung bei Nervenkompression [4].
Zur medikamentösen Therapie des chronischen neuropathischen Schmerzes empfiehlt die DGN-Leitlinie als 1. Wahl
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trizyklische Antidepressiva,
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selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI, Duloxetin),
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Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin),
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Capsaicin-Hochdosis-Pflaster,
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Lidocain-Pflaster.
"Die Reihenfolge der Nennung ist keine Gewichtung", erläuterte Binder, "in der Praxis erfolgt die Auswahl danach, was für den einzelnen Patienten am besten passt." Ist ein schneller Wirkeintritt notwendig oder ist der Schmerz stark, empfiehlt die DGN den Einsatz von niedrig- oder – falls notwendig – hochpotenten Opioiden in der ersten Linie. Bei gemischtem neuropathischem-nozizeptivem Schmerz wie bei diabetischer Neuropathie und Ulkusschmerz können Non-Opioid- und Opioid-Analgetika mit den als 1. Wahl genannten Therapeutika kombiniert werden.
Speziell auf Interaktionen von NSAR achten
Aufgrund der erhöhten Gefahr von gastrointestinalen Blutungen sollten traditionelle NSAR (tNSAR) und orale Antikoagulanzien nicht zusammen gegeben werden. Laut Binder sind COX-2-Hemmer eine Alternative zu tNSAR, wenn eine antientzündliche neben der schmerzlindernden Wirkung erwünscht ist. Sowohl tNSAR als auch COX-2-Hemmer sollten wegen des erhöhten Blutungsrisikos nicht mit Thrombozytenaggregationshemmern wie Clopidogrel, Prasugrel, Abciximab oder Dipyridamol sowie mit Heparinen kombiniert werden. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI, z. B. Citalopram) und SSNRI (z. B. Duloxetin) haben ebenfalls einen Effekt auf die Thrombozytenaggregation und sollten nicht zusammen mit NSAR gegeben werden.
Ibuprofen unterbindet den COX-1-hemmenden Effekt der Acetylsalizylsäure (ASS). Zusammen eingenommen wird daher die Plättchenhemmung von ASS unterbunden. Hier empfiehlt Binder bei Kombination die zeitlich versetzte Einnahme: zuerst ASS und erst zwei Stunden danach Ibuprofen.
Alle NSAR können in Kombination mit ACE-Hemmern, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, Betablockern und Aliskiren zu Nierenfunktionsstörungen, Hyperkaliämie und einer verminderten blutdrucksenkenden Wirkung führen. Bei ACE-Hemmern kann die Kombination mit NSAR zu einem (reversiblen) Nierenversagen führen. Daher sollten NSAR und diese Antihypertensiva nicht oder nur sehr kurz zusammen gegeben und dann engmaschig überwacht werden. Eine mögliche Alternative sind Kalziumkanalblocker wie Verapamil, Nifedipin oder Diltiazem, deren antihypertensive Wirkung durch NSAR kaum beeinträchtigt ist.
NSAR reduzieren außerdem den diuretischen Effekt von Diuretika. Kommt eine Therapie mit ACE-Hemmern dazu, erhöht sich zudem das Risiko für Nierenfunktionsstörungen und es kann unter Umständen zu einer kardialen Dekompensation kommen. Daher sollten NSAR, Diuretika und ACE-Hemmer nur kurz und unter Überwachung kombiniert werden, insbesondere bei Patienten mit bereits bestehenden Nierenfunktionsstörungen.
Was bei der Opioid-Therapie zu beachten ist
Häufige Nebenwirkungen der Opioide sind Obstipation und Übelkeit und eine zentral dämpfende, sedierende Wirkung, die durch andere Medikamente mit ähnlichem Nebenwirkungsprofil verstärkt werden können. Die Nebenwirkungen treten aber nicht bei allen Opioiden gleich stark auf. "So muss man bei Einsatz von Tapentadol in der Erstverordnung nicht routinemäßig Laxanzien mit verordnen", sagte Binder.
Auch werden nicht alle Opiode gleichermaßen über Cytochrom P 450-Enzyme abgebaut. So weisen Hydromorphon und Morphin oder Buprenorphin sowie Tapentadol keine Wechselwirkungen auf, die auf eine Steigerung oder Hemmung der Aktivität dieser Leberenzyme basieren.
Opiode wie Methadon, Pethidin, Fentanyl und Tramadol können in Kombination mit Monoaminoxidase (MAO)-Hemmern, SSRI, SNRI, Mirtazapin, Trizyklika, Johanniskrautextrakten, Setrone, Triptane und Levodopa zu einem Serotoninsyndrom führen. Opioide und Trizyklika sollten insbesondere nicht mit einem MAO-Hemmer kombiniert und ein MAO-Hemmer zwei Wochen vor Beginn einer Opioidtherapie abgesetzt werden.
Interaktionen
Opioide und Trizyklika sollten auf keinen Fall mit MAO-Hemmern kombiniert werden.
NSAR können in Kombination mit ACE-Hemmern zu einem (reversiblen) Nierenversagen führen.
*Quelle: Vortrag: "Wissenschaftlich fundierte Schmerztherapie in der hausärztlichen Praxis".
- MSD-Forum "Die Hausarztpraxis im Fokus" in Berlin.*
Literatur
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1 BARMER GEK Arztreport 2016. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 37. http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2016/160223-Arztreport-2016/PDF-Arztreport-2016,property=Data.pdf
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2 Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Kreuzschmerz, Stand 10/2015. http://www.leitlinien.de/nvl/kreuzschmerz/
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3 Leitlinie „Opiode, Langzeitanwendung bei nicht tumorbedingten schmerzen (LONTS), Stand 2014, AWMF-Registernummer 145 – 003, http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html
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4 S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur pharmakologische, nicht-interventionellen Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen, Stand 2014/2015, AWMP-Registernummer 030 – 114, http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-114.html